Werbung
  • Wissen
  • Zwei Jahre Ukraine-Krieg

Krieg in der Ukraine: »Steppen wurden umgepflügt«

Der Naturschützer Petro Tjestow über die Auswirkungen des Krieges auf die Umwelt auch fernab der Front

Die Steppe auf der zurzeit von russischen Truppen kontrollierten Kinburn-Halbinsel vor dem Kriegsausbruch
Die Steppe auf der zurzeit von russischen Truppen kontrollierten Kinburn-Halbinsel vor dem Kriegsausbruch

Herr Tjestow, kürzlich wurde berichtet, dass Ölprodukte nach einem Drohnenangriff auf ein Tanklager in Charkiw die Flüsse Nemyschlja und Lopan verschmutzt haben. Wie werden die Umweltfolgen solcher Angriffe überwacht?

Eine solche Überwachung erfolgt derzeit auf zwei Wegen. Der erste Weg ist, dass staatliche Umweltinspektoren einige Orte aufsuchen und versuchen, den Grad der Verschmutzung zu ermitteln. Zweitens haben auch die NGOs ihre eigene Überwachung und ein eigenes Register für solche Ereignisse. Einer der Aspekte der Friedensformel Präsident Selenskyjs ist die Bestrafung Russlands für den Ökozid. Die Hochrangige Arbeitsgruppe über die Umweltfolgen des Krieges hat am 9. Februar einen Arbeitsbericht in ukrainischer und englischer Sprache vorgelegt. Die Dokumentation der Umweltfolgen ist also eine Priorität unseres Staates und wird fortgesetzt.

Ihre Organisation hat sich kürzlich mit dem Zustand der Wälder, insbesondere alter und ursprünglicher Wälder beschäftigt. Bereits vor der russischen Invasion gab es einige Probleme mit illegalem Holzeinschlag und nicht nachhaltigen Praktiken in der Forstwirtschaft. Inwiefern haben sich diese Probleme verschärft?

In der Kriegszeit wurde dieses Problem noch dringlicher, weil in dieser Zeit einige Dinge eingeschränkt wurden. Beispielsweise durften Menschen und damit auch Aktivisten einige Wälder nicht mehr betreten und einige Dokumentationen sind nicht mehr online verfügbar. Das hat zu einer Menge Kahlschlag und anderen nicht nachhaltigen Arten von Abholzung geführt. Aufgrund der Seeblockade ist die Europäische Union der Markt, auf den unser Holz gelangt. Wenn die EU ihre Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR) umsetzt, gibt uns das auch einige Ansatzpunkte für den Erhalt der Wälder in der Ukraine.

Interview

Petro Tjestow ist seit 14 Jahren im Naturschutzbereich tätig, davon die meiste Zeit in Nichtregierungsorganisationen. Zwei Jahre lang hat er auch für das Umweltministerium gearbeitet. Zurzeit ist er für die Ukrainische Naturschutzgruppe (Ukrainian Nature Conservation Group, UNCG) tätig. Mitglieder der UNCG waren an Gutachten zur Ausweisung neuer Naturschutzgebiete beteiligt. Tjestow ist Ko-Autor der im November 2023 von der UNCG veröffentlichten Studie »Biodiversity in the rear of Ukraine«.

Wird auch mehr Holz zum Heizen verbraucht als vor dem Krieg, weil fossile Brennstoffe ersetzt werden müssen?

Das Brennholzvolumen ist nicht so groß. Die ältesten und wertvollsten Wälder sind ziemlich weit von den Städten entfernt, und es ist schwierig, dorthin zu gelangen, um Holz zu gewinnen. Das Holz zum Heizen stammt aus den Wäldern, die wirklich in der Nähe der Städte liegen.

Wie groß ist der Anteil ökologisch wertvoller Steppen an der Landesfläche und welche ökologische Bedeutung haben sie?

Das ist sehr schwer zu berechnen, weil die Steppen an der Frontlinie liegen. Vor Kriegsbeginn machten sie nach unseren Kenntnissen ein Prozent der Landesfläche aus. Steppen sind aus verschiedenen Gründen sehr wichtig. Erstens sind sie Oasen der Artenvielfalt. Eine von drei in den Steppen vorkommenden Arten ist auf der Roten Liste für die Ukraine aufgeführt. Etwa 40 Prozent der Ukraine sind allerdings Ackerland, die Steppen wurden umgepflügt.

Das heißt, der Druck auf die Steppen ist gewachsen, weil sie in der Kampfzone liegen?

In der Region Cherson zum Beispiel haben viele Bauern ihre Höfe und ihr Land verloren, weil sie wegen des Krieges vermint waren. Die Bauern mussen in den Norden der Region Cherson ausweichen und das dortige Land umpflügen. Sie zerstören nun diese einzigartigen Steppen für die Landwirtschaft.

In Ihrer Studie haben Sie auch einige Gesetzesänderungen der vergangenen zwei Jahre erwähnt, die die Zerstörung bestimmter Bereiche erleichtern und die Überwachung durch Umweltschützer erschweren. Was wären Beispiele dafür?

Das erste sehr wichtige Beispiel ist, dass der Zugang zur Landnutzungskarte gesperrt wurde. Nicht nur an der Front, sondern auch im Hinterland. Das ist gravierend, weil Naturschützer und Aktivisten nicht mehr sehen können, welche Flächen legal oder illegal umgepflügt wurden und welchen Status diese Flächen haben, ob es sich etwa um Naturschutzgebiete handelte. Deshalb können wir unsere Arbeit nicht mehr richtig machen. Aber auch die Kontrollbehörden wurden in ihrer Arbeit ziemlich eingeschränkt. Heute können wir die Behörden nicht mehr einfach anschreiben und auffordern, dass sie einen bestimmten Ort aufsuchen und kontrollieren sollen oder die Leute bestrafen, die gegen die Umweltgesetze verstoßen haben. Denn die Inspektoren dürfen nicht mehr überall hingehen und die Situation an Ort und Stelle überprüfen. Im Frühjahr 2022 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das ein vereinfachtes Verfahren für die Umwandlung natürlicher Flächen in Ackerland ermöglicht. Und nun hat die Regierung einen neuen Gesetzentwurf veröffentlicht, wonach die Nutzung von Mooren erleichtert werden soll, zum Beispiel für die Landwirtschaft, den Torfabbau oder andere Industrien.

Haben Sie denn auch negative Veränderungen verhindern können?

Ja, wir hatten auch einige Erfolge. Die staatliche Forstbehörde wollte die Umweltverträglichkeitsprüfung abschaffen, was vom Umweltministerium unterstützt wurde. Aber wir haben dagegen gearbeitet. Die Europäische Kommission hat einen Brief an unser Parlament geschrieben, und dank dessen wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht abgeschafft. Die internationale Unterstützung ist daher sehr wichtig für uns Umweltaktivisten.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Hat der Krieg das Umweltbewusstsein der Menschen in der Ukraine verändert?

Ich glaube nicht, dass wir weniger Unterstützung von Seiten der Bevölkerung haben. Natürlich ist sie nicht so stark wie in den westlichen Ländern, aber sie ist gegenüber der Zeit vor dem Krieg nicht gesunken. Es gibt viele Öko-Aktivisten und Naturschützer. Sie sind der Armee beigetreten, und in unserer Gesellschaft herrscht die Meinung vor, dass wir die Natur auch schützen müssen, während wir kämpfen.

Was müsste nach einem Ende des Krieges beim Wiederaufbau des Landes beachtet werden?

Erstens: Wir müssen diesen Krieg gewinnen. Zweitens: Ich denke, dass wir uns beim Wiederaufbau an der europäischen Praxis orientieren müssen, und zwar an einer zukunftsweisenden. Wir dürfen keine Infrastruktur in wertvollen Naturräumen realisieren. Der wichtigste Punkt ist, dass wir unsere Steppen nicht für die Landwirtschaft nutzen sollten, sondern dass wir sie beispielsweise als Kohlenstoffsenken in Wert setzen können und dafür eine Klimafinanzierung erhalten. So können wir mit sinnvollen Maßnahmen für die Verhinderung des Klimawandels Einnahmen erzielen. Dasselbe gilt für die Abholzung. Bäume, die älter als 110 Jahre sind, dürfen wir nicht zerstören und beschädigen. Das muss in den Gesprächen über den Wiederaufbau eine Rolle spielen. Eine Priorität sollte sein, dass alle Beschränkungen und Ausnahmen in Bezug auf den Naturschutz, die während des Krieges eingeführt wurden, wieder abgeschafft werden. Das steht auch im eingangs erwähnten Bericht, der jetzt im Büro des Präsidenten liegt.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie würden Sie den Zustand der Natur in der Ukraine einschätzen?

Im europäischen Vergleich ist in der Ukraine sehr viel Natur erhalten geblieben, zum Beispiel gibt es eine große Anzahl von Luchsen und Wölfen. Die Natur in der Ukraine zu erhalten, sollte im Interesse Europas sein. Und deshalb hoffen wir, dass wir als zukünftiges Mitglied der Europäischen Union bei der Bewahrung der Natur führend sein können. In der EU wird jetzt zum Beispiel viel Geld für die Wiederherstellung der beschädigten natürlichen Ökosysteme ausgegeben. Aber wenn wir die Natur jetzt schützen, wird es nicht notwendig sein, sie wiederherzustellen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht muss die EU daher ein eigenes Interesse an der Erhaltung der unberührten Natur in der Ukraine haben.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal