Berliner Antisemitismusklausel: Warnung vor Missbrauch

Juristische Bedenken gegen Antisemitismusklausel

Neue Zweifel an der Antidiskriminierungsklausel: Ein Gutachten, das die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne) in Auftrag gegeben hat, zeigt sich skeptisch gegenüber der vom Senat geplanten Vorgabe an Kulturschaffende, sich von Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen zu distanzieren. »Von durchdachten Regelungen kann man auch bei Sympathie für das Anliegen in der Sache nicht sprechen«, schreibt der Verfassungsrechtler Christoph Möllers von der Humboldt-Universität. In dem Gutachten, aus dem verschiedene Medien zitieren, werden auch ähnliche Bestrebungen in anderen Bundesländern behandelt.

Nach Kontroversen um Auftritte israelfeindlicher Künstler in einem Neuköllner Kulturzentrum hatte Kultursenator Joe Chialo (CDU) im Januar im Blitzverfahren eine Klausel für Zuwendungsbescheide für die staatliche Kulturförderung eingeführt. Künstler mussten mit ihrer Unterschrift versichern, sich zum Kampf gegen Antisemitismus nach der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu bekennen und sicherzustellen, dass die Fördergelder keinen extremistischen Vereinigungen zugutekommen.

Das Vorgehen rief Kritik hervor. In einem offenen Brief warnten hunderte Kulturschaffende vor »Gesinnungsschnüffelei«. Opposition und Chialos Koalitionspartner SPD kritisierten, dass der Prozess überhastet erledigt worden sei. Chialo zog die Klausel bereits nach wenigen Wochen wieder zurück, um sie zu überarbeiten.

Dass es Handlungsbedarf gibt, stellt auch Möllers nicht in Frage. In den vergangenen Monaten habe es eine »dramatische Zunahme eines offenen Antisemitismus im Kulturbetrieb« gegeben, schreibt der Jurist. Ob derartige Selbstverpflichtungen der richtige Weg sind, um dem entgegenzutreten, bezweifelt Möllers allerdings. »Der Staat übt in Deutschland im Bereich der Kunstförderung eine sehr starke, monopolartige Stellung aus«, schreibt er. »Der Konformitätsdruck staatlicher Maßnahmen ist in einer weitgehend etatisierten Kulturlandschaft besonders hoch und verdichtet sich zu einer faktischen Eingriffswirkung.«

Damit greife der Staat also in die Kunstfreiheit ein, obwohl diese auch für öffentliche Kultureinrichtungen gelte. Möllers bemängelt vor allem, dass sich die Kunstschaffenden zu einer spezifischen Definition von Antisemitismus verpflichten müssen. Hier sieht er einen Eingriff in die Bekenntnisfreiheit, weil die IHRA-Definition umstritten sei. »Wenn der Staat in eine offene wissenschaftliche Diskussion so interveniert, dass sich Private eine Lehrmeinung aneignen müssen, greift er damit in die Freiheit der inneren Meinungsbildung ein«, kritisiert Möllers. Der IHRA-Definition wird vorgeworfen, Kritik an Israel pauschal unter Antisemitismusverdacht zu stellen. Die alternative Jerusalem-Definition wird wiederum dafür kritisiert, für diese Form des Antisemitismus blind zu sein.

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Die Eingriffe seien allerdings von geringer Intensität, schränkt Möllers ein. Schließlich seien Kunstschaffende zumindest theoretisch nicht gezwungen, sich vom Staat bezahlen zu lassen. Der Staat könne »die Förderung von Kunst und Kultur mit nicht kunst- oder kulturimmanenten weiteren Zielen verbinden«. Problematischer sei die Umsetzung, denn es müsse auch geprüft werden, ob die Selbstverpflichtung eingehalten wird. Solche Kontrollstrukturen seien aber »missbrauchsanfällig«. So oder so brauche es eine gesetzliche Grundlage für die Klausel. Chialo hatte seine Antidiskriminierungsklausel nur als verwaltungsinterne Verordnung konzipiert.

Auch die Linke-Kulturpolitikerin Manuela Schmidt meldet gegenüber »nd« juristische Bedenken an. »Ich glaube nicht, dass die Klausel Rechtssicherheit schaffen würde«, sagt sie. Statt einer Klausel wünsche sie sich einen »Leitfaden«, mit dem sich Kulturinstitutionen und Senat auf einen Umgang mit menschenfeindlichen Ideologien verständigten. »Das sollte von unten kommen, nicht von oben.« Das heiße aber nicht, dass es keine »roten Linien« geben dürfe. »Natürlich kann es keine Förderung für Antisemitismus geben«, so Schmidt.

Eine Stellungnahme der Senatskulturverwaltung steht noch aus.

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