Russland und Nahost: Propalästinensische Passivität

Stichelei hier, Vorschlag dort: Russland unternimmt im Gaza-Krieg nicht mehr, als es muss

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Ausbruch des Krieges in Nahost legten viele Moskauer Blumen an der palästinensischen Botschaft ab.
Nach dem Ausbruch des Krieges in Nahost legten viele Moskauer Blumen an der palästinensischen Botschaft ab.

Als die Hamas am 7. Oktober mit ihrem Überfall auf Israel einen neuen Krieg in Nahost begann, ließen internationale Entsetzensbekundungen nicht lange auf sich warten. Aus Moskau kam an diesem Tag indes (fast) nichts. »Ja, das ist eine unerwartete Verschärfung. Hätten wir sie erwartet, hätten wir sie nicht zugelassen«, äußerte sich Vizeaußenminister Michail Bogdanow gleichzeitig viel- und nichtssagend und bezeichnete die Eskalation in Nahost als »geschlossenen Gewaltkreis«.

Russland kommt der Krieg im Nahen Osten durchaus gelegen. Moskau hat den Krieg nicht angefangen (auch wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bis heute das Gegenteil behauptet), mischt sich ein und kann sich so zurücklehnen und zuschauen, wie der Westen vom Krieg in der Ukraine abgelenkt wird.

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Moskau kann sich zurücklehnen

Gleichzeitig steht für Moskau diplomatisch auch einiges auf dem Spiel. Schließlich unterhält man zu Israel gute Beziehungen und hat diese zuletzt, trotz des Ukraine-Kriegs, ausgebaut. Auch zu den arabischen Nachbarn hat Moskau freundschaftliche Kontakte, ganz abgesehen von der Annäherung an den Iran, den Hauptsponsor der Hamas.

Dass kurz nach Kriegsbeginn eine Hamas-Delegation nach Moskau reiste, sorgte in Jerusalem für reichlich Verstimmung. Russland galt nun endgültig als Hamas-Unterstützer, auch wenn sich niemand traute, das offen auszusprechen. Da war es auch egal, dass weder Präsident Wladimir Putin noch Außenminister Sergej Lawrow die Hamas empfingen. Hängen bleibt vielmehr, dass Moskau auf die Zweitstaatenlösung mit Ostjerusalem als Palästinenser-Hauptstadt pocht und das in den vergangenen Monaten mehrfach offensiv kommuniziert hat. Eine solche Lösung, so Putin Mitte Oktober, würde die Grundlage eines möglichen zukünftigen Friedens schaffen. Es sind Worte, die für Israel dafür gemacht sind, die Beziehungen nach Moskau zu kappen. Zumal Putin auch von »historisch palästinensischer Erde« sprach.

Das russisch-israelische Verhältnis aber glänzt mit besonderer Verworrenheit, wie eine Episode von vor wenigen Tagen verdeutlicht. Am Sonntag verließ der israelische Premier Benjamin Netanjahu extra eine Kabinettssitzung, um 50 Minuten lang mit Russlands Präsidenten Putin zu telefonieren. Netanjahu habe seine »Unzufriedenheit über die Position russischer Vertreter in der UN und anderen Foren ausgedrückt« und »die gefährliche Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Iran scharf kritisiert«, schreibt der Pressedienst Netanjahus über das Telefonat. Zugleich habe er »seine Dankbarkeit gegenüber Russland für die Bemühungen bei der Befreiung israelischer Bürger, die auch die russische Staatsangehörigkeit haben, ausgedrückt« und Putin gebeten, auf das Rote Kreuz Druck auszuüben, um Zugang zu den Geiseln der Hamas zu erhalten. Der Kreml seinerseits ließ nach dem Gespräch verlautbaren, dass Russland bereit sei, an der Deeskalation des Konflikts mitzuwirken.

Russland nimmt palästinensische Flüchtlinge auf

An Deeskalation ist der Kreml auch im eigenen Land interessiert. Im Russland leben ungefähr 20 Millionen Muslime. Insebondere im Nordkaukasus sympathisieren die mit den Palästinensern. Ende Oktober entlud sich in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala die Spannung, als ein Mob den Flughafen auf der Suche nach vermeintlichen Juden stürmte, die per Flugzeug aus Israel kommen sollten. Die aufgeschreckten Verantwortungsträger griffen anschließend durch und verhängten hunderte Strafen gegen die Teilnehmer des Mobs.

Kurz darauf erklärten sich mehrere russische Regionen bereit, Geflüchtete aus Palästina aufzunehmen. Mittlerweile sind einige hundert Menschen aus dem Gazastreifen in Russland angekommen, überwiegend in den Nordkaukasusrepubliken. Die sollen nach Angaben lokaler Beamter schnellstmöglich mit Arbeit und Dokumenten versorgt werden.

Israel wird weiter genau beobachten, wie Russland sich im aktuellen Nahostkrieg verhält. Interesse an einer weiteren Verschlechterung oder gar einem Bruch der Beziehungen haben aber weder Jerusalem noch Moskau.

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