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»Ich brauche nicht mehr Trauer, dafür mache ich keinen Film«

Berlinale-Forum: Im Film »Shahid« will die iranische Regisseurin Narges Kalhor ihren Namen ändern, um den Schatten ihrer Vergangenheit zu entfliehen

  • Interview: Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Iranische Funktionäre im Schlepptau: Selbst in der bayerischen Kleinstadt entkommt Narges Kalhor (gespielt von Baharak Abdolifard) ihrer Vergangenheit nicht.
Iranische Funktionäre im Schlepptau: Selbst in der bayerischen Kleinstadt entkommt Narges Kalhor (gespielt von Baharak Abdolifard) ihrer Vergangenheit nicht.

Aufhänger Ihres Films ist, dass Sie Ihren zweiten Nachnamen »Shahid«, der auf Deutsch »Märtyrer» bedeutet, loswerden möchten. Warum?

Ich bin vor mehr als 14 Jahren aus dem Iran raus und habe hier in Deutschland politisches Asyl beantragt. Auch vorher hatte ich eigentlich keinen Kontakt mehr zu meinem Vater, der Kulturberater des damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war. Meine Eltern waren getrennt. Aber den Nachnamen habe ich von seiner Seite geerbt. Und die Herrschaften, die er repräsentiert, sind dort bis heute an der Macht. Diese großen, dunklen Schatten der Vergangenheit begleiten mich bis heute, obwohl ich nicht mehr in den Iran zurückkehren werde und meine politische Haltung damals wie heute immer offen gezeigt habe. Das Einzige, was meine Vergangenheit symbolisch gesehen jeden Tag spiegelt, ist mein Nachname. Ein paar Buchstaben wegzulassen, ändert letztendlich an den Tatsachen nichts. Aber ich wollte auf diese Weise einen Zugang schaffen, um eine Geschichte zu erzählen. Denn ich bin sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die mit ihrer Herkunft ein Problem hat.

INTERVIEW

Narges Kalhor ist 1984 in Teheran geboren und dort aufgewachsen. In ihrem Studium an der Filmhochschule Teheran wurde sie von bekannten Filmemachern wie Abbas Kiarostami betreut. 2009 beantragte sie bei einem Besuch in Deutschland politisches Asyl, was international für Aufmerksamkeit sorgte, weil sie die Tochter des ranghöchsten Kulturberaters des damaligen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad ist. Nachdem ihr Antrag angenommen worden war, studierte sie an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Ihr Abschlussfilm »In the Name of Scheherazade oder der erste Biergarten in Teheran« wurde 2019 mit dem Preis des Goethe-Instituts für den besten Dokumentarfilm auf dem Filmfestival DOK Leipzig ausgezeichnet.

Im Film beantragt die Schauspielerin, die Sie verkörpert, bei einer bayerischen Kreisverwaltung eine Namensänderung. Es zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, in Deutschland ein paar Buchstaben loszuwerden

Ja, das ist eine ganz schöne Reise. Einmal Iranerin, immer Iranerin. Die Staatsangehörigkeit können wir nicht abgeben – selbst wenn wir keinen gültigen Pass haben. Aber es ist auch nicht möglich, einen deutschen und einen iranischen Pass mit zwei verschiedenen Namen zu haben. Teil dieses bürokratischen Komplexes ist auch, dass das alles Geld kostet – und sehr, sehr viele Papiere braucht.

Hat es letztendlich geklappt?

Leider nicht. Aber ehrlich gesagt: Egal, ob ich mein Äußeres, meinen Nachnamen oder meinen Wohnort wechsele, meine Konflikte mit der Vergangenheit sind immer da. Da kann ich nicht lügen. Darüber werde ich auch mit meinem Kind sprechen müssen, wenn es größer ist.

Die Schatten der Vergangenheit sind in »Shahid« sehr lebendig. Ihr Urgroßvater und »seine Kumpels« verfolgen die Figur der Narges Kalhor im Film durch die Straßen der bayerischen Kleinstadt. Wofür stehen die tanzenden Männer mit ihren langen Gewändern?

Es ist schwierig zu visualisieren, wie die Vergangenheit uns beeindruckt und beeinflusst. Wenn wir über den Nahen Osten und die Männer sprechen, die dort an der Macht sind, stellen wir uns eine Gruppe von schwarz Angezogenen vor. Ich selbst bin ein Kind von ihnen, aber ihretwegen bin ich auch geflohen. Im Film folgen sie Narges – und man kann sie dabei in ihrer Comic-artigkeit teilweise ernst nehmen, teilweise nicht. Sie sollen eine schleppende Schuld darstellen.

Warum haben Sie sich entschieden, die Themen Schuld, Flucht und Asyl mit satirischen und komödiantischen Mitteln zu bearbeiten?

Ich habe früher traurige Filme gemacht, aber irgendwann gelernt: Das Leben ist traurig genug, das muss nicht noch einmal im Kino wiederholt werden. Mir ist wichtig, dass die ernsthaften Aussagen des Films verständlich sind, aber ich wollte auf einer anderen Ebene lässig bleiben. Ich brauche nicht mehr Trauer, dafür mache ich keinen Film. Ich brauche auch kein Mitleid von meinen Zuschauer*innen, sondern möchte einfach diese Epoche meines Lebens darstellen. 

Sie wandern zwischen den Genres und überschreiten die Grenzen der Welten vor und hinter der Kamera. Immer wieder treten Sie als Regisseurin mit dem Filmteam in Erscheinung. Welche Bedeutung haben solche Brüche für Sie?

Ich mache seit 20 Jahren experimentelle Kurzfilme und arbeite als Editorin. Dabei habe ich verstanden: Die spannendsten Momente von Filmen sind die, die wir normalerweise herausschneiden. Als weibliche Filmemacherin interessiert es mich nicht, perfekte Filme zu machen, wie es viele männliche Regisseure tun. Ich nutze die Möglichkeiten, mit denen seit hundert Jahren tolle Filme gemacht werden, aber breche mit ihren Regeln. Ich versuche, auch Geschichten aus dem Hintergrund zu erzählen. Das ist immer ein Experiment. Mal klappt es, mal läuft es schief.

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Was sind Ihre nächsten Pläne? 

In meinem neuen Filmprojekt, an dem ich wieder mit Aydin Alinejad arbeite, der mit mir das Drehbuch für »Shahid« verfasst hat, geht es um die Frage, inwieweit wir uns im Westen frei fühlen – oder besser gesagt: Schätzen wir die Freiheit? Ist ein Menschenrechtsaktivist im Gefängnis in einem nichtdemokratischen Land mit der Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit vielleicht lebendiger und hoffnungsvoller als wir hier?

Wann können wir mit diesem Film rechnen?

»Shahid« hat mich vier Jahre meines Lebens gekostet. Es wird also voraussichtlich noch eine Weilte dauern, bis der nächste Film kommt. Aber ich bin froh darüber, dass wir uns jetzt weniger Sorgen um die Finanzierung machen müssen, weil die Förderer Vertrauen ins uns haben. Wir wollen weiter als Team und mit demselben Produzenten zusammenarbeiten.

»Shahid«, Deutschland 2024. Regie: Narges Kalhor, Buch: Narges Kalhor, Aydin Alinejad. Mit: Baharak Abdolifard, Nima Nazarinia, Narges Kalhor, Thomas Sprekelsen, Carine Huber. 84 Min. Samstag, 17. 2., 21:45 Uhr, Arsenal; Mittwoch, 21. 2., 18:15 Uhr, Silent Green; Donnerstag, 22. 2., 18 Uhr, Sinema Transtopia.

 

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