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»Critical Zone« im Kino: »Yes! Fuck You!«

Der iranische Film »Critical Zone« schreit in jedem Frame nach Freiheit, Befreiung – und seine Wut über die erdrückenden Verhältnisse heraus

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Formen von Lust und Sex werden zwar angedeutet, sind aber nie liebevoll.
Formen von Lust und Sex werden zwar angedeutet, sind aber nie liebevoll.

Der neue Film von Ali Ahmadzadeh ist im wahrsten Sinne des Wortes Underground, denn Ahmadzadeh hatte keine Dreherlaubnis und ist als Vertreter der »radikalen und liberalen Generation«, wie er im Presseheft sagt, den Behörden des autoritären iranischen Regimes ohnehin seit Langem ein Dorn im Auge. So konnte der Regisseur den Goldenen Leoparden, den er 2023 beim Filmfest Locarno mit »Critical Zone« gewann, nicht in Empfang nehmen – die iranischen Behörden hatten ihm keine Ausreiseerlaubnis erteilt. »Während der Dreharbeiten haben wir alle gedacht, wir könnten jeden Moment verhaftet werden. Wir arbeiteten wie eine Gruppe von Spionen auf einer Mission, umgeben von Stressfaktoren und Gefahr. Jetzt, in diesem Moment, in dem der Film Premiere feiern soll, sind die meisten der Schauspieler und Crew aus dem Iran abgewandert. Und was ist mit mir? Ich verstecke mich zurzeit und weiß nicht, was passieren wird. Ich könnte verhaftet werden«, erklärt Ahmadzadeh die Bedingungen des Drehs und die Folgen für die Beteiligten.

Dass »Critical Zone« dem Mullah-Regime nicht gefällt, ist indes keine Überraschung. Der Film ist ein subversives Kunstwerk und schreit in jedem Frame nach Freiheit, Befreiung und seine Wut über die beklemmenden, erdrückenden Verhältnisse heraus; in der Schlüsselszene des Films, als eine junge Frau sich bei voller Fahrt aus dem Drogentaxi des Protagonisten Amir lehnt und unaufhörlich »Yes! Fuck You!« brüllt, auch ganz explizit.

Der Film bleibt weitgehend bei seinem Protagonisten Amir, der tagsüber in einer erbärmlichen Kammer schläft, während seine Bulldogge Mr. Fred sein Bein begattet, und der nachts durch Teheran fährt, um Menschen der Stadt mit Drogen zu versorgen und Bekannte zu chauffieren. Die Kamera bleibt oft minutenlang auf Amirs Gesicht, es ist ein ausdrucksloses, resigniertes, aber auch wütendes Gesicht. Wir sehen Amir in der Nase bohren, dann andere Autofahrer und einen undankbaren Kunden übel beschimpfen, sich die müden Augen reiben. Auch formal ist der Film eine Herausforderung für den Zuschauer: lange Einstellungen, oft einfach Schweigen, einmal ist die Kamera an Amirs Lenkrad angebracht und bei jeder Kurve dreht sich alles im Kreis – wie das perspektivlose Leben des Protagonisten. Von einer weiblichen Navi-Stimme erhält er Anweisungen, wo er hinzufahren hat, aber auch Warnungen vor Polizeikontrollen und Ähnlichem: Schon das Setting ist also überaus metaphorisch und lässt keine Zweifel an der Grässlichkeit der durch den Zwang zum Verkauf ihrer Arbeitskraft und der autoritären Unterdrückung von Freiheitsrechten und Bedürfnissen doppelt geschundenen Leben der Figuren.

Eine große Stärke des Films ist dabei, dass er nie agitiert, keine politischen Forderungen formuliert, sondern die Verzweiflung, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Figuren schlicht vorführt.

Eine große Stärke des Films ist dabei, dass er nie agitiert, keine politischen Forderungen formuliert, sondern die Verzweiflung, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Figuren schlicht vorführt, ebenso wie das Surreale an deren Versuchen, sich dem alles überlagernden Druck irgendwie zu entziehen oder sich Freiräume zu verschaffen. Das führt zu einer sehr bitteren, latenten Komik, die erstaunlicherweise weitere Schwere auf die Szenerie legt, statt zu erleichtern. Die einzige wirkliche Erleichterung bringt Verdrängung, die aber im Angesicht der Verhältnisse nur im Drogenrausch zu finden ist, und so sehen wir in »Critical Zone« in erster Linie Amir, der nichts anderes tut, als von Ort zu Ort durch die Nacht zu fahren und Drogen zu verkaufen oder zu verabreichen: dem verzweifelt hemmungslos weinenden Freund, den Laufkunden an einer Überführung, die ihm die Hand küssen wie einem Heiligen, oder den kaum noch lebenden Alten auf einer Palliativstation, denen er Haschkuchen gebacken hat, vor allem aber sich selbst. Auch bei ihm, dem Helfer, ist nichts in Ordnung. In der vielleicht traurigsten Szene des Films besucht er eine junge Tänzerin und Kundin, offenbar seine Ex-Freundin, und bittet sie: »Schlaf, mit wem du willst. Ich versteh das. Du bist jung, du hast Lust. Ich kanns nicht machen. Meiner funktioniert nicht. Was soll ich machen? Mach, was du willst. Geh, wohin du willst. Sei, mit wem du willst. Aber komm nachts zurück zu mir. Von 20 Millionen Menschen in dieser Stadt habe ich nur dich und Mr. Fred. Bitte komm heute nacht zurück nach Hause. Ich will einfach nur mit dir im Arm einschlafen. Das ist alles. Bitte komm zurück. Ich hab dich so sehr vermisst.« Sie kommt natürlich nicht.

Die Szene ist auch deshalb interessant, weil wir hier seitens des Protagnisten zum einzigen Mal echte Gesten der Zuneigung sehen. Während seines Flehens zeigt die Kamera zwar nur die Angeflehte. Sie sitzt gegenüber Amir am Tisch und schaut meist auf ihre gefalteten Hände vor sich, nur gelegentlich blickt sie ihn an. Als er schließlich seinen Kopf auf ihre Hände legt, zieht sie eine Hand zurück und zeigt sonst keinerlei Emotion. Alle anderen Formen von Zärtlichkeit, die wir im Film sehen, sind entweder rein funktional oder sogar gewaltförmig, etwa, wenn Amir in einer homoerotischen Szene einem jungen Mann, der krank im Bett liegt, gegen dessen Willen Tabletten verabreicht, ihm Drogen in den Tee mischt und ihm wenig zärtlich über das Gesicht streicht. Formen von Lust und Sex werden zwar angedeutet, sind aber nie liebevoll. Wie in der oben erwähnten Schlüsselszene, in der sich die sexuelle Exstase der Mitfahrerin in einen Wutanfall steigert: »Fuck You!«

Was hier Subversivität evoziert, ist also die nahegelegte Erkenntnis, dass die betonierten gesellschaftlichen Formen keinerlei Perspektive für ein Leben außerhalb vollkommener Deformation von Menschlichkeit bieten, und dass nur ein radikaler Umsturz der Verhältnisse als Lösung in Frage kommt. So ist der Film, gerade weil er nur beobachtet und die abscheulichen Ergebnisse der Unterdrückung zeigt, höchst politisch.

Am Ende des Films – Amir kommt wieder zu Hause an – sagt die emotionslose Computer-Big-Sister: »Sie haben ihr Ziel erreicht.« Ein letzter höhnischer Scherz auf Kosten der Gesamtscheiße.

»Critical Zone«: Iran/Deutschland 2023. Regie und Buch: Ali Ahmadzadeh. Mit: Amir Pousti, Shirin Abedinirad, Maryam Sadeghiyan, Alireza Keymanesh, Saghar Saharkhiz, Mina Hasanlou. 99 Min. Kinostart: 7. November.

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