Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Krieg und Frieden

Pazifisten tragen Lichter zur russischen Botschaft

Markus Tervooren von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bei einer der Friedensdemonstrationen Berlin
Markus Tervooren von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bei einer der Friedensdemonstrationen Berlin

Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und ihre Parteivorsitzende Ricarda Lang am Samstag in olivgrünen Uniformen vor dem Bundeskanzleramt – aber natürlich nicht persönlich, sondern als Karikaturen unter der Überschrift: »Grüne an die Ostfront.« Ekkehard Skoring hat sich dieses Schild gebastelt und zur Kundgebung der Friedenskoordination Berlin getragen. Eine halbe Stunde lang überprüft die Polizei das Motiv und entscheidet dann, es sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Das Schild in der Hand, spricht Skoring mit einem russischen Nachrichtensender. Er soll sagen, warum Deutschen der Frieden mit Russland so wichtig sei. Skoring überlegt kurz und sagt: »Frieden ist immer wichtig, mit allen Ländern. Ich möchte, dass keine Ukrainer sterben, keine Russen sterben, dass überhaupt keine Menschen sterben.« Er sei kein Freund von Wladimir Putin, könne die Handlungsweise des russischen Präsidenten jedoch verstehen. Schließlich sei die Nato immer weiter nach Osten erweitert worden.

Nachdem das Kamerateam bei der Friedenskoordination alles im Kasten hat, zieht es weiter zum Reichsbürger Rüdiger Hoffmann, der am Fuße des Reichstags eine Mahnwache abhält. An Fahnenmasten des Parlaments wehen neben der deutschen und der EU-Fahne auch zwei große ukrainische Flaggen. Derweil werden am Brandenburger Tor unzählige kleine ukrainische Fahnen geschwenkt. Rund 5000 Menschen sind gekommen, um hier für einen Sieg über Russland zu demonstrieren. Der Appell »Frieden schaffen ohne Waffen« von 1982 findet sich als Losung abgewandelt zu »Frieden schaffen mit Lenkflugwaffen!« Von der Bühne herab wird verkündet: »Putin hört erst auf, wenn er eine Niederlage erlitten hat.« Und: »Solidarität bedeutet natürlich die Lieferung von Waffen. Da muss noch mehr kommen«.

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50 000 ukrainische Kriegsflüchtlinge kamen in den vergangenen zwei Jahren in Berlin unter, 15 000 Ukrainer wohnten schon vorher in der Hauptstadt. Gemessen daran und gemessen an Hunderttausenden Demonstrierenden, die sich vor zwei Jahren Unter den Linden und in der Straße des 17. Juni drängten, fällt die Beteiligung an diesem Samstag sehr bescheiden aus. Viele Menschen scheinen kriegsmüde zu werden, was Außenministerin Baerbock fürchtet, und keineswegs kriegstüchtig, was sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wünschen würde.

Darauf bezieht sich Margot Käßmann, als sie am Freitagabend bei einer am Reichstag startenden Friedensaktion bekräftigt: »Nein, wir wollen nicht kriegstüchtig werden, sondern friedenstüchtig.« Es stört die Altbischöfin, dass Begriffe wie Helden, Blutzoll und Tapferkeit inzwischen wieder zum Sprachgebrauch gehören. »Ja, Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher«, stellt Käßmann klar. »Aber Waffen sind das Problem, Waffen sind nicht die Lösung.« Die evangelische Theologin bedauert, dass Geistliche bis heute Waffen segnen. »Für mich ist das Gotteslästerung.« Käßmann bedauert außerdem: »Wir sind kleiner geworden als Friedensbewegung und werden diffamiert.«

Auf der Wiese am Reichstag sind Kerzen zu einem Friedenszeichen aufgestellt. Die werden dann zur russischen Botschaft getragen. Gut 200 Menschen beteiligen sich. Am Ziel spricht der russische Rechtsanwalt Artjom Klyga von der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer. Klyga lernt im Exil in der Bundesrepublik erst noch Deutsch, liest seinen Text aber fehlerfrei in dieser Sprache ab. Er berichtet von einem Gefühl der Hilfslosigkeit, erzählt aber auch, die russische Zivilgesellschaft sei trotz der schrecklichen Ereignisse der vergangenen zwei Jahre menschlich geblieben.

Verlesen wird eine Grußbotschaft des ukrainischen Anwalts Yurii Sheliazhenko, der in Kiew unter Hausarrest steht und dem nach eigenen Angaben bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen. Sein Vergehen: Er berät Kriegsdienstverweigerer. Der Vorwurf: Er habe den russischen Angriff gebilligt. Sheliazhenko beteuert, er habe dies mit keinem Wort getan. Als Pazifist lehne er alle Kriege ab.

Lars Pohlmeier von der internationalen Organisation IPPNW (Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges) hat schon vor vier Leuten geredet und genauso vor Hunderttausenden, wie er am Freitag sagt. Die Botschaft bleibt immer die gleiche: »Den Krieg kann man nicht gewinnen, man kann nur den Frieden gewinnen.« In den Fenstern der russischen Botschaft leuchtet an diesem Abend kein Licht mehr, aber auf dem Mittelstreifen der Straße davor brennen die Kerzen. Eine davon hat die Linke-Landesvorsitzende Franziska Brychcy hergetragen. Der Landesvorstand hatte dazu aufgerufen, sich an dieser Friedensaktion zu beteiligen. Soweit Brychcy im Dunkeln erkennen kann, sind schätzungsweise 40 Genossen gekommen.

»Jeden Tag sterben 100 Soldaten in den Schützengräben. Sie werden von der russischen und der ukrainischen Regierung in nicht gewinnbare Schlachten geschickt«, prangert die Ex-Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (Linke) an. Sie hätte jetzt im Ergebnis der Berliner Wahlwiederholung ins Parlament nachrücken können, hat aber darauf verzichtet und gesagt, sie werde sich stattdessen weiter in der Antikriegskoordination Berlin engagieren – und für die ergreift Buchholz am Freitagabend das Wort. »Wir benennen die Verantwortung Russlands für den Angriff«, betont die 52-Jährige. Es sei aber auch ein Krieg Russlands und der Nato »um die Ukraine«.

Buchholz kommt dann am Samstag auch zur Kundgebung der schon seit Jahrzenhten bestehenden Friedenskoordination Berlin (Friko) am Bundeskanzleramt, obwohl die neu gebildete Antikriegskoordination als Abspaltung gilt. Man bräuchte eine große, geeinte Friedensbewegung, bestätigt Buchholz. »Aber man müsste sich über die politischen Grundlagen einig sein.« Dies sei leider nicht der Fall. Buchholz kreidet der Friko eine nur »schwache Kritik an Putin« an. Tatsächlich sind am Bundeskanzleramt sogar einzelne Leute zu finden, die einen Sieg Russlands über die Ukraine und damit über die Nato herbeisehnen. Zu denen gehört Lothar Eberhardt aber ganz gewiss nicht. Nicht abseits, aber am Rand der Kundgebung breitet Eberhardt Informationsmaterial aus. Das Motto: »Solidarität mit allen, die sich dem Krieg verweigern.«

Auch Friko-Moderatorin Jutta Kausch-Henken ist an einer einigen Friedensbewegung gelegen. Sie versichert am Sonntag: »Wir sind im Gespräch.« Am Samstag betont sie vor mehreren hundert Menschen: »Wir wollen, dass es morgen aufhört – und nicht nur in der Ukraine, auch in Gaza.« Sie fügt hinzu: »Wir wissen, dass der Krieg eine Vorgeschichte hat und keinesfalls unprovoziert war.«

Stephan Jagielka hört zu. Er zeigt mit einer Fahne Flagge für die Linke und demonstriert so den Friedenswillen seiner Partei, der von der Wagenknecht-Partei BSW in Zweifel gezogen wurde.

Musikerin Gizem singt »Sag mir, wo die Blumen sind«. Sie würde sich wünschen, dass solche Friedenslieder irgendwann nicht mehr notwendig wären.

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