Kongress zu Palästina in Berlin unter Beobachtung

Berliner Senat prüft nach Antisemitismus-Vorwürfen ein Verbot der Veranstaltung Mitte April

  • Matheus Hagedorny
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest, der die Gemüter spaltet: Propalästinensische Kundgebung in Berlin
Protest, der die Gemüter spaltet: Propalästinensische Kundgebung in Berlin

Es ist eine Großveranstaltung mit Hindernissen: Das Organisationsteam des internationalen Palästina-Kongresses, der vom 12. bis 14. April in Berlin stattfinden soll, beklagt im Vorfeld Repression und Hetze. Ziel sei es, »die anhaltenden Völkerrechtsbrüche« Israels im Krieg im Gazastreifen anzuklagen »und eine Plattform für die Vernetzung der Bewegung zu bieten«. Das Interesse dafür scheint immens. Fünf Wochen vor dem Termin sind die Tickets nach eigenen Angaben restlos ausverkauft. Doch bis jetzt ist unklar, ob und wie die mutmaßlich Hunderten Teilnehmer*innen in der Hauptstadt überhaupt zusammenkommen – zumal ein Verbot im Raum steht.

Die Debatte hatte Auftrieb erhalten, nachdem Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe Mitte März im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses in Aussicht gestellt hatte, mögliche Auflagen oder ein Verbot zu erlassen. In den Augen der Kongress-Veranstalter*innen sind diese Überlegungen ein »Angriff auf die demokratischen Grundrechte und auf einen Versuch der Völkerverständigung«.

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Der Berliner Senat sieht den Kongress dagegen vor dem Hintergrund einer enormen Zunahme antisemitischer Straftaten in der Hauptstadt seit dem Massaker der Hamas in Südisrael am 7. Oktober 2023. Laut der Senatssprecherin Christine Richter werde die Polizei »unmittelbar und konsequent einschreiten, sollte es zu antisemitischen, gewaltverherrlichenden Aussagen, Aufrufen zur Vernichtung Israels oder anderen strafrechtlich relevanten Inhalten im öffentlichen Raum kommen«.

Die Erwartung, dass es beim Kongress zu Hassreden kommen könnte, wird mit dessen Organisator*innen und bereits bekannten Redner*innen begründet. Einige verklären laut übereinstimmenden Medienberichten den Massenmord der Hamas am 7. Oktober zum »Widerstand« und halten Berichte über Vergewaltigungen für Propaganda. Andere bestreiten das Existenzrecht Israels und unterstützen die vom Bundestag als antisemitisch eingestufte BDS-Kampagne.

Nach Ansicht von Kim Robin Stoller, Vorsitzende des Internationalen Instituts für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA), ist auf dem Kongress eine »Querfront« zu erwarten, die von »sektiererischen Linken« bis zu Kreisen reicht, »die der in Deutschland verbotenen Gruppe Samidoun, Hamas-Unterstützungsstrukturen oder der Muslimbruderschaft nahestehen«. Mit Blick auf frühere Statements hält Stoller »Antisemitismus, Gewaltaufrufe und Terrorbefürwortung« auf dem Kongress für wahrscheinlich. Nachfragen von »nd« zu ihren Positionen zu islamistischen, nationalistischen und terroristischen Gruppen beantworteten die Organisator*innen nicht.

Indes legt der Kongress Wert auf prominente Stimmen, um die vermutete »Medienblockade« zu durchbrechen. Der bislang prominenteste angekündigte Redner ist Yannis Varoufakis. Der griechische Politiker wirbt für einen Boykott Israels in der EU und weigerte sich auf Nachfrage, das Hamas-Massaker vom 7. Oktober als Terror zu verurteilen. Möglich ist, dass noch bekanntere Galionsfiguren der Palästina-Solidaritätsszene hinzukommen. Um etwaige Einreiseverbote zu erschweren, wollen die Veranstalter*innen einige Namen erst kurz vor Beginn ankündigen, wie die Wochenzeitung »Jungle World« berichtete.

Zwei Vorfälle stiften bereits im Vorfeld des Kongresses Unruhe in der Palästina-Solidaritätsszene. Am 22. März durchsuchte die Polizei Wohnungen von zwei Mitorganisator*innen des Kongresses, Yasemin A. und Salah S., und beschlagnahmte Datenträger. Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft erfolgte der Einsatz aufgrund von Ermittlungen wegen versuchter Nötigung und habe mit der bevorstehenden Konferenz nichts zu tun.

Am 25. März hat die Berliner Sparkasse das Konto des Vereins Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost gesperrt. Die Aktivist*innen werten die Maßnahme als politische Verfolgung durch den deutschen Staat wegen des bevorstehenden Palästina-Kongresses. Nach eigenen Angaben hatte die Jüdische Stimme dem Kongress ihr Konto zur Verfügung gestellt und ist auch für dessen Website presserechtlich verantwortlich. Die Sparkasse äußerte sich nicht zum Vorgang.

Anne Helm, Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, teilt die Sorge vor antisemitischer Agitation auf dem Kongress. Gegenüber »nd« kritisiert sie zugleich eine Engführung der Debatte: »Wir sehen mit Sorge, dass sich bei einigen politischen Akteuren der Kampf gegen Antisemitismus in repressiven Instrumenten erschöpft. Aufklärung und Bildung sowie Sichtbarkeit und Schutz von Betroffenen geraten in der politischen Debatte oft in den Hintergrund.«

Ob ein Verbot des Kongresses tatsächlich erfolgt oder behördliche Auflagen durchgesetzt werden können, ist unklar. Die Polizei Berlin betont gegenüber »nd«, dass für eine Veranstaltung in geschlossenen Räumen eine höhere Eingriffsschwelle besteht als für Versammlungen unter freiem Himmel.

Angesichts des starken Gegenwinds scheinen sich die Veranstalter*innen derweil auf alle Eventualitäten einzustellen. Sie rufen ihre Verbündeten dazu auf, den Kongress dezentral an den Bildschirmen zu verfolgen. Am 14. April sollen sie weltweit Kundgebungen vor diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik abhalten, um ein »öffentliches Tribunal gegen die deutsche Regierung mit weltbekannten Redner*innen in Berlin« zu verbreiten. So soll der Palästina-Kongress allen Unwägbarkeiten zum Trotz ein Fanal werden.

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