- Politik
- Kontrollen der Binnengrenzen
Grüne gegen Schengen-Rechtsbruch
Politiker fordern von EU-Kommission Überprüfung von Binnengrenzkontrollen
In einem Brief an die EU-Kommission fordern fünf Europa-, Bundes- und Landtagsabgeordneten der Grünen ein Ende der stationären Kontrollen an deutschen Binnengrenzen. Die Politiker argumentieren, dass Deutschland – ähnlich wie sieben andere EU-Staaten – dazu nicht im Einklang mit den Schengen-Regeln handelt.
Die mit der Eindämmung irregulärer Migration und zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität begründeten Kontrollen untergraben Prinzipien des Schengenraums, heißt es in dem Schreiben an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Besonders in der Kritik stehen die vor über acht Jahren begonnenen Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Diese hätten die Höchstfristen »um ein Vielfaches überschritten«, so der »nd« vorliegende Brief.
Auch die deutschen Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz werden seit Oktober 2023 wieder kontrolliert. Rechtliche Grundlage war zunächst der Schengener Grenzkodex von 2016, der dies als letztes Mittel für insgesamt zwei Jahre zuließ zulässt. Diese Höchstdauer hat der Europäische Gerichtshof 2022 in einem Urteil bekräftigt.
Mehrere Schengen-Staaten hatten ihre Binnengrenzkontrollen teils deutlich länger durchgeführt, deshalb einigten sich die Regierungen auf eine inzwischen gültige Reform des Grenzkodex. Die zulässige Maximaldauer wurde auf drei Jahre angehoben. Möglich ist nun, die Wiedereinführung auf eine plötzliche, hohe »unautorisierte Sekundärmigration« zwischen Mitgliedstaaten zu stützen.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betont indes die Wirksamkeit der Kontrollen und hat diese für Tschechien, Polen und die Schweiz bis Mitte Dezember 2024 verlängert, für Österreich bis zum 11. November. Seit ihrer Einführung im Vorjahr seien rund 920 »Schleuser« festgenommen und etwa 37 600 unerlaubte Einreisen verhindert worden, so die offizielle Statistik.
Die Grünen-Politiker halten derartige Erfolgsmeldungen allerdings für »sehr fragwürdig und in vielen Fällen nicht statistisch belegt«. Dazu hat die Partei ein entsprechendes Fachgutachten beauftragt, das seit Mai vorliegt und aus Sicht der Verfasser »Ausweichbewegungen, Mehrfachzählungen und möglicherweise rechtswidrige Zurückweisungen« nicht berücksichtige.
»Für eine rechtskonforme Einhaltung muss die EU-Kommission sorgen.«
Schreiben der Grünen an von der Leyen.
Zusätzlich zu den Kontrollen in Süd- und Ostdeutschland hatte Faeser im Kontext der Olympischen Spiele in Paris an der Grenze zu Frankreich wieder Kontrollen angeordnet, zur Fußball-Europameisterschaft im Juni war dies für alle deutschen Grenzen der Fall. Die Einführung dieser temporären Maßnahmen sei nachvollziehbar, schreiben die Grünen-Abgeordneten. Jedoch biete sich mit Ende der Veranstaltungen ein Ausstieg aus den teils jahrelangen stationären Grenzkontrollen an.
»Für eine rechtskonforme Einhaltung muss die EU-Kommission sorgen«, heißt es in dem Brief, den die Europaabgeordneten Anna Cavazzini und Erik Marquardt, die Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Marcel Emmerich sowie die Brandenburger Landtagsabgeordnete Sahra Damus unterzeichnet haben. Allerdings wird aus Brüssel kein Machtwort verlangt, sondern »Aufmerksamkeit und die gründliche Evaluierung« der Kontrollen, die zu Belastungen für Menschen und Unternehmen in den Grenzregionen führten.
Sogar die deutsche Gewerkschaft der Polizei verneine die Wirksamkeit der Kontrollen, schreiben die Unterzeichner des Briefes. Hier jedoch fehlt der Hinweis, dass die Polizisten ihr Lamento jüngst mit der Forderung nach 35 Millionen Euro für mehr Personal und Ausrüstung verbunden haben, um die aus Berlin stetig verlängerten Maßnahmen auch ordentlich durchführen zu können.
Die Linke im Bundestag unterstützt das Ansinnen der grünen Politiker. Allerdings sei deren Partei selbst an der Ampel-Koalition beteiligt, erinnert die fluchtpolitische Sprecherin der Gruppe, Clara Bünger, auf Anfrage unserer Zeitung. »Die Grünen müssen als Teil der Bundesregierung dafür sorgen, dass die stationären Grenzkontrollen beendet werden. Alles andere wäre vollkommen unglaubwürdig«, sagt Bünger.
Die Kritik der Grünen richtet sich nicht allein gegen die Bundesrepublik. »Auch die von Dänemark seit Jahren durchgeführten und von den Niederlanden angekündigten Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland bedeuten aus unserer Sicht massive Hürden für das Zusammenleben in Europa«, steht dazu in dem Brief an von der Leyen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!