Berlin: Gedenken an John Schehr und Genossen

Vor 90 Jahren wurde amSchäferberg John Schehr in einer Racheaktion der Gestapo ermordet

John Schehr (l.) neben Ernst Thälmann (2.v.l.) bei einer Demonstration der KPD am 4. Mai 1928
John Schehr (l.) neben Ernst Thälmann (2.v.l.) bei einer Demonstration der KPD am 4. Mai 1928

Am Schäferberg zwischen Berlin und Potsdam kamen am vergangenen Samstag knapp 50 Antifaschist*innen zusammen, um an John Schehr zu gedenken. Aufgerufen hatte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA). Schehr war am 1. Februar 1934, vor 90 Jahren, zusammen mit den Kommunisten Rudolf Schwarz, Erich Steinfurth und Eugen Schönhaar von der Gestapo ermordet worden.

Die Kundgebung ist kurz, Edith Pfeiffer von der VVN-BdA hält eine Rede und das Gedicht »John Schehr und Genossen« von Erich Weinert wird verlesen: »Es geht durch die Nacht. Die Nacht ist kalt. / Der Fahrer bremst. Sie halten im Wald. / Zehn Mann Geheime Staatspolizei. / Vier Kommunisten sitzen dabei, /
John Schehr und Genossen. (...)«

»Wir denken, es ist wichtig, auch an dem Denkmal zu gedenken, quasi zwischen Berlin und Brandenburg. Der Ort ist ziemlich ab vom Schuss und das Denkmal ist recht unscheinbar. Da fährt man einfach vorbei, ohne es überhaupt wahrzunehmen«, erklärt Christian Raschke von der VVN-BdA im Gespräch mit »nd«. Das sei gerade jetzt wichtig, in einer Zeit, in der Rechtspopulismus stark werde. »Man kann nur, wenn man aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, die Zukunft gestalten«, so Raschke weiter.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Der am 9. Februar 1896 in Altona geborene John Schehr war bereits als Jugendlicher in die SPD eingetreten, wechselte dann aber nach der gescheiterten Novemberrevolution 1920 in die Kommunistische Partei Deutschland (KPD). 1928 stieg er ins Zentralkommitee der KPD auf und wurde zum Stellvertreter Ernst Thälmanns. Nach der Verhaftung von Ernst Thälmann am 3. März 1933 wurde Schehr mit der Parteiführung der im Untergrund arbeitenden KPD beauftragt. Schon am 13. November 1933 wurde er verhaftet und ins KZ Columbiahaus in Kreuzberg gebracht.

Dort wurde Schehr von den Gestapo-Schergen brutal gefoltert. Er erlitt schwere Verbrennungen, auch ein Auge soll ihm ausgeschlagen worden sein. Die Gestapo versuchte, von dem führenden KPD-Funktionär Aussagen zu erpressen. Schehr aber blieb standhaft: »Ich erkläre, daß ich über die Tätigkeit der Organisation der Kommunistischen Partei Deutschlands, über meine politische Arbeit, über die meiner Mitarbeiter keine Aussagen zu machen habe.«

Das Schicksal Schehrs ist eng verwoben mit dem von Alfred Kattner. Dieser war enger Vertrauter von Thälmann und wurde am selben Tag wie Thälmann festgenommen. Der Gestapo gelang es, ihn unter Einsatz massiver Folter zu »drehen« und zum Lockspitzel der Gestapo in der KPD zu machen. Seine Informationen führten zur Verhaftung Schehrs. Kattner sollte in einem geplanten Prozess gegen Thälmann aussagen, was durch ein Kassiber aus dem Gefängnis der KPD-Leitung bekannt wurde. Daraufhin wurde Kattner im Parteiorgan »Rote Fahne« als Verräter angeprangert.

Lange hatte sich das Gerücht gehalten, Kattner hätte auch Thälmann verraten und sei für dessen Verhaftung verantwortlich. Beim KPD-Nachrichtendienst kursierte gar, er habe ein eigenes Zimmer bei der Gestapo. Eine Recherche des Historikers Ronald Sassning in den 90er Jahren widerlegte diese These.

Die von Festnahmen, parteiinternen Querelen, gegenseitigem Misstrauen und Machtkämpfen geschwächte KPD geriet zunehmend in die Defensive. In dieser Situation wurde im Abwehrapparat der illegalen KPD eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Kattner sollte sterben. Am 1. Februar erschoss Hans Schwarz in Nowawe bei Potsdam den Verräter mit mehreren Pistolenschüssen. Der Mord sollte zum einen von den Unzulänglichkeiten in der KPD-Abwehr ablenken, zum anderen erhoffte man sich von diesem Akt des »individuellen Terrors«, möglichen weiteren Schaden von der Partei abzuwenden und andere Spitzel abzuschrecken.

Die Reaktion der Nazi-Führung war brutal. Hitler soll nach der Erschießung Kattlers wutentbrannt die Erschießung von 1000 verhafteten Kommunisten angeordnet haben. Am Ende traf es John Schehr und Genossen. Die vier Kommunisten und wurden laut NS-Presse am Schäferberg »auf der Flucht erschossen«.

Rückblickend wäre es wohl besser gewesen, die KPD hätte sich auf ihre illegale Konspiration konzentriert, anstatt Kattner umzubringen. Aber immerhin: »Die KPD hat aus diesem Fehler gelernt und danach nie wieder einen solchen Rachemord begangen«, erklärt Raschke.

Der für den Mord an Schehr verantwortliche SS- und Gestapo-Mann Bruno Sattler, der auch an der Deportation von Jüdinnen und Juden aus Belgrad beteiligt war, wurde 1952 in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt und starb im Gefängnis.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!