Solingen: Ein Jahr nach Brandanschlag – Gerechtigkeit gefordert

Schwere Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft bei Gedenkveranstaltung

150 Menschen erinnerten am Dienstagabend an den Brandanschlag.
150 Menschen erinnerten am Dienstagabend an den Brandanschlag.

Vor dem Haus in der Grünewalder Straße 69 steht am Dienstagabend ein Tisch voller Blumen, Puppen und Kuscheltieren, dahinter an der Wand klebt ein blasses Foto der Familie Zhilova. Kanco und Katya und ihre beiden Töchter Galia und Emili, die erst wenige Monate alt war, starben hier vor genau einem Jahr. Sie wurden Opfer eines Brandanschlags. Daniel S., ein ehemaliger Mieter, zündete das Haus an. In Solingen atmeten nach der Festnahme von S. und nach Beginn des Strafprozesses viele Menschen auf. Daniel S. hatte viel mit Drogen zu tun und Ärger mit seiner ehemaligen Vermieterin. In einem Geständnis gab er Stress als Tatmotiv an. Rassismus schien keine Rolle zu spielen. Allerdings blieben Nebenklagevertreter*innen wie Seda Başay-Yıldız aufmerksam. Sie verlangten die Auswertung von Datenträgern, die Daniel S. gehörten. Auf einer Festplatte fanden sich den Nationalsozialismus verherrlichende Grafiken, genauso wie rassistische und antisemitische Bilder.

Die neuen Erkenntnisse aus dem Prozess, der nächste Woche fortgeführt wird, und Äußerungen von Gericht und Staatsanwaltschaft, dass eine vertiefte Suche nach dem Motiv nicht wichtig sei, da der Angeklagte geständig ist, waren am Dienstagabend Thema in den Reden bei einer Gedenkveranstaltung zum ersten Jahrestag des Brandanschlags.

Vertreter*innen von Solinger Initiativen wie »Bunt statt braun« und der »Solinger Appell«, der sich nach dem Brandanschlag 1993 gegründet hatte, berichteten von Stimmungsmache in der Stadt. Wer bei dem Brandanschlag vom vergangenen Jahr nach rassistischen Motiven gefragt habe, sei als »Nestbeschmutzer« beschimpft worden. Ein Angehöriger der Opfer des Brandanschlags bedankte sich bei den Teilnehmer*innen und mahnte an: »Der Rassismus wird immer größer und stärker, wir müssen uns dem entgegenstellen, sonst werden noch mehr Menschen sterben.« Kutlu Yurtseven, bekannt als Mitglied der Band »Microphone Mafia« und in verschiedenen Initiativen aktiv, sprach über den Prozess. Er habe nicht das Gefühl, dass die Staatsanwaltschaft »versagt«, sondern sei der Meinung, »dass sie wissentlich wegschaut«.

Unter dem Ruf »Adalet« (Gerechtigkeit) zogen die Teilnehmer*innen der Gedenkveranstaltung am Dienstagabend vom Brandhaus in die Solinger Innenstadt. Als sie ihre Versammlung mit einer Schweigeminute beenden wollten, wurden sie aus einer Kneipe rassistisch beleidigt. Die Polizei führte den Pöbler ab.

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