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IG Metall: Bald keine Züge mehr aus Hennigsdorf

Streiks nicht ausgeschlossen: IG Metall wirft französischem Zughersteller Alstom Tarifbruch vor und kündigt harte Auseinandersetzungen an

Fertigungshalle im Produktionswerk Hennigsdorf: Arbeiten für einen Elektrotriebzug des Alstom-Vorgängers Bombardier
Fertigungshalle im Produktionswerk Hennigsdorf: Arbeiten für einen Elektrotriebzug des Alstom-Vorgängers Bombardier

Nach Jahren der Unsicherheit sollten die Wagenbauer*innen von der Havel heute eigentlich gelassen ihrer Arbeit nachgehen. Vor einem Jahr hatte die Gewerkschaft IG Metall mit dem französischen Konzern Alstom, dem weltweit zweitgrößten Schienenfahrzeughersteller, einen deutschlandweit gültigen Zukunftstarifvertrag abgeschlossen, der auch den Standort Hennigsdorf dauerhaft sichern sollte.

Genau dieser Tarifvertrag, und damit die Zukunft von Alstom und der Beschäftigten in Deutschland, steht nun infrage. Die IG Metall wirft dem Konzern vor, sich nicht an den Tarifvertrag zu halten und insbesondere Zunkunftsinvestitionen in die deutschen Standorte nicht vorzunehmen. Vergangenen Freitag hatte ein letzter Termin von Betriebsräten und Alstom vor der Einigungsstelle keine Ergebnisse gebracht. Nun droht erneut ein Arbeitskampf um die Zukunft der Jobs aufzuflammen.

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Bereits vorab hatten sich bei einer Mitgliederbefragung der IG Metall 88 Prozent der Teilnehmenden für eine Kündigung des Tarifvertrages ausgesprochen. Mit dem Zukunftstarifvertrag wollte die IG Metall ursprünglich die insgesamt 9600 Arbeitsplätze in Deutschland sichern und den Abbau von 1300 Stellen verhindern. Allein in Hennigsdorf sollten 450 Jobs wegfallen. Der Bereitschaft seitens der Belegschaft auf Urlaubsgelder – immerhin 34 Millionen Euro pro Jahr – zu verzichten, begegnete Alstom mit der Zusage, die Produktionsbedingungen und damit die Konkurrenzfähigkeit zu verbessern, Investitionen vorzunehmen und die Werke mit entsprechenden Aufträgen zu versorgen. Zudem sollten die nicht tarifgebundenen Standorte an den Vertrag angeschlossen werden. Die Laufzeit des Tarifvertrages wurde auf drei Jahre festgelegt, wobei verabredet wurde, die abgezweigten Urlaubsgelder zurückzuzahlen, sobald die getroffenen Maßnahmen greifen und bestimmte Produktivitätskennzahlen erreicht werden.

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Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Zusagen auch von Alstom eingehalten werden. Die IG Metall und der Gesamtbetriebsrat werfen dem Management vor, die Umsetzung bewusst zu verschleppen. »Bis heute gibt es keine belastbaren Aussagen des Managements, wie die Verhandlungsergebnisse umgesetzt werden sollen«, erklärte Uwe Garbe, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen. Im Bezirk Ostsachsen liegen die beiden Standorte Bautzen und Görlitz. Letzterer sei ebenso wie das Werk in Hennigsdorf akut bedroht, denn erneut ist davon die Rede, dass 290 Stellen deutschlandweit abgebaut werden sollen, was ganz klar gegen den Zukunftstarifvertrag verstoße, sagte der Gesamtbetriebsratvorsitzende René Straube. »Die wollen nur die Kohle einsacken.« Er kündigte »harte Auseinandersetzungen« für den Fall an, dass Alstom nicht die richtigen Weichen stelle.

Doch die Weichenstellung liegt nicht allein in der Hand von Alstom. Bis 2026 hat das Werk noch genügend Aufträge, darüber hinaus fehlt es noch an Perspektive. Ein riesiger Auftrag, der womöglich das Werk in Hennigsdorf über Jahre, wenn nicht gleich Jahrzehnte auslasten würde, winkt hinter der Ländergrenze. Doch im Ausschreibeverfahren um einen großen Teil des Berliner S-Bahnnetzes ist Alstom im Hintertreffen. Das konkurrierende Konsortium aus Deutsche Bahn, Siemens und Stadler bietet nicht nur die Fertigung und Wartung der Züge, sondern auch noch deren Betrieb ab 2029 bis in die 2040er Jahre. »Um die Produktion in Hennigsdorf langfristig zu sichern, brauchen wir diesen Auftrag. Ansonsten wird es schwierig«, erklärte der Betriebsratschef Heiko Engelmann der »Märkischen Allgemeinen«. Alstom hatte zuletzt ein wegen unlauteren Wettbewerbs angestrengtes Gerichtsverfahren weitestgehend verloren.

Im Gespräch mit dem »Tagesspiegel« hatte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Straube gesagt, dass der Rohbau der Züge künftig in Breslau und Kattowitz erfolgen solle. Straube stellte die Frage in den Raum, wie lange es noch dauere, bis aus Kostengründen die Züge komplett im Ausland produziert würden. Nur ein Viertel der Belegschaft in Hennigsdorf sei überhaupt noch in der Fertigung tätig, der Rest in Entwicklung und Verwaltung.

Während die Geschäftsstelle Oranienburg/Potsdam den Standort in Hennigsdorf betreut, liegen in der Zuständigkeit der Geschäftsstelle Berlin die Unternehmen Stadler und Siemens-Mobility. Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin, positioniert sich im Bieterverfahren klar. »Für die Industrie in der Hauptstadtregion ist die Vergabe des S-Bahn-Auftrags an Siemens und Stadler die beste Lösung«, hatte Otto ebenfalls dem »Tagesspiegel« gesagt. »Unser Anliegen ist local content: Wir möchten so viel Wertschöpfung wie möglich in den deutschen Werken, doch das scheint mir mit Alstom nicht möglich«, zitiert der »Tagesspiegel« ihn weiter.

»Alstom nimmt die von der Arbeitnehmerseite erklärte Absicht, den gemeinsam ausverhandelten Zukunftstarifvertrag zu kündigen, mit Bedauern und Unverständnis zur Kenntnis«, sagt ein Sprecher von Alstom zu »nd«. Aus Unternehmenssicht fehle dafür die Grundlage. Alstom sei nach wie vor vom Zukunftstarifvertrag und dessen erfolgreicher Umsetzung innerhalb der dreijährigen Laufzeit überzeugt. Inwieweit sich der Stellenabbau auf die einzelnen Werke verteile, stehe noch nicht fest. Allerdings gehe es um Jobs in Verwaltung und Vertrieb. Der Stellenabbau betreffe »explizit nicht die Jobs in der Produktion, die vom Zukunftstarifvertrag geschützt sind«. Deutschland sei der größte und bedeutendste Bahnmarkt in Europa und Alstom wolle und werde die Zukunft der Mobilität in Deutschland prägen, so der Sprecher.

Der Bahnfertigungsstandort in Hennigsdorf hat eine über 100-jährige Tradition. Mit 2000 Beschäftigten ist er der größte Standort in Ostdeutschland. 2021 hatte Alstom die Zugsparte vom kanadischen Unternehmen Bombardier übernommen. 2019 war eine Fusion von Alstom mit Siemens Mobility von der EU-Kommission untersagt worden.

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