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Serie »In Her Car«: Vier Quadratmeter Hoffnung

Die ZDF neo-Serie »In Her Car« erzählt von der Ukrainerin Lydia, die Opfer des russischen Krieges im eigenen Auto evakuiert

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Tetyana ist verzweifelt. Wird Lydia (Anastasia Karpenko, r.) sie noch rechtzeitig zur Verabschiedung ihres Enkel bringen?
Tetyana ist verzweifelt. Wird Lydia (Anastasia Karpenko, r.) sie noch rechtzeitig zur Verabschiedung ihres Enkel bringen?

Autos sind die perfekten Kammerspielorte. Zugleich offen und begrenzt, dabei sturmumtost still und außen starr, innen flexibel, zwingen sie Fahrer und Gefahrene auf engstem Raum zur Auseinandersetzung mit sich und der vorbeirauschenden Umgebung. Ab Tempo 30 gibt es bei allem Fortkommen schließlich kein unfallfreies voreinander Entrinnen, aber reichlich Kollisionsgefahren. Was umso mehr gilt, wenn sich das Fahrzeug auf der Flucht vor etwas weit Größerem als der eigenen kleinen Welt befindet. Vor Putins Armee zum Beispiel.

Zu Beginn der ZDF neo-Serie »In Her Car« steht diese zwar längst angriffsbereit vor ukrainischem Territorium. Trotzdem will die Psychologin Lydia (Anastasiya Karpenko) noch eben ins ostukrainische Charkiw fahren, um sich scheiden zu lassen. Aus antrainierter Hilfsbereitschaft nimmt sie die prollige Olga mit in Richtung russischer Grenze. Knapp 500 Kilometer Fahrt also, um sich mental auf den Krieg vorzubereiten. Fast acht Stunden Zeit, trotz soziokultureller Differenzen ins Gespräch zu kommen. Über ihre Schwestern, mit denen beide Streit haben. Über falsche Fingernägel als Ausdruck weiblicher Selbstbehauptung. Über den anstehenden Angriffskrieg nebst Folgen. Über alles also, was sich zwei Wildfremde auf vier Quadratmetern Mittelklassewagen Marke Skoda halt so erzählen, während sie Militärkontrollen und Monsterstaus passieren.

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Ein Land im Ausnahmezustand, das die Frauen am Ende ihrer Odyssee buchstäblich zusammengeschweißt. So sehr sogar, dass Lydia beschließt, »In Her Car«, also in ihrem Auto, weitere Gestrandete zu evakuieren. Ob ihr rollender Escape Room als Ersatz der kollabierenden Infrastruktur für sich oder andere rollt, bleibt da Auslegungssache.

»Es ist deine Natur, die Selbstlose zu spielen«, lästert Ex-Mann Dimi (Igor Koltovsky), bevor sie dessen junge Freundin im zweiten Teil als Scheidungsbedingung nach Polen fährt. Dorthin, wo ihre Tochter »Du kannst nicht alle retten« fleht, weil Lydia kehrtmacht, um genau das in einem Freiluftkammerspiel zu versuchen, das Eugen Tunik mit seinem Ko-Regisseur Arkadii Nepytaliuk geschrieben hat.

Wahrhaftige Theatralik in fünf Akten mit jeweils drei, vier Einzelschicksalen, die auf persönlicher Ebene schildern, was der Welt aktuell in Gänze widerfährt. Die Geliebte des Gatten und der werdende Vater mit dunklem Geheimnis. Die Oma des schwulen Kriegers und der herzkranke Rotkreuzhelfer aus Frankreich. Dazu Lydias Probleme mit Familie, Freundschaft; Dimis Finanzgebaren, von denen ständig Flashbacks erzählen: Es sind Miniaturen von shakespearischer Dimension, die der Menschheit Spiegel vorhalten.

Zum Glück tun sie es in der europäischen Koproduktion von Starlight Media und Gaumont mit ZDF neo, France Télévisions, dazu SRF, SVT, DR, NR, RUV, YLE nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit beiläufiger Symbolik. Hier eine Tankstelle, an der es plötzlich nur noch Benzin für Uniformierte gibt, dort Leichensäcke vorm bombardierten Mietshaus, zwischendurch Dialoge wie jener, ob Lydia »die sichere Straße genommen« habe, worauf sie tonlos zurückfragt: »Gibt es denn noch sichere Straßen?«

Diese Alltäglichkeit im Ausnahmezustand macht »In Her Car« zum Beweiswunder der Selbstzerstörung einer Spezies, die sich ihrer Erhabenheit seit Höhlentagen vor allem autoaggressiv versichert. Und wie Eugen Tunik gelegentlich ein paar Klaviertöne darüberstreuseln lässt, aber nur im Einzelfall mal melancholische Geigen und Choräle, oktroyiert er uns nur das wenigste auf. Nicht mal echte Untergangsstimmung. Im Gegenteil: Wenn seine Hauptdarstellerin Karpenko mit trotzigem Ernst ihrer inneren Stimme folgt und hilft, wo Hilfe sinnlos wirkt, lässt sie den Humanismus in einem Licht erstrahlen, das alle Achtsamkeitsseminare zusammen fahl erscheinen lässt.

Zum zweiten Jahrestag von Putins völker- wie menschenrechtswidrigem Vernichtungsfeldzug ist »In Her Car« demnach viel mehr als eine Echtzeitschilderung all dessen, was Krieg mit, aus, unter Menschen macht; es ist ein fünfmal 30 Minuten lang praktisch pausenlos fesselndes Fanal humanistischer Resilienz, das ganz nebenbei auch noch zutiefst feministisch erscheint, ohne es krampfhaft sein zu wollen.

Serien wie diese können den fatalen Narzissmus der Putins, Trumps und Höckes demnach zwar nicht bremsen, geschweige denn stoppen. Sie können allerdings für Hoffnung sorgen, dass niemand, der sich ihnen entgegenstellt, allein ist. Selbst im winzig kleinen Mittelklassewagen Marke Skoda finden sich im Zweifel Gleichgesinnte wie die ukrainische Psychotherapeutin Lydia – auch und gerade, wenn sie gar nicht so aussehen.

»In Her Car«, 5 x 30 Minuten, ab jetzt in der ZDF-Mediathek; 27. Februar, 23.05 Uhr bei ZDF neo

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