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Proteststreik gegen Netanjahu
Gewerkschafts-Dachverband erhöht nach Geiselfund Verhandlungsdruck auf israelische Regierung
»Wir können nicht weiter zuschauen. Dass Juden in den Tunneln von Gaza ermordet werden, ist inakzeptabel. Wir müssen einen Deal (mit der Hamas) abschließen, ein Deal ist wichtiger als alles andere.« Die Worte des Gewerkschaftsvorsitzenden Alon Bar David sprechen den Angehörigen der Geiseln aus der Seele.
Bei der Durchsuchung eines von der Hamas angelegten Tunnelsystems hat die israelische Armee am Samstagabend die Leichen von sechs im vergangenen Oktober entführten Geiseln entdeckt. In der Nähe des Fundortes hatte Israel kürzlich eine dreiwöchige Offensive abgeschlossen. Dabei seien über 300 Hamas-Kämpfer getötet worden und deren Kommandostruktur zerschlagen worden, so ein Armeesprecher. Doch in dem Tunnelsystem unterhalb der Stadt Rafah scheint die Hamas weiter aktiv zu sein. Die Geiseln seien weniger als 48 Stunden vor dem Eintreffen der israelischen Soldaten erschossen worden, berichten israelische Medien.
Empörung und Verzweiflung über Geiselmorde
Der Mord an den Geiseln hat unter den Angehörigen der 105 noch in Gaza vermuteten Geiseln für lautstarke Empörung gesorgt. Am Samstag gingen in Tel Aviv und Jerusalem wieder tausende Demonstranten für ein Abkommen mit der Hamas auf Straße, in dem neben dem Schweigen der Waffen auch die Freilassung der Geiseln geregelt werden soll. Gewerkschaftsführer und die Geiselangehörigen diskutierten am Sonntag die Details eines für nächste Woche geplanten Generalstreiks. Inzwischen steht fest, dass am Montag ein eintägiger Proteststreik stattfinden wird. Die Maßnahme solle um 6.00 Uhr Ortszeit in Kraft treten, berichteten israelische Medien. Von 8.00 Uhr Ortszeit solle auch der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv bestreikt werden. Landungen und Abflüge sollten dann gestoppt werden.
Die in Israel mit Entsetzen aufgenommenen Nachrichten aus Gaza bestätigen die Einschätzung von Verteidigungsminister Joav Galant. Er hatte die vor Wochenfrist gescheiterten Friedensgespräche in Kairo als die wohl letzte Chance bezeichnet, die Geiseln lebend zu befreien.
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US-Präsident Joe Biden brachte gegenüber den Eltern des nach Gaza entführten Hersh Goldberg-Polin sein Mitgefühl zum Ausdruck. Auch der US-Amerikaner mit jüdischen Wurzeln und israelischen Pass war am Samstag tot in dem Tunnel unter Rafah gefunden worden. »Er sei geschockt, betroffen und wütend«, so Biden in dem Telefonat. Die Eltern von Hersh Goldberg-Polin hatten kürzlich mit einem emotionalen Appell zur Rettung der verbliebenen Geiseln auf dem Parteitag der demokratischen Partei landesweit für Aufsehen gesorgt. Der Auftritt des Ehepaars sollte ursprünglich an die Solidarität von Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris mit Israel und den Opfern des 7. Oktober erinnern. In regierungskritischen Kreisen in Israel und den USA ist der Tod von Hersh Goldberg-Polin der Beweis für die US-amerikanische Machtlosigkeit gegenüber Netanjahu.
Mit den am Sonntag gestarteten landesweiten Kundgebungen wollen die Opposition und Zivilgesellschaft in Tel Aviv nun den Druck auf den Premierminister und seine Koalitionspartner noch einmal erhöhen. »Mit den sechs Toten von Rafah ist der Beweis erbracht, dass Netanjahu die Geiseln im Stich gelassen hat«, heißt es in der Erklärung der Familien der Geiseln. »Wir werden das Land zum Beben bringen und einen Stillstand erzwingen.«
Auf der Ayalon Straße in Tel Aviv gab es am Samstagabend bereits einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Auseinandersetzungen zwischen Regierungskritikern und ultrarechten Anhängern von Netanjahus Koalitionspartnern. Als ein Protestzug mit Fotos der Geiseln von dem »Platz der Geiseln« in die Stadt aufbrach, stellten sich zunächst Polizisten und dann auch rechtsgerichtete Siedler und Nationalisten in den Weg. Sie setzten Pfefferspray gegen die unbewaffnete Zivilgesellschaft ein. Ex-Premierminister Ehud Olmert hatte schon vor Wochen gewarnt, dass die in Tel Aviv tonangebenden moderaten Aktivisten bald von den seit dem Gaza-Krieg stärker werdenden Radikalen verdrängt werden könnten. »Waffen, die im Westjordanland zur Zeit auf die Palästinenser gerichtet sind, könnten bald auf uns zielen«, so Olmert in einer TV-Diskussion.
Impfen gegen Polio
In den besetzen Gebieten setzten jüdische Siedler auch am Wochenende ihre Angriffe auf Dörfer bei Hebron, Nablus und im Jordantal fort. Israels Finanzminister Smotrich will in diesem Jahr zahlreiche neue Siedlungen bauen lassen – auf palästinensischem Land. Gleichzeitig riegelte die israelische Armee das Flüchtlingslager von Dschenin ab und suchte Häuser nach Widerstandskämpfern ab, die angeblich nun vom Iran unterstützt werden. Bei auch am Sonntag weitergehenden Kämpfen gab es mehrere Tote auf beiden Seiten. Zur Abschreckung wurden 70 Prozent der Straßen von Dschenin mit Armeebulldozern zerstört, berichten Bewohner. Selbst Rettungskräfte ließ die israelische Armee nicht zu verwundeten Zivilisten durch.
Die Weiterführung der Gespräche zwischen der Hamas und Israel auf technischer Ebene ist angesichts der derzeitigen Eskalationen für viele Medien in der Region nur eine Randnotiz. Die Chancen auf einen Waffenstillstand erscheinen gering. Israel beharrt auch nach einem Ende der Kämpfe auf den Verbleib seiner Soldaten in zwei Sicherheitskorridoren. Die ägyptischen Unterhändler lehnen dies ebenso wie Hamas-Chef Yaha Sinwar ab. Eine weitere Randnotiz kam am Sonntag aus Gaza. Bei Luftangriffen wären am Samstag 61 Bewohner gestorben, melden die Gesundheitsbehörden kurz nach dem Start einer humanitären Feuerpause. Die täglich zwischen 6 Uhr morgens und 15 Uhr geltende Abmachung soll zur Impfung gegen das in Gaza grassierende Polio-Virus genutzt werden. Die Impfkampagne schien eigentlich der Beweis dafür, dass Abkommen auch inmitten eines Drei-Fronten-Krieges möglich sind. Nach drei Tagen sind Impfungen im Süden und schließlich im Norden geplant. Peeperkorn sagte, Ziel sei es, 640 000 Kinder unter zehn Jahren zu impfen.
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