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»In der Kunst hat Vernetzung einen sehr hohen Stellenwert«
Stella Leder, Gründungsmitglied der neuen Jüdischen Kunstschule in Berlin, über Glorifizierung des Hamas-Terrors und Solidarität als Gegemittel
Stella Leder, Sie sind Mitbegründerin des Instituts für Neue Soziale Plastik, aus dem nun die Jüdische Kunstschule hervorgeht. Was hat es mit dem Institut auf sich?
Wir haben das Institut 2015 gegründet. Einerseits verstehen wir uns als Kulturinstitution, die eigene Produktionen realisiert. Das ist meist Theater oder Performance. Manchmal sind wir auch in der bildenden Kunst tätig und organisieren Ausstellungen. Andererseits beraten wir als eine Art NGO andere Kulturinstitutionen oder Künstler*innen zu Antisemitismus. Für unsere Arbeit akquirieren wir Projektgelder. Heute hat das Institut elf festangestellte Mitarbeiter*innen.
Sie haben sich, wie man auch auf der Website des Instituts lesen kann, viel mit antisemitismuskritischen Theaterprojekten beschäftigt.
Im Gespräch mit anderen jüdischen Künstler*innen haben wir gemerkt, dass viele von uns Erfahrungen mit Antisemitismus oder Israelfeindschaft gemacht haben. Es kam vor, dass Anträge zu Vorhaben mit jüdischen Themen als Minderheitensache abgetan wurden. Der Diskurs um Diversität war noch nicht so weit. Konfrontiert wurden wir auch mit sekundärem Antisemitismus, also Judenfeindschaft aus dem Motiv der Schuldabwehr. Oft wurden wir immer wieder nur auf das Themenfeld der Shoah zurückgeworfen oder sollten uns für israelische Politik rechtfertigen. Wir hielten unsere Erfahrungen zunächst für individuell und merkten erst über den Austausch miteinander, dass es sich um etwas Strukturelles handelte.
Stella Leder ist Autorin und Dramaturgin. 2015 gründete sie das Institut für Neue Soziale Plastik mit, das mit künstlerischen Mitteln zu Antisemitismus arbeitet. 2021 erschienen ihre Bücher »Meine Mutter, der Mann im Garten und die Rechten« (Ullstein) und »Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur« (Hentrich und Hentrich).
Hat sich das Bewusstsein um diese Problematik seitdem verändert?
Ja, vor allem während der letzten Documenta bekam die Diskussion um Antisemitismus in der Kulturszene eine größere Öffentlichkeit. So wurde unser Anliegen breiter diskutiert und damit auch unsere Organisation bekannter. Es erreichen uns seitdem mehr und mehr Hilferufe jüdischer oder antisemitismuskritischer Menschen aus der Kulturszene. Da geht es um Benachteiligung bei Antragsverfahren, Boykott und Beschimpfungen. Seit den Massakern der Hamas am 7. Oktober des letzten Jahres ist die Angst gewachsen. Gewaltdrohungen sind nicht selten, auch Ärger mit ehemaligen Arbeitgebern. Dadurch hat sich unsere Arbeit verändert. Wir schaffen Austausch zwischen den Betroffenen, versuchen Hilfestellung zu leisten.
Die Jüdische Kunstschule ist eine Antwort auf diese Tendenz?
Alle drei Monate veranstalten wir ein Vernetzungstreffen, bei dem wir die Situation in der Kulturszene reflektieren. Nach dem 7. Oktober haben auffallend viele Studierende von Kunsthochschulen an diesen Treffen teilgenommen. Wir haben dann zu einem Treffen eingeladen, das sich explizit an diese Studierenden richtete. Es kamen sehr viele Personen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, die alle von ähnlichen Erfahrungen berichteten. Die meisten fühlten sich an ihren Hochschulen allein, hatten Angst davor, als Jüdinnen geoutet zu werden, mieden ihre Lehrveranstaltungen, überlegten, das Studium abzubrechen. Obwohl es sich um einen Onlinetermin handelte, war die Stimmung bedrückend. Unter den Teilnehmer*innen waren viele Studierende der Berliner Universität der Künste (UdK), wir haben später mit ihnen ein separates Treffen organisiert. Noch später haben wir uns auch mit Lehrenden der UdK getroffen. Als wir diese beiden Gruppen dann zusammengebracht haben, sahen die einzelnen Teilnehmer*innen, dass sie mit ihrer Erfahrung nicht allein waren. Das war für alle ungeheuer wichtig.
Von welchen Erfahrungen haben Studierende und Lehrende der UdK berichtet?
Am 13. November des letzten Jahres traten etwa 100 Personen mit rot angemalten Händen auf. Ihre Performance wurde von vielen als Bezugnahme auf den Lynchmord an zwei israelischen Rekruten verstanden, der sich im Jahr 2000 im Westjordanland ereignete.* Zeug*innen berichteten uns von einer aufgeladenen und aggressiven Stimmung. Es stellte sich dann heraus, dass Aktionen wie diese nicht allein von den Studierenden, sondern auch von Professor*innen organisiert wurden. Solcherlei Ereignisse erzeugten eine beängstigende Atmosphäre. Viele mieden daraufhin ihre Hochschule, weil es zeitweise überhaupt nicht mehr möglich war, das Gebäude zu betreten, ohne antisemitischen Parolen auf Transparenten, Graffiti oder Flugblättern zu begegnen.
Sind die Verhältnisse an der UdK schlimmer als an anderen Kunsthochschulen?
Das würde ich nicht sagen. Ähnliche Stimmungen findet man auch an anderen Kunsthochschulen. Immer wieder fielen auch Gastprofessor*innen unangenehm auf. An der Akademie der Bildenden Künste in München etwa unterrichtete bis zum Februar die palästinensische Künstlerin Jumana Manna. Das Massaker auf dem Nova-Festival am 7. Oktober 2023 kommentierte sie auf ihrem Instagram-Account mit dem zynischen Satz: »Es macht wohl keinen Spaß, in der Umgebung des weltgrößten Freiluftgefängnisses zu raven«. Als ihre Vertretungsprofessur nicht verlängert wurde, solidarisierten sich Studierende der Akademie mit ihr. Diese öffentliche Glorifizierung des Terrors wurde dann in der Kunstzeitschrift »Monopol« zu einer propalästinensischen Haltung umgedeutet. Für jüdische Studierende an der Münchner Akademie ist das eine bedrohliche Situation. Die UdK ist vielleicht sogar ein positives Beispiel, in dem Sinne, dass hier die Solidarität einiger nichtjüdischer Studierender mit ihren jüdischen Kommiliton*innen von Anfang an groß war. Auch die Lehrenden haben sich in dieser Sache mit einem öffentlichen Statement deutlich positioniert.
Welche Maßnahmen wurden an der UdK zum Schutz jüdischer Studierender getroffen?
Es wurde beispielsweise die Stelle einer Beauftragten für Antisemitismus geschaffen. Das ist zwar wichtig, löst aber natürlich nicht die drängenden Probleme, mit denen die Studierenden konfrontiert sind. Maßnahmen wie diese wirken vielleicht langfristig. Diese jungen Menschen aber haben jetzt ihre Aufnahmeprüfungen bestanden, sie wollen jetzt studieren und Kunst machen. Sie träumen davon, jetzt Künstler*innen werden zu können.
Das ist das Moment, auf das die Gründung der Jüdischen Kunstschule zurückgeht?
Genau, die Jüdische Kunstschule wird ein Safe Space sein, in dem sich jüdische, israelische und antisemitismuskritische Studierende ohne Angst und Rechtfertigungszwang entwickeln können.
Das ist eigentlich absurd, man geht ja davon aus, dass gerade Kunsthochschulen von sich aus ein solcher Safe Space sind.
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass viele Kunsthochschulen dieser Aufgabe nicht gerecht werden konnten. Wir haben die absurde Situation, dass viele Studierende an ihren Hochschulen nicht machen können, wofür sie sich dort eigentlich beworben haben. Sie wollen lernen, sich künstlerisch entwickeln – und das geht oftmals nicht mehr. Dieses Versprechen, das die Hochschulen ihren Studierenden gemacht haben, bleibt unerfüllt. Uns ist dabei die freie, künstlerische Beschäftigung ganz besonders wichtig. Es soll um Kunst gehen, nicht unbedingt um Politik. Es sollen in möglichst vielen Disziplinen von internationalen Professor*innen geleitete Klassen mit interessanten Künstler*innen entstehen, in denen coole Dinge entwickelt werden. Die Klassen der Jüdischen Kunstschule sollen sich auf gar keinen Fall ständig mit jüdischen Themen beschäftigen müssen. Die Kunst soll wieder in den Mittelpunkt gestellt werden.
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Der Name »Jüdische Kunstschule« ist sehr plastisch. Ich stelle mir sofort ein Gebäude vor, mit einem Eingangsportal, dahinter junge Künstler*innen in ihren Werkstätten. So wird es zunächst wahrscheinlich nicht aussehen …
Der Name ist zunächst Ausdruck des Traums eines anderen, freieren, sichereren Rahmens der künstlerischen Ausbildung. Die Jüdische Kunstschule Berlin mit einem eigenen Gebäude wäre natürlich fantastisch. Als feste Institution könnte man Impulse setzen. Zum Beispiel würde man ganz gezielt israelische Künstler*innen einladen, die derzeit überall boykottiert werden. Die Jüdische Kunstschule startet im Herbst zunächst als Projekt für ein Semester, in Zusammenarbeit mit der UdK, in wechselnden Räumen und Onlinesitzungen, finanziert von der Berliner Kulturverwaltung. Wir haben für diese erste Phase Lehrende angestellt, außerdem Räume und Ateliers angemietet. Wir haben Klassen für unterschiedliche Disziplinen wie Malerei, Bildhauerei, Performance, Theater und Literatur. Wie es nach dem ersten Semester weitergehen kann, werden wir sehen.
Eine vollwertige Ausbildung können Sie zurzeit nicht anbieten?
Nein, aber vielleicht kommen wir noch dahin. Neben der Ausbildung ist uns die Vernetzung wichtig. Deswegen lassen wir zunächst auch Künstler*innen zu, die parallel an einer anderen Hochschule studieren oder den Abschluss vor Kurzem gemacht haben. In der Kunst hat Vernetzung einen sehr hohen Stellenwert. Wir beobachten, dass jüdische und israelische Künstler*innen stark marginalisiert und boykottiert werden und so aus vielen Zusammenhängen rausfliegen. Wenn man diese Netzwerke verliert, kommt man nicht weit. Dem möchten wir etwas entgegensetzen. Wir hoffen, dass sich zwischen den Studierenden über das gemeinsame Lernen hinaus Freundschaften und Arbeitsbeziehungen bilden.
Woher kommen die Professor*innen?
Wir haben acht Masterclasses mit sechs Professor*innen aus Israel und zwei aus Deutschland. Die meisten der israelischen Professor*innen kommen von der Bezalel Academy in Jerusalem, einer der renommiertesten Hochschulen für Kunst im Design im Nahen Osten, deren Geschichte bis in die 1930er Jahre zurückreicht, als zahlreiche Künstler*innen aus Deutschland vor den Nazis in die Region geflohen sind.
Wen haben Sie für das Projekt gewinnen können?
Da wäre zum Beispiel David Adika, der an der Bezalel das Department für Fotografie leitet. Seine Masterclass widmet sich dem Themenkomplex Fotografie, Identität und Menschenrechte. Ebenfalls thematisch wird die Klasse der Bildhauerin Hillal Toony Navok arbeiten. Sie unterrichtet an der Bezalel, aber auch am Shenkar College, in der Nähe von Tel Aviv. Es wird um Verletzlichkeit, Zuflucht und Schutz gehen. Die Studierenden werden performativ, installativ und plastisch im öffentlichen Raum experimentieren. Man merkt, dass diese Klassen sich Themen widmen, die gerade in der jüdischen Gegenwart virulent sind. Das Thema der Schutzräume wird hier aber nicht auf die konkreten jüdischen Erfahrungen etwa auf dem Campus begrenzt, sondern sehr viel offener verhandelt werden.
Wie lief die Bewerbung?
Das Zeitfenster war wegen der Förderzusagen sehr schmal, das machte es für die Bewerber*innen sehr schwierig. Teil der Bewerbung waren sowohl ein Motivationsschreiben als auch ein Portfolio. Uns haben sowohl die künstlerische Leistung als auch die politische Motivation interessiert. Wir wollten auf Notsituationen reagieren, in denen sich Studierende in ihren Lehrzusammenhängen befinden. Die Anzahl der Bewerber*innen war sehr hoch und wir mussten die Auswahl lange diskutieren. Wir hoffen sehr, das Vorhaben im nächsten Jahr fortsetzen zu können. Die meisten Bewerbungen kamen aus Deutschland, allerdings kamen auch viele aus Israel und den USA, außerdem aus ganz anderen Ländern, wie etwa der Ukraine oder der Türkei.
Kann es sein, dass Politik gerade den Platz der Kunst einnimmt?
Sicherlich – und das nicht im positiven Sinne. Nach dem 7. Oktober tauchten viele Bilder auf, die eliminatorischen Antisemitismus verherrlichten. Statt dass man sich von ihnen abwandte, wurden sie im künstlerischen Kontext teilweise sogar positiv aufgegriffen. Künstler*innen begannen, Bilder von vor Hamas-Kämpfern auf Paraglidern Flüchtenden, von Bulldozern, die den Grenzzaun zu Israel durchbrechen, oder von fliehenden »Nova«-Festivalbesucher*innen zu Bildern des Widerstands umzudeuten. Einige stellen sich bewusst in den Dienst der Propaganda der Hamas. Ich begreife das, was an den Hochschulen passiert, nicht als Politik im demokratischen Sinn, sondern als Rekrutierung für eine faschistische Bewegung. Es geht um den Rausch der Entgrenzung und Gruppenbildung. Aus der Masse initiiert scheint das Individuum erlöst von der Verantwortung für antidemokratische, gewaltsame Parolen, die die Tötung von Jüdinnen rechtfertigen. Das ist eine Absage an Intellektualität und Demokratie. Gleichzeitig findet auch keine Kunst statt, denn Kunst ist frei und individuell. Dafür soll die Jüdische Kunstschule Platz schaffen.
*In einer früheren Version des Interviews stand hier: »Viele haben von dieser sogenannten Performance berichtet, bei der am 13. November des letzten Jahres etwa 100 Personen mit rot angemalten Händen den Lynchmord an zwei israelischen Rekruten, der sich im Jahr 2000 im Westjordanland ereignete, gefeiert haben.« Diese Aussage entspricht nicht zwangsläufig der Wahrheit und wurde deshalb korrigiert.
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