Film »Baby to go«: Plastik Fantastik

In Sophie Barthes »Baby to go« müssen Frauen nicht mehr schwanger werden, um Mutter zu sein. Schöne neue Welt. Oder?

Die etwas andere Kinderüberraschung
Die etwas andere Kinderüberraschung

In einem der besten Songs von Take That heißt es zu Beginn: »We’ve come a long way but we are not too sure where we have been.« Dem Feminismus geht es wohl ähnlich: Er hat einen echt langen, teilweise sehr erfolgreichen Weg hinter sich. Was aber hat er noch vor? Sophie Barthes neuer Film »Baby to go« bringt scheinbar sehr viel Enthusiasmus mit, um hier Agenda-Setting zu betreiben. Nicht weniger als die Fortpflanzung ist in ihrem dritten Spielfilm Gegenstand utopischer Lebensumstände.

Utopie ist schon das richtige Wort, denn im Gegensatz zu vielen anderen filmischen und literarischen Zukunftsvisionen ist das, was »Baby to go« als Szenario aufwirft, aus feministischer Sicht ein echter Game Changer und weniger eine düstere Endzeitprognose wie etwa Margarete Atwoods »Handmaid’s Tale«. Denn Frauen sind nicht mehr qua Biologie dazu verdammt, die Reproduktion zu einem Großteil allein zu wuppen, sondern Kinder werden in dieser nicht allzu fernen Zukunft in Geburtszentren in einem Plastikei gezüchtet. Was für eine Offenbarung! Keine Kotz-Arien in den ersten zwölf Wochen (oder länger) mehr, keine Müdigkeit des Todes, kein Wasser in den Beinen, keine 15 Kilo zu viel am Ende. Stattdessen einfach weiter wie bisher: Aperol nach Feierabend, Sport, Sex, Karriere. Das Ei kann der Mann genauso wie die Frau in einer Art umschnallbarem Dederon-Netz mit sich herumtragen. Man kann es aber auch lassen und das Ding einfach in der Klinik besuchen gehen. So weit klingt das für Frauen fantastisch: Gebärfreiheit für alle. Aber natürlich ergeben sich aus diesem Setting auch fragwürdige Begleiterscheinungen.

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Sophie Barthes entwirft für ihre Protagonist*innen Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) eine hochmoderne, aber scheußliche Lebenswelt: Morgens entscheidet die KI, was zum Frühstück gegessen wird (Kaffee und Toast, wie öde, aber eine schwere Entscheidung weniger am Tag); die New Yorker Penthouse-Wohnung ist ein steriler Albtraum in Beige- und Grautönen, die Arbeitsflächen in der Küche sind frei von Krams. Im Büro gibt es Happy-Lights, um bei der Sinnlos-Arbeit (Influencer casten) maximal fröhlich vor sich hin telefonieren zu können, während man auf einem Laufband bei gemäßigter Geschwindigkeit Kilometer macht. Therapiesitzungen, die so was wie eine beste Freundin ersetzen, werden von dem Algorithmus Eliza geleitet, einem riesigen creepy Auge in der Wand. Zur Erholung legen sich Menschen in Kapseln mit Wasserfallgeräuschen und Waldsimulation, die in Einkaufszentren aufgestellt sind, denn mit Natur hat eigentlich niemand mehr was zu tun, außer der etwas schrullige Alvy, der den eigenartigen Beruf des Botanikers ausübt und seinen staunenden Studenten erklärt, was eine Feige ist.

Rachel jedenfalls entschließt sich, ohne vorher mit Alvy gesprochen zu haben, denn der steht, wie wir wissen, eher auf das Natürliche, für das sündhaft teure »Womb Center« (womb: Gebärmutter), eine Art Hightech-Kinderwunschklinik, mit dem Namen Pegasus, nachdem sie schier endlos lang auf einer Warteliste ausgeharrt hatte. Wie im Möbelhaus kann Rachel hier die Farbe ihres Pods auswählen (alle Schattierungen von Pastell), in dem der Fötus heranwachsen soll. Das Center gibt die Möglichkeit, die Eizelle mithilfe weiblicher Stammzellen zu befruchten, was die logische Konsequenz hat, dass Männer zur Reproduktion nicht mehr gebraucht werden. Da Frauen nur X-Chromosomen vererben, würden so auch nur Frauen geboren werden. Männliche Nachkommen entstehen also nur noch auf Wunsch (wenn statt der Stammzelle eine Samenzelle das Ei befruchten soll). Dieser Knaller wird allerdings in einem nebensächlich inszenierten Dialog einfach so runtergerattert und im Drehbuch nicht weiter verfolgt. Was hier allein an Plot-Potenzial links liegen gelassen wird, ist fast schon skandalös.

Die Idee zu »Baby to go«, der 2023 das erste Mal auf dem Sundance-Filmfestival lief, kam Sophie Barthes, als sie selbst mit ihrer Tochter schwanger war und sich Gedanken um die Themen Mutterschaft, Kommerzialisierung und Elternsein machte. Viele ihrer Denkanstöße finden sich im Film wieder: Wie verändert sich eine Partnerschaft mit Kind, wenn die Schwangerschaft quasi übersprungen wird (und später auch das Stillen kein Potenzial mehr hat, Mütter zusätzlich unter Druck zu setzen)? Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn Frauen komplett autonom über Reproduktion entscheiden können (gesetzt den Fall, sie haben das nötige Geld)? Was kann unser Technik-Fetisch erreichen; wo sind die Grenzen? Ist die künstliche Gebärmutter, ergo auch ihre Kommerzialisierung, ein feministischer Akt? Was macht den Menschen in einer übertechnisierten Welt noch aus?

Eine große, hochinteressante Verhandlungsmasse, die der Film aber an keiner Stelle wirklich auszuwalzen wagt. Weder diskutieren Rachel und Alvy intensiv über gleichberechtigte Elternschaft, noch wird weiter der Frage nachgegangen, wie genau die Klassengesellschaft aussehen wird, in der reiche Mütter alle Unannehmlichkeiten des Kinderkriegens und -aufziehens mit Technik kompensieren können (eine App steuert den Schlafrhythmus des Kindes und lässt es durchschlafen), andere wiederum in der Reproduktionsmaschinerie ohne Hilfe feststecken (genau genommen eine komplexere Variante dessen, was derzeit Realität ist).

Nur zaghaft diskutiert das Drehbuch (ebenfalls Barthes), welchen Preis Unternehmen für ihre angeblich emanzipatorischen Dienste verlangen (im Film verkaufen die Eltern de facto alle Daten, die ihr Kind jemals produzieren wird, an Pegasus; als Folge wird ein komplettes Politikfeld wie Bildung privatisiert). Bei all dem sind Filme wie »Gattaca«, in dem die DNA-Analyse so weit fortgeschritten ist, dass nur noch »perfekte« Kinder gezeugt werden können, gedanklich wesentlich radikaler, obwohl über 20 Jahre älter.

»Baby to go« hat enormes Potenzial, emanzipatorischen Fragestellungen mit spitzen Thesen zu begegnen (Diktatur des Matriarchats, Primat der Bequemlichkeit, Entkopplung der Frau von Mutterschaft). Stattdessen verfängt sich der Film in der zweiten Hälfte in der völlig nebensächlichen Frage, wie die werdenden Eltern das Kind eigenständig zur Welt bringen können, statt es mittels eines Codes im Womb Center aus dem Plastikei befreien zu lassen.

Was Barthes hingegen gut gelingt, ist, die Absurdität von Hypertechnologisierung satirisch aufzuarbeiten. In einer Szene fragt ein Mann beim Tag der offenen Tür des Womb Centers mit ernstem Gesicht, was das Unternehmen tut, damit sich der Fötus im Ei nicht langweilt. An einer anderen Stelle kippt Rachel die Nahrungsmittel für das Baby in den Pod wie Fischfutter (es soll jeden Tag verschiedene Krümelchen bekommen, damit es nachher nicht mäkelig wird). Aber diesen Weg der Überspitzung geht Barthes nie konsequent weiter, stattdessen ist der Film ein wirrer Mix aus Komödie, Satire und Sci-Fi-Drama, der keine wirkliche Dynamik entwickelt, weil dafür die Strategie fehlt.

In Take Thats Hit »Never Forget« heißt es an einer Stelle: »With danger on my mind I would stand on the line of hope«. Das passt irgendwie zum Film.

»Baby to go«, Großbritannien 2023. Regie und Drehbuch: Sophie Barthes. Mit: Emilia Clarke, Chiwetel Ejiofor, Vinette Robinson. 111 Minuten. Start: 11.1.

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