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Berechtigte Empörung bei den Bauern

Landwirte haben 2024 nicht nur durch die Pläne der Ampel Einbußen zu erwarten

Einige Bauern in Schleswig-Holstein haben Politik und Medien eine Steilvorlage geliefert, um den gesamten Berufsstand generell als rechtsoffen und antidemokratisch darzustellen – und nebenbei einmal mehr als nimmersatte Subventionsverbraucher. Insbesondere der Bundesregierung dürfte das zupass kommen. Am Donnerstag hatten rund 100 Landwirte mit Traktoren in Schlüttsiel eine Fähre belagert, auf der sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befand. Er war auf dem Rückweg vom Urlaub auf der Hallig Hooge. Der Grünen-Politiker bot an, mit einer Delegation der Protestierenden von drei Personen zu sprechen. Es gab jedoch eine Gruppe von rund einem Dutzend Leuten, die auf die Fähre wollten, weshalb es nicht zu dem Austausch kam. Einige Personen sollen anschließend versucht haben, das Schiff zu »stürmen«, wie es in Medienberichten hieß. Die Fähre legte daher wieder ab und fuhr zunächst zurück auf die Insel.

Die Aktion wurde von Vertretern aller Parteien außer der AfD und vom Deutschen Bauernverband (DBV) verurteilt. DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken sagte dem WDR: »Das geht gar nicht, das ist eine Grenzüberschreitung, eine Verletzung der Privatsphäre. Gewalt und Nötigung haben bei unseren Aktionen nichts verloren.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte »Bild« (Samstagausgabe), wer so handle, wie die Leute an der Nordsee, veletze »die Grundregeln unserer Demokratie und schadet damit seiner eigenen Sache«.

Auch der Linke-Landesvorstand Schleswig-Holstein verurteilte die Aktion »auf das Schärfste«. Die Attacke auf Habeck sei eine »unglaubliche Grenzüberschreitung«, heißt es in einer Pressemitteilung vom Freitag. Wieder sei auch das Symbol der Landvolk-Bewegung gezeigt worden, die in den 1920er Jahren »Bombenanschläge gegen Amtsträger*innen der Weimarer Republik« verübt habe, so Die Linke.

Tatsächlich gibt es einige Parallelen zu den militanten Bauernaufständen in Norddeutschland vor fast 100 Jahren, die ein Aufschrei gegen massive Steuererhöhungen, aber auch vielfach konservativ-nationalistisch geprägt waren. Die Landvolk-Fahne tauchte bereits auf den letzten großen Bauerndemos im Herbst 2019 immer wieder auf. Viele Landwirte lehnen die Nutzung des Symbols ab, andere verteidigen sie mit dem Verweis darauf, dass die historische Bewegung divers war und etliche ihrer Protagonisten auch von den Nazis verfolgt wurden.

Die Regierung hatte indes die Streichung der KfZ-Steuerbefreiung am Donnerstag zurückgenommen. Zugleich hatte sie mitgeteilt, die Streichung der Ermäßigung bei der Dieselsteuer werde nun in drei Schritten erfolgen, so dass sie erst ab dem Jahr 2026 ganz wegfällt. Der DBV hält dennoch an der Aktionswoche fest.

Bisher bekommen die Bauern die Energiesteuer für Diesel teilweise zurück. Das sind 21,48 Cent pro Liter. Fällt dieses Geld weg, trifft dies insbesondere ökologisch wirtschaftende Betriebe. Weil sie auf den Einsatz von Herbiziden wie Glyphosat verzichten, müssen sie häufiger über die Äcker fahren, um das Unkraut in Schach zu halten. Zugleich müssen die deutschen Agrarbetriebe mit jenen in anderen Staaten konkurrieren, die ihre Maschinen mit weitaus geringer als Diesel besteuertem Heizöl betanken dürfen.

Zwar sind statistisch gesehen die Gewinne in der Landwirtschaft in den letzten beiden Jahren deutlich gestiegen. Doch das betrifft erstens nicht alle gleichermaßen. Zweitens zehrte in den vielen mageren Jahren zuvor die Mehrheit der Betriebe von der Substanz, Gebäudesanierungen und der Ersatz verschlissener Maschinen wurden aufgeschoben. Für den mit hohen Kosten verbundenen Umstieg auf bessere Tierhaltungsformen oder moderne Düngetechnologie war erst recht kein Geld übrig. Insofern boten die Gewinne eher die Möglichkeit zur Reduzierung des Investitionsstaus.

Dazu kommt, dass auf die Landwirte in diesem Jahr weitere Kürzungen bei den EU-Agrarsubventionen zukommen. Ein wachsender Teil der EU-Zahlungen ist zudem an Auflagen wie etwa das Anlegen von Blühstreifen gekoppelt. Die Fördermittel, die dafür gezahlt werden, kompensieren jedoch nicht den daraus resultierenden Ertragsverlust, der auch die stärker mit Beikräuter belasteten angrenzenden Kulturen betrifft.

Auch die progressive Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht die Bauern durch die Streichungen der Ampel »überproportional belastet«. Eine Alternative zur Dieselrückvergütung wäre für sie deren Staffelung »nach sozialen und agrarstrukturellen Kriterien«.

In einer Stellungnahme vom 4. Januar verweist sie darauf, dass die Ampel-Maßnahmen eben keinen Klimaschutzeffekt haben, weil den Bauern aktuell »keine nennenswerten Alternativen zur Nutzung von Traktoren und Diesel zur Verfügung stehen«. Zugleich stellt die AbL fest: »Bäuerinnen und Bauern bekommen die dringend notwendige Ökologisierung des Pflanzenbaus und den Umbau der Tierhaltung hin zu umweltverträglich und artgerecht aktuell weder über den Markt noch über die Förderung ausreichend wirtschaftlich honoriert.« Zugleich wachse der gesellschaftliche Druck auf die Landwirte immer weiter.

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