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Nachtzüge als teure Alternative zu den Billigfliegern
Während hierzulande viel auf die unverlässliche Deutsche Bahn geschimpft wird, gibt es im europäischen Schienenverkehr positive Nachrichten.
Um kurz vor halb acht am Abend weht der Hauch der weiten Welt durch den Berliner Hauptbahnhof. In die Tiefebene fährt der Euro-Night 40457 ein, um die Wartenden nach Krakau, Prag oder Budapest zu befördern. Warum mit dem Nachtzug? »Mal ausprobieren«, heißt es hier auf dem Bahnsteig vor allem; die Rede ist von der Hoffnung, morgens ausgeschlafen in der ungarischen Hauptstadt anzukommen und dabei eine Reise mal ganz anders zu starten: vom Bett aus dabei zuzusehen, wie sich die Landschaft verändert, das Wetter, die Gerüche.
Die Betreiber von Nachtzügen versprechen all’ das und darüber hinaus: klimafreundliches Reisen, komfortabel auch noch. Politik und Umweltschutzorganisationen sind da ganz bei ihnen: Nachtzüge seien einer der Schlüssel zur Verkehrswende, weg vom Flugzeug auf der Mittelstrecke, heißt es in Berlin und Brüssel. Wenn es den Leuten tagsüber mit dem Zug zu weit sei, dann schickt man sie eben abends zu Bett und lässt sie morgens am Ziel aufwachen.
So lautet die Vision, aber die Realität sieht dann doch ein wenig anders aus. Denn romantisch ist an den meisten Nachtzügen, die in Deutschland unterwegs sind, kaum etwas. Die Waggons sind oft altmodisch, die Abteile überhaupt nicht mit einem Hotel zu vergleichen. Und die Preise: zum Heulen, sie können mehrere hundert Euro für einen Platz im Schlafwagen erreichen. Außerdem sind da auch noch die komplizierten Buchungsprozesse: Die Nightjets der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) kann man über die Deutsche Bahn buchen. Bei anderen Anbietern muss man erst einmal wissen, dass es sie gibt und sie dann im Netz suchen.
ÖBB hat die Nachtzüge übernommen
Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme. »Wir haben bei null angefangen«, teilt Andreas Matthä mit, Vorstandsvorsitzender der Marktführerin ÖBB: »Als wir 2016 die Nachtzugsparte von der Deutschen Bahn übernommen haben, war das eine absolute Nische. Jetzt müssen wir alles, was rollt, auf die Schiene stellen, um die Nachfrage zu befriedigen.« Doch der Markt für gebrauchte Schlaf- und Liegewagen ist leergefegt. Bereits 2018 hatte die ÖBB bei Siemens Mobility 33 siebenteilige Nachtzüge bestellt. Aber neue Züge bauen, das dauert lange. Die ersten »Nightjets« wurden 2023 geliefert. Für die Kunden ist das ein Quantensprung – sollten sie es denn schaffen, einen Platz zu ergattern. Immer öfter sind die neuen Züge nämlich lange im Voraus ausgebucht.
Der wohl größte Vorteil der neuen Züge: Neben den Sitzwagen und den klassischen Liegeabteilen, in denen bis zu sechs Menschen übernachten können, gibt es jetzt auch Mini-Kabinen, die an Kapsel-Hotels erinnern. Der wohl größte Nachteil: Für die viele Menschen in Deutschland sind die Nachtzüge nicht dann da, wenn man gerne abfahren möchte. Am Frankfurter Hauptbahnhof zum Beispiel hält, falls überhaupt, mitten in der Nacht ein solcher Zug. Die Neubauten dürfen vorerst auch nur in Deutschland, Österreich, Schweiz, den Niederlanden und Italien unterwegs sein.
Für Magda Kopczynska ist das ein leidiges Thema. Sie ist Generaldirektorin im Ressort für Mobilität und Verkehr bei der EU-Kommission. Dort bemüht sie sich seit Jahren, die Regeln für den Eisenbahnverkehr und für die Zulassung neuer Waggons und Lokomotiven zu harmonisieren. Oft vergeblich. »EU-Richtlinien werden nicht umgesetzt; ständig werden irgendwelche Ausnahmeregelungen beantragt«, berichtet sie. Das größte Problem seien die vielen verschiedenen technischen Systeme, die europaweit im Einsatz seien. Hinzu kämen träge Zulassungsprozesse. Dabei setzt man in Brüssel große Hoffnungen in den europaweiten Bahnverkehr. Schließlich gilt es, die Klimaziele zu erreichen. Bis 2030 will man mehr als die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Vergleich zu 1990 verringern.
Zunehmend in die Kritik geraten ist in der letzten Zeit auch der Massentourismus. In Spanien, Griechenland, Italien sagen die Tourismusministerien einstimmig, die Billigfluggesellschaften seien zu einem Problem geworden. In den südeuropäischen Ländern hätte man wohl gerne eine andere Art des Reisens lieber – eine, die geruhsamer ist. Urlauber sollten sich bewusst dazu entscheiden, länger unterwegs zu sein und mehr Zeit am Ziel zu verbringen. Der Gedanke dahinter: Menschen, die per Billigflieger an einen Ort reisen, um schnell mal das Selfie für die Story auf Instagram zu machen, lassen nicht viel Geld da, wo man es gerne hätte: in der Gastronomie und Hotellerie. Zudem gibt es noch das Ärgernis der privaten Vermietungen, die für einen Engpass auf dem Wohnungsmarkt gesorgt haben.
»Als wir 2016 die Nachtzugsparte von der Deutschen Bahn übernommen haben, war das eine absolute Nische. Jetzt müssen wir alles, was rollt, auf die Schiene stellen, um die Nachfrage zu befriedigen.«
Andreas Matthä
Vorstandsvorsitzender der ÖBB
Doch Kopczynska betont auch: »Nachtzüge sind nur eine Komponente.« Sie verweist auf die begrenzten Kapazitäten der Nightliner. »Die Bahnverbindungen zwischen den europäischen Großstädten müssen auch am Tag besser vernetzt werden.«
Auf längeren Strecken hat es die Bahn schwer, sich gegenüber dem Flugzeug zu behaupten. Es sei eine Frage der Reisedauer, lautete oft die Begründung der Deutschen Bahn, warum es eigentlich keine ICE-Verbindungen nach Spanien oder Italien gibt: Orte in Südeuropa würden eher per Flugzeug angesteuert werden, hieß es lange. Für die Bahn seien das verlorene Reiseziele. Dabei gibt es jedoch Hinweise darauf, dass das pauschal nicht stimmt.
Die Flugvergleichsplattform »Kayak« schlägt für den eigentlich nur zweistündigen Flug von Frankfurt nach Barcelona eine Vielzahl von Umsteigeverbindungen mit Billigfluglinien vor, bei denen man im besten Fall sechs Stunden, aber auch mal zwölf Stunden unterwegs ist; die An- und Abreise zu den abgelegenen Flugplätzen, die die Billigflieger ansteuern, nicht mit inbegriffen. Mehrere Buchungsplattformen und auch die Fluggesellschaften bestätigen, dass diese Verbindungen reichlich gebucht werden.
Darauf hat inzwischen auch die Bahn reagiert. Längst schickt sie Schnellzüge auf die weite Reise nach Marseille oder Mailand. Seit 2023 fährt in den Sommermonaten auch ein ICE in etwas mehr als acht Stunden von Frankfurt nach Bordeaux, erfolgreich, betont man bei der Deutschen Bahn: Die Züge würden gut gebucht. Ende 2025 soll München deshalb auch eine direkte Tagesverbindung nach Rom erhalten.
Aber jeder, der schon einmal ein Ticket für ein Reiseziel im Ausland gebucht, bei dem es keine direkte Verbindung gibt, weiß, wie kompliziert das ist. Während man mit wenigen Klicks eine 33-stündige Ryanair-Verbindung über Bergamo und Bukarest in den Nahen Osten buchen kann – und das für weniger als 150 Euro –, erhält man im Bahn-Buchungsportal für etwas abseits liegende Ziele viel zu oft angezeigt: »Preisauskunft nicht möglich«. Besser funktioniert das Portal der französischen SNCF. Aber wer weiß das schon?
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Denn nicht nur bei der Technik herrschte in der Europäischen Union lange Zeit Kleinstaaterei – auch beim Austausch zwischen den Buchungsprogrammen ruckelt es noch wie ein Schlafwagen aus den Siebzigern. Doch die Zukunft naht, jedenfalls auf dem Papier. Im September soll ein einheitlicher Buchungsstandard namens OSDM starten, den 22 europäische Bahnunternehmen künftig nutzen wollen. Damit soll die Buchung für eine Reise von Stockholm nach Palermo ebenso mühelos erfolgen, wie die eines Flugs, wenn das Programm denn überall genutzt werden sollte. Das wird nämlich, sagen die beteiligten Bahnunternehmen, noch länger dauern.
Die Schweizer Bundesbahn (SBB), die den Standard mitentwickelte, hat im vergangenen Jahr festgestellt, dass man teils noch Software aus den Achtzigern am Laufen hat. Kaum noch jemand kann die bedienen. Und einige Unternehmen zögern bei dem neuen Buchungsprogramm noch, weil die Frage der Fahrgastrechte noch nicht geklärt ist: Hat man zusammenhängende Tickets gebucht und kommt verspätet an, wird eine Entschädigung fällig. Inzwischen hat sich natürlich herumgesprochen, dass die Deutsche Bahn ein Problem mit Verspätungen hat, worunter die pünktliche SBB nicht leiden will, indem sie eine Entschädigung zahlen muss. In Brüssel sind deshalb die ersten Bahnunternehmen aufgeschlagen, um Änderungen an der Fahrgastrechte-Richtlinie einzufordern – die natürlich zum Nachteil der Kunden wäre.
Südosteuropa bleibt abgehängt
Weitgehend abgehängt werden aber weiterhin die Länder in Südost-Europa und auf dem Balkan sein. Von der Entfernung her ist es von München nach Bukarest oder Belgrad ungefähr so weit, wie von Frankfurt nach Bordeaux oder Marseille. Aber die Infrastruktur ist veraltet und oft marode. Die Fahrt mit dem Nachtzug von Wien nach Bukarest dauert geschlagene 18 Stunden. Ausgebucht ist dieser der Zug trotzdem oft, obwohl die Waggons ihre beste Zeit weit hinter sich haben.
Aber bis die Reise in diesen Teil Europas auch auf dem Landweg massentauglich wird, dürfte es noch dauern. Immerhin wird die serbische Hauptstadt Belgrad schon in einigen Jahren durch eine Schnellbahntrasse mit Budapest verbunden sein. Slowenien und Kroatien sind schon jetzt gut von Wien aus zu erreichen.
Dagegen hatte sich die griechische Regierung weitgehend vom internationalen Bahnverkehr verabschiedet. Während der Finanzkrise wurden alle internationalen Verbindungen eingestellt. Doch dann kam im Februar die überraschende Kehrtwende: In Athen stimmte man dem weitgehend von chinesischen Staatsunternehmen finanzierten Bau einer Schnellbahnstrecke von Belgrad in die griechische Hauptstadt zu. Grund für das chinesische Engagement: Der Hafen von Piräus gehört mehrheitlich einer chinesischen Reederei. Falls das Projekt Realität werden sollte, betrüge die Fahrtzeit von Budapest nach Griechenland nur noch 13 Stunden.
Früher war Griechenland ebenfalls an das europäische Nachtzug-Netz angeschlossen: Jahrzehnte lang ging es von München aus nach Hellas. Später wurde dann noch Belgrad-Thessaloniki angeboten. Die in die Jahre gekommenen Schlaf- und Liegewagen wurden verkauft. Sie sind jetzt irgendwo in Mitteleuropa im Einsatz.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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