Kriegstüchtig auf Schwedisch

Regierung in Stockholm trimmt Streitkräfte und Bevölkerung auf den Ernstfall und streicht Friedensorganisationen die Mittel

Schwedens am 9. Januar beendete jährliche Sicherheitskonferenz »Volk und Verteidigung« im Wintersportort Sälen hat ein starkes mediales Echo hervorgerufen. Politische Verantwortungsträger und führende Militärs malten dort einen dem skandinavischen Land drohenden Krieg an die Wand.

Zum Auftakt der Konferenz hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache die Leistungen der eigenen Streitkräfte betont, auf die massiven russischen Angriffe zu Jahresbeginn mit Raketen und Drohnen auf die Infrastruktur seines Landes hingewiesen und dessen Unterstützer mit Geld und Waffen zu anhaltender Solidarität aufgerufen.

Carl-Oskar Bohlin, Minister für Zivilschutz von der konservativen Moderaten Sammlungspartei, schreckte seine Landsleute auf: »Es könnte Krieg in Schweden geben«, ließ er sie in Sälen wissen. In einem Interview mit dem Sender SVT legte General Micael Bydén, Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte nach: »Alle Schweden sollten sich auf einen Krieg in Schweden vorbereiten«, forderte er die Gesellschaft zu einem Mentalitätswechsel auf.

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Nach dem im Februar 2022 gestarteten Angriff Russlands auf die Ukraine strebt Stockholm energisch die Mitgliedschaft im US-geführten Transatlantikpakt an. Die Verteidigungsausgaben werden drastisch erhöht. Die Mitglieder Türkei und Ungarn bremsen zwar Schwedens Nato-Beitritt, werden ihn aber letztlich nicht verhindern.

Die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, einer möglichen Ausdehnung der Nato auf die Ukraine mit Gewalt zu begegnen, bewirkte in Schweden einen sicherheitspolitischen Kurswechsel. Die Sozialdemokratie ließ ihre traditionelle Ablehnung einer Teilnahme an militärischen Bündnissystemen fallen. In den bürgerlichen Parteien, die nun seit mehr als einem Jahr eine von den rechtsnationalistischen Schwedendemokraten tolerierte Minderheitsregierung stellen, setzte sich die schon lange aktive Lobby der Transatlantiker endgültig durch.

Damit endet eine mehr als 200 Jahre währende Ära, in der Schweden allianzfrei blieb und einer Neutralitätspolitik folgte. Unter die letzten bewaffneten Konflikte hatte der Wiener Kongress 1815 nach den Napoleonischen Kriegen einen Schlusspunkt gesetzt, die schwedische Großmacht und Rivalin Russlands in der Auseinandersetzung um Finnland und das Baltikum hatte ausgespielt.

Am militärstrategischen Gleichgewicht ändert der schwedische Nato-Beitritt zunächst wenig. Bereits im vorherigen Kalten Krieg war das skandinavische Land faktisch in das westliche Lager eingebunden, führende Militärs konspirierten mit Nato-Stellen. Die Partnerschaft mit der Allianz wurde in den vergangenen Jahrzehnten ausgebaut. Mit dem Beitritt opfert Stockholm seinen Spielraum für eine unabhängige Außenpolitik mit der Möglichkeit, in den geopolitischen Konflikten eine Vermittlerrolle einzunehmen.

Die schwedische Friedensbewegung und andere Kräfte, die sich der Logik von Konfrontation und Rüstungswettlauf widersetzen, haben angesichts des von Politik und Medien betonten Bedrohungsszenarios einen schweren Stand. Ansätze zur Konflikteindämmung, zur Entwicklung einer »Friedensperspektive« oder »auch nur ein Wort zur Klimakrise« völlig vermisst hat auf der Konferenz in Sälen die bereits 1883 gegründete pazifistische Vereinigung Svenska Freds, wie ihre dort anwesende Vorsitzende Kerstin Bergeå erklärte.

Den im Eilgang und ohne breite Debatte beschlossenen Beitritt zur Nato betrachtet die Tausende Mitglieder zählende Vereinigung als falsche Prioriätensetzung. Eine Mitgliedschaft in dem Pakt beeinträchtige, so Svenska Freds, Schwedens Fähigkeit, grundlegende Werte seiner Politik »wie Abrüstung, Demokratie, Menschenrechte und Achtung des Völkerrechts« zu wahren. Der Beitritt konterkariere zudem Schwedens langjährige Bemühungen um nukleare Abrüstung und ein Kernwaffenverbot. Ein Gesetz, das jede Stationierung von Atomwaffen auf schwedischem Territorium ausschließt, ist nun eine zentrale Forderung der schwedischen Friedenskräfte.

Kurz vor dem Jahreswechsel hatte die Regierung in Stockholm beschlossen, sowohl Svenska Freds als auch der schwedischen Sektion IKFF der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit als den wichtigsten für Frieden und Verständigung wirkenden Organisationen im Land sämtliche öffentliche Mittel zu streichen.

Es ist ein historischer Federstrich: Ein Jahrhundert lang förderte der schwedische Staat die Friedensarbeit. Nun entzog das Außenministerium der Entwicklungsagentur Folke-Bernadotte-Akademie den 2018 erteilten Auftrag, Mittel an für Frieden und Sicherheit tätige zivilgesellschaftliche Organisationen zu verteilen. IKFF-Generalsekretärin Malin Nilsson nennt die Streichung der Gelder angesichts einer Zeit mit furchtbaren Kriegen und Rekordausgaben für die Rüstung »völlig unfassbar«. Kritische Stimmen sollten so zum Schweigen gebracht werden.

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