Trainer Tedesco verschwendet das Talent seines Teams

Die unerklärlich defensive Mannschaft verliert gegen Frankreich, die belgische Hochburg Köln viele Gäste

Belgiens Trainer Domenico Tedesco treibt seine Spieler in die falsche Richtung – und die Fans aus Köln.
Belgiens Trainer Domenico Tedesco treibt seine Spieler in die falsche Richtung – und die Fans aus Köln.

Bei einem Kölsch kommt man in der Domstadt schnell ins Gespräch. Die große Zahl belgischer Fans sei gar nicht ungewöhnlich, erfahre ich von zwei Kölnern, mit denen ich mir einen der begehrten Tische vor einem Brauhaus teile. Wir verstehen uns noch besser, als ich »Himmel und Ääd« bestelle. Gebratene Blutwurst mit Kartoffelbrei und Apfelmus ist hier ebenso traditionell wie die vielen kleinen und großen Brauhäuser in der Innenstadt.

Der Köbes ist schnell, wie alle Brauhauskellner, wir mir versichert wird. Nur auf ausdrücklichen Wunsch wird die Bierlieferung am Tisch eingestellt. Kein Problem, die Gläser sind klein und das Gespräch läuft. Nach dem zweiten Kölsch weiß ich vom belgischen Viertel, von ehemaligen Kasernen und dazugehörigen Wohnhäusern in der Stadt. Schon nach dem Ersten Weltkrieg waren Teile der Armee des nahen Nachbarlandes in Köln stationiert, nach dem Zweiten Weltkrieg war hier die größte belgische Garnison im Ausland. Das 1950 als Kulturinstitut eröffnete Belgische Haus am Neumarkt ist mittlerweile Teil der Universitäts- und Stadtbibliothek.

Vertreibung durch Tedesco

»Das nehmen wir«, sagt Lars. »Zahlen wir auch«, sagt Henning und lacht. Ich war nicht schnell genug, vor mir steht plötzlich das dritte Kölsch. Ich muss los, in die bei Kölnern wenig beliebte Nachbarstadt Düsseldorf. Die belgische Fluchtbewegung dahin hatte schon am Montagmorgen eingesetzt. Einen Tag später sind in Köln nur noch wenige, vor allem traurige schwarz-gelb-rote Gestalten unterwegs. Vertrieben hatte die meisten einer von ihnen, also fast: Unter Anleitung des deutsch-italienischen Fußballlehrers Domenico Tedesco waren Belgiens Fußballer am Montagabend im Achtelfinale der Europameisterschaft mit 0:1 gegen Frankreich ausgeschieden.

Wunderstürmer Kylian Mbappé und die Franzosen als Vize-Europameister 2016, Weltmeister 2018 und WM-Zweiter 2022 – da kann man schon mal verlieren. Und das erst nach einem Eigentor von Verteidiger Jan Vertonghen fünf Minuten vor Spielende. Das dachten sich auch die Fans und verabschiedeten die Mannschaft mit wohlwollendem Beifall. Pfiffe hatte es nach dem letzten Gruppenspiel gegen die ukrainischen Fußballer gegeben. Mit Ach und Krach sowie einem torlosen Remis hatte sich Belgien nur Dank der besseren Tordifferenz für das Achtelfinale qualifiziert.

Falsches Vetrauen

Die Fans lieben ihre Stars, Kapitän Kevin de Bruyne wurde auch in der Düsseldorfer Arena wieder gefeiert. Unzufrieden sind sie in Belgien mit ihrem Trainer. Die Tageszeitung »De Standaard« schrieb, dass sich »Tedesco auf Kritik einstellen« könne.

So schnell werden sie ihn aber wohl nicht los. Im März wurde sein Vertrag bis zur WM 2026 verlängert. Und vor dem Achtelfinale hatte er nochmals Rückendeckung vom Verband erhalten. »Alle applaudieren, wie Tedesco das Team erneuert«, meinte Präsident Piet Vandendriessche. Das große Vertrauen konnte er zumindest bei dieser EM nicht rechtfertigen. In vier Partien haben seine Spieler gerade mal zwei Tore geschossen.

Warum die nicht zu Unrecht hoch gelobte Offensive mit Sturm-Hüne Romelu Lukaku, den schnellen und trickreichen Außenspielern Jeremy Doku und Lois Openda sowie Kevin de Bruyne im Zentrum so gar nicht in Schwung kam, war gegen Frankreich zu beobachten. Tedesco hat sein Team in die falsche Richtung getrieben. Das wunderte auch Didier Deschamps. »Auf dem Papier ist Belgien eine offensive Mannschaft«, meinte Frankreichs Coach zur extrem defensiven Taktik des Gegners. Sein Team hatte auch kein Spektakel geboten, der letzte von immerhin 20 Torschüssen – abgefeuert vom eingewechselten Randal Kolo Muani und abgefälscht von Vertonghen – landete dann keineswegs unverdient im belgischen Tor.

Verschwendetes Talent

Tedesco hat dagegen das Talent seines Teams verschwendet. Der offensivstarke Kapitän de Bruyne spielte mehr als eine Stunde lang im defensiven Mittelfeld, das Pressing begann erst kurz vor der eigenen Hälfte, wodurch die gesamte Mannschaft dort die meiste Zeit des Spiels verbrachte. Die Wege nach vorn waren entsprechend weit. Das erklärt die mageren zwei Schüsse auf das französische Gehäuse – und ebenso, dass Belgiens Rekordtorschütze Lukaku bei der EM ohne Treffer blieb. Warum seine Taktik nicht aufging, konnte oder wollte Tedesco danach nicht erklären. »Wenn wir das Spiel gewinnen, ist alles top.« Nach solchen Sätzen darf er nach der Rückkehr zu Recht mit Kritik rechnen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.