- Kultur
- 250 Jahre Caspar David Friedrich
Verlangen nach Abenteuer
Er hat die deutsche Romantik ins Bild gesetzt: Drei kleine Hommagen zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag
Den Nebel lichten
Dresden hat die »Sixtinische Madonna«, München Dürers Selbstporträt und Hamburg den »Wanderer über dem Nebelmeer« (1818). Kein anderes Gemälde ist so bekannt und so wichtig für die Hamburger Kunsthalle und den gesamten Kunstkosmos der Hansestadt wie Caspar David Friedrichs emblematische Rückenfigur. Das Porträt des blonden Mannes im Gehrock, der, auf Felsen stehend, herab in eine nebelige Gebirgslandschaft blickt, wird oft als Symbolfigur der deutschen Romantik gesehen: Es geht um die Herausbildung von Individualität, den Rückzug ins Private und die Natur als göttliches Element.
Auch nach über 200 Jahren hat das Bild nicht wirklich an Aktualität verloren. Es ruft ein Verlangen nach Abenteuer hervor und danach, die Natur in ihrer wilden, unberührten Form zu erleben – etwas, das junge Menschen auf der ganzen Welt nicht nur tun, sondern auch täglich im Internet teilen, sich dabei oft unbewusst an Friedrichs Ästhetik orientierend. Wir, die Bildbetrachter, für die der Mann ein Platzhalter ist, wissen, dass der sonntägliche (und typisch deutsche) Spaziergang der beste Weg ist, in sich zu gehen und seine Gedanken zu ordnen, den Nebel zu lichten. Friedrichs wohl populärstes Werk symbolisiert für die Menschen von heute den Wunsch, Fragen nachzugehen wie: Wer sind wir und was wollen wir, abseits von gesellschaftlichen Normen, sozialen Erwartungen und medialen Vorbildern?
Ich lebe nun weit weg von meiner Heimatstadt Hamburg in den USA. Umso mehr freut es mich, dass Anfang nächsten Jahres, zum ersten Mal in Amerika, Caspar David Friedrichs Werke gezeigt werden ̶ am Metropolitan Museum of Art. Es wird Zeit, dass die deutsche Romantik, die den Weg für Kunstbewegungen wie Symbolismus und Expressionismus ebnete, und ihr wichtigster Vertreter New York erobern. Beworben wird die Ausstellung übrigens mit dem Motiv des Wanderers ̶ man sagt nicht umsonst, Hamburg sei das »Tor zur Welt«. Jana Talke
»Caspar David Friedrich: The Soul of Nature«, 8. Februar bis 11. Mai 2025, Metropolitan Museum of Art, New York City (USA).
Innere Bilder
Der Maler soll nicht nur malen, was er »vor sich«, sondern auch, was er »in sich sieht«, bekannte Caspar David Friedrich. Die Idee seiner Vision äußerte sich erst im Bild, das er in seinem Innern wahrnahm und das ganz seinem Seelenzustand entsprach. Doch seine Imagination nahm er dann in strenge Disziplin: Seine Bilder sind komprimiert, konstruiert, durchdacht. Er besetzte die Landschaft mit ikonografischen Zeichen, schuf Bildfiguren, die für immer in der Kunst aufgehoben sein werden: Da ist nicht nur die Rückenfigur, in der der Maler sich vielfach selbst sieht und die in ihrer vermittelnden Funktion zugleich als Stellvertreter des Betrachters wirkt, sondern dazu gehören eben auch Baum und Wald, Fels und Weg, Höhle und Tor, Ruine und Grab, Mond und Wolken, Land und Meer, Tag und Nacht, Leben und Tod. Sie werden zu Symbolen und Hieroglyphen, in denen das Nichtfassbare verständlich gemacht werden soll.
Schauen wir uns drei Bilder aus der gegenwärtig in Dresden gezeigten Retrospektive an: Im Tetschener Altar-Bild (1807/08) reflektiert das Kruzifix an der Bergspitze den Schein der untergehenden Sonne und wirft ihn auf die dunkle Erde. Ist auch der direkte Kontakt zu Gott selbst nicht mehr möglich, so bleibt doch das Kreuz als Hoffnungszeichen.
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»Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« (1819): Eingerahmt von entwurzelten Bäumen stehen die Rückenfiguren – ein Fels hat ihnen den Weg versperrt – vor dem Abgrund, während das Mondlicht im Hintergrund wie eine Lichtquelle die ganze Bildfläche erfasst. Der Mond als Symbol der sich wandelnden Zeit und sich unendlich wandelnden Natur – dieses Licht am Horizont fasziniert und tröstet zugleich.
Dagegen erscheint in »Das Große Gehege bei Dresden« (1832) der Raum wie ein Panorama, erstreckt sich in unerreichbare Ferne, türmt sich flächenartig in die Vertikale auf, lässt den Blick vom Vorder- zum Hintergrund wandern. Der Betrachter wird weder von der Erhabenheit der Natur überwältigt noch von Demut niedergedrückt, sondern vermag sich durch seine Gefühls- und Gedankenkraft zu behaupten. Der Nachglanz der bereits untergegangenen Sonne lässt den Himmel in atemberaubender Farbenpracht leuchten.
Das Schweigen dieser Bilder löst sich auf, wenn der Betrachter sich in seine eigene Gefühlswelt hineinversetzt, diesen Transfer von innen nach außen wahrnimmt. Das Fühlen und Empfinden, das Sehen und Schauen – nach innen und außen –, aber auch das Reflektieren hat Friedrich zum beherrschenden Thema seiner Malerei gemacht. Klaus Hammer
»Caspar David Friedrich: Wo alles begann«, bis 5. Januar 2025, Albertinum, Dresden.
Strich in der Landschaft
So klein ist der Mensch in dieser enormen Weite! Kaum ein winziger brauner Strich an jener leichenblassen Abbruchkante, die gerade einmal ein Zehntel des Bildes einnimmt. Dahinter nur noch grün-blaue Masse, die sich wie gefährlicher dunkler Schleim heranzuwälzen scheint. Das Meer, ein tiefer Abgrund – oder das wüste Nichts? So steht uns Caspar David Friedrichs »Der Mönch am Meer« von 1810 heute vor Augen.
Schon als Jugendlicher sah ich dieses Bild in der Alten Nationalgalerie in Berlin, erstaunt darüber, wie hier alles dagegensprach, dass es einmal so berühmt wurde. Es hat keinerlei Tiefenperspektive, ist ganz in Fläche aufgelöst. Die Farben kann man nur undefinierbar nennen, und den Menschen in Rückansicht darauf, so verloren wie eine Stecknadel im Dunghaufen, muss man mit der Lupe suchen. Und einer Lampe, denn dem ganzen Gemälde mangelt es an Licht. Man tastet sich als Betrachter buchstäblich voran. Zutaten zu einem Meisterwerk scheinen das nicht gerade!
Aber ein Meisterwerk wie dieses besteht nicht aus Zutaten, Regeln und Normen – sondern aus jenem entscheidenden Ausdruck, der zur Tat eines Visionärs wird. Und ein solcher ist Caspar David Friedrich zweifellos. Er sieht etwas, das offenbar nicht schön ist, aber ihm notwendig erscheint, es ins Bild zu bringen. Gewiss, der Pessimismus fällt ins Auge, aber dennoch ist dieser winzige braune Strich, der behauptet, ein Mensch am Ufer des Meeres zu sein, ein frappierender Kontrapunkt zum diffusen Einerlei um ihn herum, ein Hoffnungszeichen! Er ist allein, aber er steht aufrecht. Mehr noch, er behauptet den vertikalen Kontrast zur übermächtigen Horizontale im Bild!
Das erinnert mich daran, wie Rilke im Schweizer Wallis sein winziges Chatêau Muzot liebte, auch deshalb, weil vor diesem eine Pappel stand – die ebenfalls die Vertikale in der Horizontalen verkörperte. Zwei Jahre vor seinem Tod fällten Bauern den Baum – und für den Dichter stürzte die Landschaft in sich zusammen. Fortan mochte er Muzot nicht mehr. So viel zu den winzigen Strichen im Bild, die eine Welt bedeuten können. Gunnar Decker
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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