Von »Wannsee 2.0« in die Landtage

Jurist Vosgerau redet in Dresden auf AfD-Einladung als Sachverständiger ausgerechnet über Integration

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Er habe den »angenehmen Typ« Martin Sellner kennen lernen wollen: Mit dieser fadenscheinigen Aussage begründete der Jurist Ulrich Vosgerau, warum er im November bei einem Treffen in einer Potsdamer Villa anwesend war, über das die Rechercheplattform Correctiv kürzlich berichtete. Rechtsextreme wie Sellner, ein führender Kopf der Identitären Bewegung, sowie AfD-Politiker und Unternehmer berieten dabei über Pläne zur »Remigration«. Der Begriff, soeben zum Unwort des Jahres erklärt, wird beschönigend für die millionenfache Deportation von Menschen aus der Bundesrepublik verwendet, auch solchen, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Vosgerau sagte später, er pflege normalerweise keine Kontakte zu Rechtsextremen. Er referierte aber bei dem mittlerweile als »Wannseekonferenz 2.0« bezeichneten Treffen über das »verfassungsrechtliche Problem der Briefwahl«. Rechte Parteien wie die AfD diskreditieren diese gern als Vehikel für Wahlbetrug zu ihren Ungunsten.

Wenige Tage nach den Enthüllungen sitzt Vosgerau in Raum A600 des sächsischen Landtags, um als »Sachverständiger« über das Gegenteil von Deportation zu referieren. Im Sozialausschuss findet eine Expertenanhörung zum Entwurf eines Gesetzes statt, das die »Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund« verbessern soll. Es wäre das erste derartige Gesetz in einem ostdeutschen Flächenland. Um Details ringt die Koalition aus CDU, Grünen und SPD seit drei Jahren. Nun sollen Fachleute das Ergebnis bewerten: der Geschäftsführer des Dachverbands der sächsischen Migrant*innenorganisationen, der sächsische Ausländerbeauftragte, eine Mitarbeiterin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung – und Vosgerau. Was ihn qualifiziert, bleibt unklar. Nach eigenen Angaben lehrte er Öffentliches sowie Europa- und Völkerrecht in Köln, München, Hannover und Halle. Die Uni Köln erklärte nach Berichten über das Potsdamer Treffen, Vosgerau sei seit 2015 nicht mehr an der Hochschule beschäftigt und lehre dort seit 2018 nicht mehr. Man stehe »für Vielfalt und Diversität«.

Als Sachverständiger erschien Vosgerau in Dresden dem Vernehmen nach auf Einladung der AfD, die im Freistaat seit Kurzem vom Verfassungsschutz als »erwiesen rechtsextremistische Bestrebung« geführt wird. Es ist nicht der erste derartige Termin des Juristen, der nach eigenen Angaben Mitglied der CDU ist, aber auch dem Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung angehört. Anfang November trat er im Landtag Niedersachsen auf. Dort ging es im Innenausschuss um einen CDU-Antrag, der die »gezielte Arbeits- und Fachkräfteeinwanderung« befördern und eine »Qualifizierungsoffensive für abgelehnte Asylbewerber« anstoßen will. Was Vosgerau dazu sagte, bezeichnet der Grünen-Abgeordnete Michael Lühmann gegenüber »nd« als »unangenehm und gruselig«. Vorige Woche sollte Vosgerau dann in Magdeburg auftreten, in einer Anhörung des Bildungsausschusses zu einem Gesetz über politische Stiftungen. Dazu kam es nicht. Ausschusschef Gerhard Stehli (CDU) bat ihn, »angesichts der Medienberichterstattung« nicht zu sprechen. Die AfD verließ daraufhin die Sitzung unter Protest.

In Dresden hatte es vorab ebenfalls Forderungen gegeben, Vosgerau auszuladen. Die Jusos sahen Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) in der Pflicht und erklärten, es brauche »Widerstand und keinen roten Teppich«. Ausschusschefin Susanne Schaper (Linke) beließ es aber bei der eindringlichen Warnung vor »unsachlichen Äußerungen« von Sachverständigen, »insbesondere wenn sie den Boden des Grundgesetzes verlassen«. Davor hütete sich Vosgerau auf offener Bühne. Er kritisierte lediglich die im Gesetzentwurf vorgesehene Förderung der Einstellung von Migranten im öffentlichen Dienst. Eine derartige Besserstellung und entsprechende Quoten seien »verfassungswidrig«, sagte er. Özcan Karadeniz vom Dachverband der Migrant*innenorganisationen kommentierte später, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sei, werde vom Großteil der Bevölkerung akzeptiert, »von einem Teil aber nicht, wie hier nochmal eindrücklich vor Augen geführt wurde«.

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