Umkämpfte Koalitionsfreiheit: FU Berlin mahnt Gewerkschafter ab

Geht die Freie Universität Berlin verfassungswidrig gegen Gewerkschaften vor? Zwei Anwälte über die Bedeutung eines Abmahnverfahrens

Die Rechtsanwälte Benedikt Hopmann und Reinhold Niemerg vor ihrer Kanzlei in der Schönhauser Allee
Die Rechtsanwälte Benedikt Hopmann und Reinhold Niemerg vor ihrer Kanzlei in der Schönhauser Allee

Sie sind als Anwälte eines Beschäftigten der FU Berlin mandatiert. Ihr Mandant ist Vorstandsmitglied der Betriebsgruppe der Gewerkschaft Verdi und wehrt sich gegen eine Abmahnung. Ende Mai fand ein erster Termin vor dem Arbeitsgericht statt. Worum geht es genau?

Reinhold Niemerg: Anlass der Abmahnung war ein Artikel, der auf der Internetseite der Betriebsgruppe stand. Abgemahnt wurden alle Vorstandsmitglieder – wir vertreten einen von ihnen. Es gehen aber noch weitere Betroffene gerichtlich dagegen vor.

Benedikt Hopmann: Entscheidend ist, was in dem Text stand. Im Grunde war es ein Aufruf, sich an den großen Demonstrationen gegen rechts, insbesondere die AfD, zu beteiligen. »Beteiligt euch als Gewerkschafter« war die Stoßrichtung. Der Aufruf beginnt mit der Einschätzung, dass die Regierung die Bevölkerung durch ihre Abschiebepolitik sowie Erhöhung der Rüstungs- und Kürzung der Sozialausgaben nach rechts treibt. »Rechtes Gedankengut wächst am besten in einem Klima der Prekarität.« Natürlich fragten sich die Mitglieder als Beschäftigte: »Wie sieht es bei uns im Betrieb aus?« Und ihre Antwort lautete: »Das gilt auch für unseren Arbeitgeber. Wer Tarifverträge nicht einhält, Mitbestimmung und demokratische Prozesse im Betrieb aktiv bekämpft, sorgt für politischen Verdruss.« Dadurch fördere die FU den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD.

Wie begründet denn die FU die Abmahnung?

BH: Das vom Präsidenten unterzeichnete Schreiben greift den Vorwurf auf, die FU würde aktiv Mitbestimmung sowie demokratische Prozesse bekämpfen und als gewerkschaftsfeindlicher Arbeitgeber der AfD und der politischen Rechten den Weg bereiten. »All dies ist offensichtlich unzutreffend«, heißt es in der Abmahnung. Der Artikel stelle eine loyalitäts-, eine ehrverletzende Kritik des Arbeitgebers dar, womit der Betriebsgruppenvorstand seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe. Die genannten Vorwürfe seien außerdem nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

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Benedikt Hopmann wehrte im Fall »Emmely« die Kündigung einer Kassiererin für das Unterschlagen von Pfandbonds im Wert von 1,30 Euro ab. Aktuell vertritt er Kuriere des Lieferdienstes Gorillas. Deren Kündigung wegen der Teilnahme an wilden Streiks verstoße Hopmann zufolge gegen europäisches Recht.
Reinhold Niemerg vertritt als Fachanwalt für Arbeitsrecht Beschäftigte sowie Betriebs­räte in der betrieblichen Praxis.

Auf Abmahnungen trifft man im Arbeitsalltag immer wieder. Warum hat sie in diesem Fall besonderes Gewicht?

RN: Eine Abmahnung hat prinzipiell besonderes Gewicht. Sie steht nicht einfach nur in der Personalakte, vielmehr ist sie das Instrument zur Vorbereitung einer Kündigung. Die Arbeitgeberin weiß genau, was sie mit so einer Abmahnung macht. Ziel ist es in dem konkreten Fall, in Zukunft zu verhindern, dass gleichgerichtete politische Aussagen von dieser gewerkschaftlichen Gruppe geäußert werden. Insofern ist die Abmahnung als Einschüchterung zu werten.

BH: Das ist ein Angriff auf die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften in den Betrieben, die als Koalitionsfreiheit in Artikel 9 des Grundgesetzes geschützt ist. Schließlich entsteht Meinung in hitzigen Auseinandersetzungen. Wenn ich mich durch einen Artikel zu Unrecht beschuldigt oder angegriffen fühle, dann gibt es ausgefeilte Wege, auf denen ich dem begegnen kann: das Pressegesetz, das Zivilrecht und schließlich das Strafrecht. Warum nutzt der Arbeitgeber im vorliegenden Fall diese Instrumente nicht und setzt stattdessen gleich am Arbeitsverhältnis an? Es wird gewissermaßen mit der Existenzgrundlage der Beschäftigten gespielt, sobald diese eine Meinung äußern, die dem Unternehmen nicht passt. Aber genau da beginnt die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit.

Warum denken Sie, geht das Präsidium sogleich und ausschließlich den arbeitsrechtlichen Weg?

RN: Es ist letztlich das wirksamste Mittel, um einzuschüchtern. Damit zielt die FU direkt auf die Existenz, und zwar der Gewerkschaft, auf den Gewerkschafter, der sich vor Ort betätigt. Der Einschüchterungsversuch soll die Gewerkschaftsarbeit vor Ort beeinflussen.

Wieso denken Sie, dass die Abmahnung nicht rechtmäßig ist?

BH: Zunächst stützt sich die Betriebsgruppe in ihrer Argumentation auf Tatsachen. Der Verstoß gegen den Tarifvertrag ist dadurch belegt, dass erst aufgrund einer lang anhaltenden gewerkschaftlichen Kampagne 312 Beschäftigten Zuschläge von insgesamt über zwei Millionen Euro nachgezahlt wurden. Ein zweites wichtiges Tatsachen-Element ist die Ausgliederung von Arbeiten. Outsourcing ist in den letzten Jahrzehnten wie ein Sturm durch die Betriebe gefegt, was für eine massive Tarifflucht gesorgt hat. Das gilt an der FU eben für die Reinigung. Und schließlich sind es auch die Verstöße gegen die Mitbestimmungsrechte der Personalräte, die nachweislich verletzt wurden und deren Einhaltung eingeklagt werden musste. Das sind aus unserer Sicht Tatsachen, die kaum bestritten werden können. Die FU geht aber noch weiter und sagt, die Kritik der Betriebsgruppe, dass die Uni mit ihrer Politik, dem rechten Rand in die Karten spiele, sei ehrverletzend, selbst wenn die Tatsachen stimmen.

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Und das halten Sie auch für unhaltbar?

BH: Ja, denn der Zusammenhang zwischen diesen Angriffen auf Mitbestimmung und Tarifverträge und der Entwicklung nach rechts ist in Studien, die wir als Belege anführen, bereits nachgewiesen worden: Armutsgefährdung und die Zustimmung zu rechtsextremen Parteien korrelieren. Andererseits sind es vor allem Tarifverträge, die dieser Armutsgefährdung entgegenwirken. Wenn man diese Zusammenhänge ernst nimmt, bedeutet das eben, dass sich die Politik ändern muss – großflächig und in den einzelnen Betrieben.

In der Begründung der Abmahnung beanstandet die FU, dass sie als gewerkschaftsfeindlicher Arbeitgeber tituliert wird.

BH: Wir haben es hier mit einer Betriebsgruppe von Verdi zu tun. Und für eine Gewerkschaft im Betrieb hängt die Wertung, ob ein Arbeitgeber gewerkschaftsfeindlich ist, maßgeblich davon ab, ob er sich an Tarifverträge hält.

Die Betriebsgruppe schlägt den argumentativen Bogen, dass gewerkschaftsfeindliches Verhalten Vertrauen in die Demokratie untergrabe.

BH: Auseinandersetzungen um Tarifverträge sind demokratische Prozesse: Wenn eine Belegschaft zum Beispiel mittels Streik versucht, ihre Interessen durchzusetzen, ist das ein demokratischer Prozess, weil die Beschäftigten sich unmittelbar an der Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, Löhne, Urlaub etc. beteiligen. Diese Beteiligung ist konkreter Ausdruck von Demokratie. Wenn ein Tarifvertrag abgeschlossen wird, bestimmt nicht mehr der Unternehmer allein die Arbeitsbedingungen.

Es geht Ihnen nicht nur um die Abmahnung, sondern auch darum, festzustellen, dass hier die Koalitionsfreiheit verletzt und Verfassungsbruch begangen wurde.

BH: Ja, die Abmahnung würde als unrechtmäßig aus der Personalakte verschwinden, wenn festgestellt würde, dass das von Ihnen genannte Grundrecht verletzt wurde.

Von Ferne betrachtet streiten sich FU und Gewerkschaft schon immer gerne. Nun eine Gerichtskampagne gegen eine Abmahnung. Warum ist dieses Klein-Klein relevant?

BH: Der Konflikt an der FU ist beispielhaft und hat deswegen weit über die FU hinaus Bedeutung. Es geht um die Frage: Warum wird denn die AfD immer stärker? Das beantwortet die Betriebsgruppe, indem sie sagt: »Das, was die AfD will, macht zum Teil die Regierungspolitik. Der massive Abbau von sozialen Leistungen, der Kampf gegen die Tarifbindung, die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen von großen Teilen der Bevölkerung einerseits und die Aufblähung des Rüstungshaushalts andererseits bereiten der AfD den Weg.« Der Kampf um den erreichten Lebensstandard ist ein Kampf, der in zahllosen Betrieben stattfindet – häufig lautlos, aber wirksam von Unternehmerseite gegen die Beschäftigten geführt. Die Gegenwehr der Beschäftigten zur Verteidigung ihres Lebensstandards ist nicht nur ein Kampf gegen die Unternehmer, sondern auch gegen rechts. Doch die Beschäftigten finden wenig politische Unterstützung. Der krasse Schwund der Tarifbindung zeigt, was uns verloren gegangen ist.

RN: Ein Blick in die Vergangenheit zeigt zudem, dass das Klein-Klein eine Geschichte hat und in der Fläche stattfindet. In den Nullerjahren gründete die FU für den Botanischen Garten eine eigenständige Firma, die weit unter Tariflohnniveau bezahlte. Das setzt sich im Umgang mit dem Personalrat fort, der seine Beteiligung regelmäßig per Gericht durchsetzen muss. Unterm Strich summiert sich das Klein-Klein zu einer Auseinandersetzung um die Einhaltung von Regelungen zugunsten der Beschäftigten, wie sie in den Gesetzen und Tarifverträgen verankert sind – eine Auseinandersetzung, hinter der handfeste Interessen auf beiden Seiten stehen.

Ein Richterspruch ist erst für Dezember vorgesehen. Was würde es bedeuten, sollte ein Urteil in Ihrem Sinne fallen?

RN: Der Versuch, die Betriebsgruppe einzuschüchtern, wäre gescheitert. Damit wäre der Weg offen, dass in Zukunft weiter Politikfelder thematisiert und problematisiert werden können. Ein negatives Urteil hingegen wäre ein Angriff auf die Gewerkschaften, die sich in solchen Betriebsgruppen konstituieren. Deshalb geht es unserer Ansicht nach hier letztlich um die Verteidigung der grundrechtlich verankerten Koalitionsfreiheit.

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