Dallaska

Howdy aus Texas, liebe Lesende

Lange habe ich darauf gewartet, diese Kolumne mit der Zeile »Grüße aus dem verschneiten Texas« beginnen zu können. Und nun ist es endlich so weit. Grüße! Hier ist es kalt. Nicht sehr, nur minus Zehn und das auch nur seit zwei Tagen, aber die Stimmung ist apokalyptisch. Texas ist einfach nicht gemacht für Minusgrade. Texas weiß nicht einmal, was Minusgrade sind, weil das Wetter in Fahrenheit gemessen wird: minus zehn Grad sind 14 Fahrenheit. Die Supermärkte sind lächerlich leer wie zu Corona-Hochzeiten, obschon alle dank ihrer Wetterapp und auch dank eines Phänomens namens Erfahrung wissen sollten, dass sich das texanische Wetter schnell wieder aufheizen wird: Ab morgen werden es plus 13 Grad, das sind ganze 55,4 Fahrenheit, und bei den Temperaturen trägt mein Nachbar schon wieder Shorts (aber immerhin noch mit langen Socken und, ganz wichtig, mit einer Synthetikmütze).

Wenn die Temperaturen in Texas null Grad Celsius erreichen, macht der Staat dicht. Schulen und Restaurants werden geschlossen, Arzttermine abgesagt, Affären beendet. Niemand fährt Auto, da Winterreifen unbekannt sind und kaum gestreut wird. Und zu Fuß ist auch bei warmen Temperaturen niemand unterwegs. Dafür posten alle peinliche Fotos von dem einen Millimeter Schnee in ihrem Garten, ich natürlich auch. Als ob ich mein halbes Leben nicht in Hamburg verbracht hätte, mit Spaziergängen auf der gefrorenen Alster, mit angetrunkenen Ausrutschern in unterstreuten Gassen von Weihnachtsmärkten und mit einer stolzen Kollektion an Mützen, Schals und Handschuhen, die ich in Texas, wo die Jahresdurchschnittstemperatur bei 20 Grad Celsius liegt, nie brauche. Der Mensch gewöhnt sich schnell an das Schöne und auch an das Heiße. Schneeflocken kommen mir, die in Mütterchen Russland quasi mit Walenki an den Füßen zur Welt kam, heute wie ein seltenes Gut vor.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Jeden Januar rüsten sich die Texaner auf für das Eiswetter; auf Social-Media-Kanälen in Dallas-Fort-Worth, wo wir leben, ist zurzeit der Hashtag »Dallaska« beliebt. Erworben oder vorbereitet werden vor allem Campingkocher, Taschenlampen und Badewannen voll mit Wasser. Vor drei Jahren gab es nämlich einen aus nordeuropäischer Sicht zwar eher bescheidenen Schneesturm, der Texas aber massenweise Stromausfälle, geplatzte Rohre, gefrorene Pools, einen nach Cancún fliehenden texanischen Senator (Ted Cruz) und einen Schaden von 195 Milliarden Dollar (!) bescherte. Und das nicht nur, weil die Infrastruktur nicht auf niedrige Temperaturen ausgelegt ist, sondern vor allem, weil Texas ein von anderen Bundesstaaten unabhängiges Stromnetz hat, das hinterherhinkt.

Texas, das ständig und überall damit droht, einen »Texit« zu machen, kann sich nicht einmal anständig mit Strom versorgen! Und anstatt das Netz zu verbessern, wird jeden Winter belehrt: Per SMS werden die Bürger dazu angehalten, weniger Strom zu verbrauchen und nicht so viel zu heizen. Nicht viele werden darauf hören. Erst letztens verriet mir eine amerikanische Freundin ihren ultimativen Trick: Jedes Mal, bevor sie das Haus verlässt, glättet sie ihre Klamotten im Trockner, so muss sie nie bügeln! Für Sparsamkeit und Umweltliebe ist der Texaner eben nicht bekannt. Dafür verspricht der Texit den Bürgern: Keine Steuern, keine Windmühlen, keine Liberalen und – das haben die sich von uns Deutschen abgeguckt – keine Geschwindigkeitsbegrenzung! Nur Autofahren im Winter müsste man noch lernen.

Der kurze texanische Ausnahmezustand hat auch etwas Schönes, wenn kein Strom ausfällt und keine Rohre brechen. Meine Tochter ist begeistert, als sie den mickrigen Schnee aus dem Fenster sichtet. »Als ich klein war«, setze ich an und merke, wie geriatrisch ich klinge, »in Russland, da ging mir der Schnee bis zu den Knien, dann dauerte es Wochen, bis er abtaute, alles war dreckig und die Schneeballschlacht tat richtig weh!« Sie guckt ungläubig. »Und ich musste auch in der Kälte zur Schule«, stimmt mein Mann ein. »Aber dafür hatten wir öfter hitzefrei«, füge ich hinzu. Das wird meine Tochter allerdings niemals erleben, denn wenn Texas etwas kann, dann bei 40 Grad Hitze die Räume auf Kühlschranktemperatur abzukühlen. Für die Klimaanlage reicht der Strom eben immer. Das wäre übrigens ein guter Texit-Slogan. Und jetzt muss ich los, liebe Leser*innen, zur Vorbereitung auf die Sezession möchte ich noch mal »Fahrenheit 451« lesen!

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