Antisemitismusklausel: Prävention oder »Gesinnungsschnüffelei«?

Mit einer Antidiskriminierungsklausel will der Senat gegen Antisemitismus in Kunst und Kultur vorgehen

Die Diskussion um Antisemitismus im Berliner Kulturbetrieb reißt nicht ab. Zu Jahresbeginn hatte die Verwaltung von Kultursenator Joe Chialo (CDU) angekündigt, Zuwendungsbescheide für die staatliche Förderung von Kunstschaffenden künftig mit einer Antidiskriminierungsklausel zu versehen, die Bezug nimmt auf die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) mit einer Ergänzung der Bundesregierung. Antisemitismus richtet sich nach dieser Definition gegen jüdische Institutionen und religiöse Einrichtungen, aber auch gegen Israel als »jüdisches Kollektiv«. Künstler und Institutionen, die Förderung begehren, müssen demnach sicherstellen, dass die Gelder keinen Vereinigungen zugutekommen, »die als terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden«. Chialo sagte zur Einführung der Klausel: »Kunst ist frei, aber nicht regellos.«

Die Ankündigung sorgte für Kritik aus dem Kulturbetrieb. Mit einem offenen Brief protestierten etwa 4000 Unterzeichnende gegen »Gesinnungsschnüffelei«. Sie sehen die Kunst- und Meinungsfreiheit bedroht. Zu den Unterzeichnern gehören auch jüdische Kulturschaffende wie die Autorin Deborah Feldman und die Künstlerin Candice Breitz. »Die Senatskulturverwaltung verkennt, dass ein erzwungenes Bekenntniss ein Eingriff in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte ist«, heißt es in dem offenen Brief.

Die Verfasser kritisieren zudem, dass sich die Senatsverwaltung auf die umstrittene IHRA-Definition von Antisemitismus beziehe. Sie verweisen auf die Jerusalemer Erklärung, die eine enger gefasste Definition vorschlägt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass diese Jerusalemer Erklärung nicht weniger umstritten ist. So wird in den an die Erklärung angehängten Anwendungsbeispielen etwa die kontroverse Bewegung Boycott, Divestment, Sanction (BDS) pauschal vom Antisemitismusvorwurf freigesprochen.

Im Kulturausschuss des Abgeordnetenausschusses trafen die Ansichten am Montag aufeinander. »Ich hätte mir den Prozess anders gewünscht«, sagte die Abgeordnete Melanie Kühnemann-Grunow (SPD), die offenbar nicht über die Vorgänge informiert wurde. »Es gibt eine große Verunsicherung im Kulturbetrieb.« Viele Kulturinstitutionen seien von der Ankündigung überrascht worden und stünden nun vor offenen Fragen. Auch aus der Linken gab es Kritik, dass sich Chialo vor der Ankündigung nicht mit Kulturschaffenden abgesprochen habe. »Sie haben viel Porzellan zerschlagen«, sagte die Abgeordnete Elke Breitenbach. »Die Klausel hindert nicht daran, in den Dialog einzusteigen«, entgegnete Chialo. »Das ist kein ›point of no return‹.« Daher solle es in einem halben Jahr eine Evaluationsrunde mit Kulturschaffenden geben.

Der Frage, warum er diesen Dialog nicht schon vor dem Inkrafttreten der Klausel geführt habe, wich Cialo allerdings aus. Der Linke-Abgeordnete Niklas Schenker warf ihm daher vor, »der Sache mehr geschadet als geholfen zu haben«. Die Grünen kündigten einen fünfseitigen Fragenkatalog zur konkreten Umsetzung der Antidiskriminierungsklausel an.

»Die Klausel schränkt die Kunstfreiheit nicht ein«, sagte Chialo zu den im offenen Brief erhobenen Vorwürfen. »Es gibt kein Recht auf staatliche Förderung.« In vielen Kulturinstitutionen gebe es wenig Bewusstsein für Antisemitismus. Die Klausel solle dafür sensibilisieren. »Das ist ein präventiver Ansatz«, versicherte Chialo.

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