Tausende Ärzte in Südkorea riskieren mit Streiks ihre Zulassung

In Südkorea legen streikende Ärzte seit Wochen das Gesundheitssystem lahm. Die Regierung reagiert mit Drohungen, zahlreiche Protestierende geben auf

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Yoon Suk-yeol ist mehr als empört. »Der Streik der Ärzte ist ein Akt der Pflichtverweigerung und erschüttert die Grundfesten des Liberalismus und des Rechtsstaats«, sagte der südkoreanische Präsident am Mittwoch. »Auf einen Streik, der die Menschen in Geiselhaft nimmt, lässt sich nur auf harte Weise mit Recht und Prinzip reagieren.« Den Ärztinnen und Ärzten, die weiter nicht zur Arbeit antreten, sollen ihre Zulassungen entzogen werden. Und notfalls könnten sie im Gefängnis landen.

Seit nun mehr als zwei Wochen legen rund 9000 Assistenzärzte das Gesundheitssystem des ostasiatischen Landes lahm. Vermehrt müssen schon geplante Operationen verschoben werden, weil es an Personal mangelt. Die Assistenzärzte sind stattdessen auf der Straße zu finden, mit Schildern in der Hand, die sagen: »Unvorbereitete Ausbildungsexpansion macht das System kaputt«, »Patienten kommen vor der Politik« oder »Einseitige Politik bedroht die Gesundheit«.

Worüber wird gestritten? Hierauf können sich in Südkorea jedenfalls alle Seiten einigen: In der rapide alternden Gesellschaft des ostasiatischen Landes mangelt es akut an medizinischem Personal, inklusive Ärzten, und dies insbesondere in ländlichen Regionen und in mehreren Fachbereichen. Bis auf Weiteres nehmen die Engpässe noch zu. Um dieses Problem zu beheben, plant die Regierung nun, künftig pro Jahr 2000 Ärztinnen und Ärzte mehr auszubilden als bisher.

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Doch diese Idee stößt auf herben Widerstand. Erst am vergangenen Wochenende waren Tausende Ärzte in Seoul auf der Straße. Viele der überwiegend jungen Doktoren fürchten, eine höhere Zahl an Medizinern würde das Problem nicht lösen, sofern nicht auch ein besseres Ausbildungssystem entstehe. »Die Qualität der Ausbildung wird stark sinken, was zu einem unsicheren Gesundheitssystem mit geringer Qualität führen wird«, sagte dieser Tage Lee Jeong-geun, Chef des Ärzteverbands, auf einer Demonstration.

Zudem wird davor gewarnt, dass bei einer höheren Zahl von Medizinern auch mehr operiert wird, wo eigentlich nicht operiert werden müsste. Wobei im Moment eben weniger operiert wird. Die Regierung hat daher einen Notfallfonds angekündigt, der das Schlimmste verhindern soll. Aber das grundsätzliche Problem bleibt akut: Was lässt sich noch tun, wenn die Leute sich weigern, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren?

Genau das scheint bisher in der Regel der Fall: Mehrere Aufforderungen der Regierung, die Streikenden mögen an die Bedürfnisse der Gesellschaft denken, blieben ergebnislos. Und die Drohung, es werde zur Aberkennung ihrer Zulassung kommen, scheint die Sache eher noch schlimmer zu machen: Nur wenige Nachwuchskräfte lenkten ein. Viel mehr von ihnen reichten stattdessen ihre Kündigung ein. So liegen die Nerven dieser Tage in ganz Südkorea blank.

Ärzte streiken gegen eine höhere Zulassungszahl von Ärzten: Auf den ersten Blick scheint es, als würde hier eine eher privilegierte Gruppe um ihren Status fürchten, weil es in Zukunft größere Konkurrenz geben könnte. Und während dies tatsächlich eine Rolle spielen mag, geht es zugleich um mehr: Schon länger klagen Ärzte über lange Arbeitszeiten und Überstunden. Zudem fordern sie insgesamt eine bessere Ausstattung des Gesundheitssystems, weit über eine Erhöhung der Zahl von Fachkräften.

Jenseits dieses konkreten Kampfes haben die Proteste aber auch eine große Bedeutung für das Protestieren an sich: In Südkorea, offiziell eine liberale Demokratie mit Streikrecht und Versammlungsfreiheit, werden Proteste aus der Arbeiterbewegung immer wieder aufgelöst und enden mit Verhaftungen, sobald die Streikenden die Regeln nur wenig überschreiten, etwa indem sie Proteste über angemeldete Straßenabschnitte hinaus ausdehnen.

Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch haben die Unterdrückung von Protesten wiederholt kritisiert. Intellektuelle im Land ziehen gelegentlich eine Parallele zur Ära der Militärdiktatur, die in Südkorea bis Mitte der 1980er Jahre reichte und von einer sehr harten Hand gegenüber Protesten geprägt war. Die Regierung beschäftigt sich dieser Tage wenig mit historischen Bezügen. Sie will, dass die Ärztinnen und Ärzte sofort zurück in die Kliniken kommen. Wobei bisher wenig darauf hindeutet, dass dies auch geschehen wird.

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