Pankow: »Ich dachte, jetzt lösen wir die Revolution aus«

André Herzberg von Pankow über Protest, Provokation, Politaristokratie und den Mauerfall

Frontmann von Pankow: André Herzberg
Frontmann von Pankow: André Herzberg

Zunächst die obligatorische Frage: Was haben Sie am 9. November 1989 gemacht und gedacht?

Das weiß ich nicht mehr, an diesen Tag habe ich keine besonderen Erinnerungen. An den Folgetag schon. Wir haben am 10. November ein Konzert in Halle gegeben und dachten, da kommt niemand. Die Leute werden alle schon im Westen sein. War aber nicht so. Der Saal war voll besetzt.

Weil den Menschen ein Konzert von Pankow wichtiger war als die offene Grenze?

Oder weil man von Halle aus nicht so leicht in den Westen spazieren kann wie in Berlin. Am 11. November haben wir in der Deutschlandhalle in Westberlin gespielt, ein spontan organisiertes Konzert: »Berlin freut sich«, mit Weltstars. Das war sehr bewegend.

Was haben Sie vorgetragen?

Ick glaube, Songs von unserem damals aktuellen Album »Aufruhr in den Augen«.

Pankow war eine der angesagtesten Bands in der DDR. Wie kam es zu diesem Namen? Eine Anspielung auf Adenauers »Pankoff«?

Ja, es sollte eine Anspielung auf den alten Begriff aus dem Kalten Krieg sein. Wir sahen uns als die nicht ganz legitimen Kinder des »Pankoff-Regimes«. Zugleich war es auch eine Anspielung auf die damals in der DDR noch neue Punkmusik, die aus Großbritannien und den USA herüberschwappte. Und es war ein Ostberliner Stadtbezirk, mit dem wir uns identifizierten. Ich lebe hier schon seit Jahrzehnten.

Interview

André Herzberg, Jg. 1955, studierte an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin. Seit 1981 Frontmann der bei Jugendlichen in der DDR populären, jedoch mit subversiven Texten die Staats- und Parteiführung provozierenden Band Pankow, hat er nach deren zeitweiliger Trennung 1998 eine Solokarriere gestartet. 2004 feierte die Band ihre Wiedervereinigung. Pankow produzierte mehrere Nummer-eins-Songs. Ihr erstes Rocktheater »Paule Panke« von 1982 wurde erst im Jahr des Mauerfalls von der staatlichen Plattenfirma Amiga veröffentlicht. Die »Pankower« gehörten zu den Unterzeichnern der Resolution der Rockmusiker und Liedermacher vom 18. September 1989 für Veränderungen in der DDR und spielten unter anderem am 15. Oktober auf einem »Konzert gegen Gewalt« in der Ostberliner Erlöserkirche. Mit den Büchern »Mosaik« (2004) und »Alle Nähe fern« (2015) reflektierte er sein Leben und die Geschichte seiner jüdischen Familie.

Sie sind der Frontfrau Veronika Fischer als Frontmann gefolgt, als »Vroni« 1981 in den Westen gegangen ist. Da hatten Sie große Fußstapfen auszufüllen?

Das ist richtig. Ich war so etwas wie ein Lehrling in der Band, die reichhaltige Erfahrung hatte als Begleitband von Veronika Fischer und die auch mit anderen Künstlern Songs eingespielt hat. Sie wollten musikalisch neue Wege beschreiten. Das war für mich eine große Chance.

Der »Gaukler« kam zur rechten Zeit?

Zufälle spielen manchmal eine wichtige Rolle. Die Band brauchte jemanden, der den Lead-Gesang übernimmt, und ich hatte mit meiner damaligen Band Gaukler etliche Streitereien und war froh über einen Neuanfang.

Pankow hatte gleich einen fulminanten Einstieg: 1982 mit dem Rocktheater »Paule Panke«, ein Tag im Leben eines Lehrlings. Die Texte stammen zwar von Ihrem älteren Bruder Wolfgang, der noch im britischen Exil Ihrer Eltern geboren ist. Konnten Sie Paule aber auf der Bühne so gut mimen, weil sie dessen Erfahrungen selbst gemacht hatten?

Meine Lehrlingszeit lag zwar schon einige Jahre zurück, und ich habe nicht Metall gefeilt und gefräst, sondern war auf dem Bau. Aber diesen harten, stupiden Arbeitsalltag kannte ich und hab mich gar nicht wohlgefühlt. Wie wahrscheinlich viele andere junge Leute auch nicht. Wir wollten wie The Who aus England die Tristesse des Lebens einfacher Arbeiter widerspiegeln. Und das Publikum hat es uns gedankt.

Sie haben das Gegenbild eines Helden der sozialistischen Arbeit gegeben.

Das war nicht schwer. Das Bild vom begeisterten jungen Menschen, der an seiner Werkbank, »Kampfplatz für Frieden und Sozialismus«, Tag für Tag den Plan erfüllt und übererfüllt, war natürlich ein Trugbild. Dem wollten wir die Wahrheit entgegensetzen.

Paule klagt, dass ihn die Welt ankotzt, zugleich gibt es hier die Aufforderung »Komm aus dem Arsch«, während in dem 1985 entstandenen Album »Hans im Glück« schon »alles im Arsch« ist: »Ohne Rast, ohne Ruh’/ Geht’s dem Untergang zu./ Alles Scheiße/ Ob in Nord, Ost, Süd oder West … geistige Pest.« Was ist in den drei Jahren zwischen beiden Werken geschehen, dass sich der Band solch Resignation bemächtigte?

Ich kann nicht für die ganze Band sprechen, nur für mich. Ja, ich hatte Illusionen, glaubte anfangs an den alten kommunistischen Spruch »Kunst ist Waffe« und dachte Anfang der 80er Jahre noch: Jetzt lösen wir die Revolution in der DDR aus. Das hat nicht ganz geklappt. »Hans im Glück« war unser drittes Album, da wurden verschiedene Typen vorgeführt. Es läuft alles auf eine totale Katastrophe zu, endet aber nicht in Fatalismus. Es geht um privates Glück und die Notwendigkeit, sich in die Verhältnisse einzumischen. Das Album ist noch von Hoffnung getragen.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Sie durften beim legendären Konzert »Rock für den Frieden« gegen den Nato-Doppelbeschluss und die sowjetischen SS-20-Raketen mitmachen, an dem internationale Stars, nicht nur Udo Lindenberg, beteiligt waren. Sie provozierten ordentlich.

Das war im Januar ’83, also 50 Jahre nach dem Machtantritt der Nazis in Deutschland. Ich habe mir vorher aus der Requisitenkammer beim DDR-Fernsehen eine Wehrmachtsuniform ausgeliehen und bin mit der auf die Bühne marschiert. Wir brachten unseren Song »Monolog eines Mitläufers«.

Ihr Auftritt wurde bei nachfolgenden Ausstrahlungen des Konzerts rausgeschnitten …

Das waren wir gewohnt. Es ist vieles von uns nicht in die Medien gekommen, auch »Paule Panke« nicht.

Haben Sie in die Gesichter zumindest in den ersten Reihen blicken, Reaktionen beim zumeist handverlesenem Publikum wahrnehmen können?

In die Gesichter konnte man nicht blicken. Woran ich mich aber erinnere, ist die totale Stille. Das ist uns zwar oft passiert, aber diesmal hatte ich das Gefühl: Die halten den Atem an. Parallelen, die wir von düsterer deutscher Vergangenheit zur Gegenwart zogen, waren für jeden deutlich erkennbar. Und das war unerhört, nur schwer oder gar nicht zu verdauen.

Noch schwerer sicher später »Der Diktator«. Haben Sie bei solcher scharfzüngigen Kritik an selbstgefälliger Politaristokratie nicht an Ihre Eltern gedacht, Shoah-Überlebende, die Familienangehörige während der NS-Diktatur verloren hatten? Solche Vergleiche konnten sie, die sich mit der DDR identifizierten, die den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhoben hatte, doch verletzen. War das jugendliche Unbekümmertheit?

Nein. Bei meiner Entscheidung hat gerade die Geschichte meiner jüdischen Familie eine wichtige Rolle gespielt. Meine Eltern sind in das Land zurückgekehrt, aus dem sie in sehr jungen Jahren geflohen sind. Und trafen auf Deutsche, die geduldet oder mitgemacht haben beim Mord an den Juden und Andersdenkenden. Ich wollte auf Mitläufertum und Allmachtsallüren in unserer Gegenwart aufmerksam machen. Meine Mutter hat das verstanden, aber nach innen gespiegelt, nicht nach außen tragen wollen. Sie war Staatsanwältin. Mein Vater als zutiefst überzeugter Kommunist – er hat bei Radio Berlin International gearbeitet – sah das anders. Er hat sich das ideologisch von der Schulter gewedelt.

Ist man als Künstler sensibler, spürt eher als andere Menschen, wenn etwas nicht stimmt in der Gesellschaft, Unheil sich anbahnt?

Das weiß ich nicht, es gibt solche und solche. Ich habe schon sehr früh gespürt, dass was faul ist.

In den Texten von Pankow taucht immer wieder die Sehnsucht nach der weiten Welt auf. Da ist beispielsweise Gabi aus dem kleinen Blankerode, die den Globus heimlich rollte und flog und flog, wohin sie wollte …

Ich sehnte mich selbst nach der weiten Welt, hätte mich gern in jungen Jahren in den USA, in der dortigen Musikszene umgetan, dies und das abgeguckt und dazugelernt.

Sie durften ab 1986 durch Westeuropa touren. Schizophren: einerseits Auftrittsverbote, andererseits Konzerte im NSW, in der »nichtsozialistischen Welt«. Zuckerbrot und Peitsche?

Das gehörte zu den vielen Widersprüchen in der DDR. War auch eine Art Hilflosigkeit. Andererseits gab man sich Mitte der 80er Jahre teils etwas moderater.

Im Westen zu bleiben, war für Sie nie eine Option?

Nein. Der Westen war mir irgendwie fremd. Ich hätte mich da nicht zu Hause gefühlt. Dort hätte ich auch nicht diese Songs schreiben können, zu denen mich die Realität in der DDR anspornte. Und trotz schwieriger Beziehung zu meinem Vater hielten mich Familienbande zurück; die Mutter wollte ich jedenfalls nicht verlassen.

Sie scheinen in einem Song die Massenflucht vorhergesehen zu haben: »Komm ich hol dich raus, raus, raus/ Dann geh’n wir hier weg./ Gib mir ’n Zeichen,/ Die andern brauchen es nicht zu sehn …«

Das stammt von unserem Album »Aufruhr in den Augen« von 1988. Künstler können vielleicht Propheten sein, wenn sie das Ohr am Puls der Gesellschaft haben. Aber das, was sich im Sommer ’89 abspielte, die Massenflucht über Ungarn und die Botschaftsbesetzungen, konnte ich mir nicht ausmalen.

Bei »Aufruhr« findet sich einer Ihrer berühmtesten Songs, »Langeweile«: »Dasselbe Land zu lange geseh’n/ Dieselbe Sprache zu lange gehört./ Zu lange gewartet, zu lange gehofft/ Zu lange die alten Männer verehrt …« Sie waren damals in einer Talkshow der ARD eingeladen. Der Moderator wollte von Ihnen unbedingt hören, dass Sie mit den »alten Männern« das Politbüro meinten. Den Gefallen haben Sie ihm aber nicht getan.

Nee. Diese Talkshow hatte dennoch ein Nachspiel für uns. Kurz darauf war irgendeine Tagung des ZK der SED. Und da hat sich der Bezirkssekretär von Suhl bitter beschwert, dass eine Gruppe namens Pankow im Westen gegen die verdienten Männer der Partei hetzt. Das kann man im »ND« nachlesen; damals wurden im »Zentralorgan« ja immer alle Reden von ZK-Tagungen nachgedruckt. Wir hatten daraufhin Auftrittsverbot im Bezirk Suhl. Und das Lied wurde verboten.

Ein kurioses Nachspiel hatte Ihr Song »Inge Pawelczik, die wilde Wahnsinnsmaus« von Ihrem zweiten Album, »Kille Kille«, 1983.

Bald geht es noch einmal auf große Tour.
Bald geht es noch einmal auf große Tour.

Für uns ein bitteres Nachspiel. Es hat sich eine Inge Pawelczik gemeldet. Sie war Direktorin an einer Berliner Schule und wurde von ihren Schülern auf den Sex angesprochen, den sie mit mir in ihrer Hinterhausbude hatte. (lacht)

Ihr Bruder hat sich den Namen für den Songtext aus dem Telefonbuch geliehen.

Ja. Und sie fand das nicht lustig und hat das Lied verbieten lassen.

Trotz des Titels »Aufruhr in den Augen« – die DDR beseitigen wollten Sie nicht?

Ich konnte mir das gar nicht vorstellen. Ich habe ernsthaft geglaubt, die DDR würde noch viele Jahrzehnte weiterbestehen. Da war ich dem gleichen Irrtum unterlegen wie Honecker. Ich ahnte nicht, dass es mit der DDR so schnell zu Ende gehen würde. Und dann auch noch auf diese Art und Weise wie 1990 geschehen.

Konnte man es nach der Maueröffnung ahnen?

Ja, da wusste ich: Das war’s. Nicht nur die Regierung, das ganze System hatte seine Legitimität verloren. Ich war schlagartig ernüchtert.

Wie kam es zum Konzert mit der Big Band der Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland drei Jahre vor deren Abzug aus Deutschland?

Wir sind sogar schon 1987/88 mit ihnen auf Tour gegangen. Das war eine Idee unseres damaligen Managers. Die haben natürlich eine ganz andere Musik gespielt als wir, Militärmärsche und Volkslieder. Aber die waren Profis, wir haben super miteinander korrespondiert.

Haben Sie vorher gemeinsam geprobt?

Na klar, im Kulturhaus in Wünsdorf, wo sich der Stab der Sowjetstreitkräfte befand. Erst haben wir uns einen Tag lang beschnuppert. Die ersten Verhandlungen waren sehr nachdrücklich. Wir haben an einem langen Tisch gesessen und pausenlos mit Wodka auf Druschba – Freundschaft angestoßen. Dann folgten ein paar Proben, und dann sind wir durch die Republik getourt und nach Westberlin.

Haben Sie sich mit den Militärmusikern über die Perestroika unterhalten?

Ja, aber nicht tiefgründig.

Das Geheimnis des Ostrocks, der in den 90ern ein Revival erlebte, scheinen die philosophisch-tiefgründigeren Texte im Vergleich etwa zur kurzlebigen Neuen Deutschen Welle im Westen zu sein?

Kann ich so nicht sagen. Ich sehe keinen deutsch-deutschen Konkurrenzkampf. Der letzte große deutsche Rocker war für mich Rio Reiser, den ich sehr verehre.

Aber Ostbands haben doch großartige, poetisch-kraftvolle Balladen geschaffen. Und zeitlose, noch immer aktuelle Songs. Die Lage eines Lehrlings heute ist nicht viel anders als die von Paule Panke. Oder Ihre Kritik an Umweltsünden 1985: »Die Luft ist vergiftet/ Die Gewässer vermistet/ Das Land ausgesaugt …« Warum wollen Sie mein Kompliment nicht annehmen?

Na ja, wenn ich an Leonard Cohen oder Bob Dylan denke …

Ihre im Januar startende Abschiedstour ist wie Ihr letzter gemeinsamer Song mit »Bis zuletzt« überschrieben. Tritt Pankow wirklich von der Bühne ab?

Ja. Wir haben jetzt noch drei Konzerte für Sommer nächsten Jahres vereinbart, in Dresden, Leipzig und Berlin. Ansonsten war’s det. Is och jut so.

Seit 8.11. auf dem Markt die letzte gemeinsame Single von Pankow »Bis zuletzt«;
Tourdaten: www.pankow.band

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -