Wenn Pharmahersteller Patienten »informieren«

Laienwerbung für rezeptpflichtige Mittel ist in Deutschland eigentlich verboten, wird aber immer häufiger

Was beworben wird, wird auch nachgefragt. Das gilt auch für verschreibungspflichtige Medikamente und Impfungen.
Was beworben wird, wird auch nachgefragt. Das gilt auch für verschreibungspflichtige Medikamente und Impfungen.

»Wenn Ihnen die Luft wegbleibt, dann nur vom Leben.« Dieser Satz prangt in großen Buchstaben von der ganzseitigen Anzeige in einer bunten Wochenzeitschrift. Kleiner dann eine kurze Information über das steigende Risiko ab 60 Jahren, an einer bakteriellen Lungenentzündung zu erkranken und den möglichen Impfschutz. Dazu zwei Aufforderungen: »Folgen Sie der Stiko-Impfempfehlung« und abgesetzt oben rechts: »Machen Sie einen Termin bei Ihrem Hausarzt!« Unten rechts auf der Seite wird erkennbar, dass der Pharmahersteller Pfizer für die Anzeige steht – der für zwei der insgesamt 18 in Deutschland zugelassenen Pneumokokkenimpfstoffe die Zulassung hält.

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Bei der Anzeige handelt es sich um Werbung in der Laienpresse. Es geht um einen Impfstoff, den nicht jeder einfach erwerben kann. Solche Werbung ist in Deutschland verboten – eigentlich. Anzeigen, die hier einen Graubereich ausnutzen, häufen sich gerade, oft »getarnt« als Krankheitsinformation: Meningokokken, Gürtelrose (Herpes zoster) oder, wie in jedem Frühjahr, die von Zecken in Risikogebieten übertragene Meningitis sind die Themen. Die Werbung taucht im Internet auf, etwa bei Youtube, aber auch auf Plakaten, im Fernsehen oder in Zeitschriften.

Der Trick, der diese Art Reklame als zulässig erscheinen lässt, ist einfach: Das jeweilige Mittel wird in der Anzeige nicht genannt. Und selten findet sich jemand, der Anstoß nimmt, geschweige denn juristische Schritte einleitet. Das Problem dieser Laienwerbung war eines der Themen bei einer Fachtagung in Hannover am letzten Wochenende. Eingeladen hatten die pharmakritische Ärzteinitiative Mezis (»Mein Essen zahl ich selbst«) und der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Insgesamt ging es unter dem Motto »Wie krank ist das denn?« unter anderem um Übertherapie und Medikalisierung. Letzteres meint einen Vorgang, bei dem ein beliebiges Phänomen aus dem gesellschaftlichen Raum Thema in der Medizin wird. Beispielhaft ist hier der Umgang mit dem weiblichen Körper. Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Menopause wurden immer mehr ärztlicher Obhut und medizinischer Normierung unterworfen – mit Folgen für die Selbstbestimmung der Frauen.

Die Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente und Impfungen, die sich an medizinische Laien richtet, kommt jedoch auch bei den Ärzten an. Und zwar dann, wenn gesunde Patienten, die möglicherweise nicht einmal einer Risikogruppe angehören, bei ihrem Hausarzt auf bestimmte Verschreibungen drängen. Das gilt selbst für die harmlosen »Gesundheitsinformationen«, meint in Hannover der Allgemeinmediziner Niklas Schurig: »Ausreichend häufig als Problem dargestellt, finden sich dann für Studien etwa zum Thema Alzheimer ganz schnell genügend Probanden.«

Für die Ärzte ergibt sich bei der Werbung für Impfungen noch ein weiteres Problem: Durch das agressive Vorgehen, auch mit dem Schüren von Angst durch die abstoßende Darstellung von Krankheitsfolgen, kann in Teilen der Bevölkerung die Impfung als solche diskreditiert werden. Der Manipulationsversuch macht eine medizinische Intervention generell verächtlich, wo sie doch in genau definierten Fällen sinnvoll wäre. Hinzu kommt, dass zumindest die Ärzte bei Mezis sehen, dass Arzneimittelherstellung weniger ein philanthropisches Unterfangen, sondern vor allem ein großes Geschäft ist. In Deutschland funktioniert dieses gut, wie Zahlen von 2020 zeigten: Die 21 größten Pharmahersteller der Welt verursachten mit ihren Produkten 53 Prozent der Arzneimittelkosten der gesetzlichen Krankenversicherer in Deutschland. Zugleich lagen die Ebit-Margen (Ergebnis vor Steuern und Zinsen) dieser Hersteller im Schnitt bei fast 26 Prozent.

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