Ein neuer Kriegsschauplatz in Syrien

Im Süden Syriens drohen die Angriffe auf Drusen zu einem regionalen Konflikt zu werden

  • Mirco Keilberth, Beirut
  • Lesedauer: 4 Min.
Syrien kommt nicht zur Ruhe. Nach den Massakern an Alawiten richtet sich die Gewalt jetzt gegen Drusen.
Syrien kommt nicht zur Ruhe. Nach den Massakern an Alawiten richtet sich die Gewalt jetzt gegen Drusen.

Nach den mehrtägigen Kämpfen im Süden der syrischen Hauptstadt Damaskus weiten sich die innersyrischen Spannungen zu einem neuen regionalen Konflikt aus. Israelische Kampfflugzeuge bombardierten am Donnerstag Ziele in direkter Nähe des syrischen Präsidentenpalastes, danach fielen Bomben auf ein Dutzend weiterer Ziele im ganzen Land.

Ein Sprecher der israelischen Armee bestätigte am Samstag, dass Soldaten zum Schutz drusischer Dörfer entsandt worden seien. In der letzten Woche hatten schwerbewaffnete Milizionäre Dscharamana und andere Orte angegriffen, in denen die Minderheit der Drusen lebt. Die Angreifer hatten sich aus Wut über den Mitschnitt einer Rede eines drusischen Geistlichen in der Stadt Hama versammelt und waren nach Damaskus gezogen. Nach schweren Straßenkämpfen mit über 100 Toten konnten Einheiten des der HTS-Allianz von Präsident Ahmed Al-Sharaa die Lage beruhigen.

Israel stellt sich hinter die Drusen

In sozialen Medien hatte sich die Aufregung über die Audioaufnahme einer angeblichen Verunglimpfung des Prophet Mohamed in allgemeinen Hass gegen die Drusen verwandelt. Das drusische Siedlungsgebiet hatte seit dem Sturz des Regimes von Bashar Al-Assad eine gewisse Autonomie errungen, was vor allem unter den Islamisten der HTS-Allianz zu Kritik führte. Die israelische Regierung versteht sich als Garant der Minderheit und will die HTS aus dem gesamten Süden Syriens fernhalten.

»Wir haben eine klare Botschaft an das Regime«, warnten Israels Premier Netanjahu und Verteidigungsminister Katz und meinen damit den neuen Präsidenten Sharaa. »Den Einsatz syrischer Streitkräfte gegen die drusische Minderheit werden wir nicht zulassen.«

Der norwegische UN-Sondergesandte Geir Pedersen kritisierte die israelischen Angriffe und forderte die Regierung in Jerusalem auf, die Souveränität und Einheit Syriens und das internationale Recht zu respektieren.

Der syrische Präsident Ahmed Sharaa schwieg bisher zu den Explosionen direkt neben seinem Amtssitz in Damaskus. Israelische und syrische Medien verstehen die israelische Provokation als letzte Warnung an den ehemaligen Al Kaida-Kommandeur.

Regierungssprecher befürchtet Eskalation

»Die Bombardierungen Netanjahus führen zu keiner Deeskalation«, sagt ein Regierungsberater »nd« am Telefon. »Diese Willkür radikalisiert selbst die gemäßigten Kräfte rund um Sharaa, die bisher eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel erwogen hatten.«

Seit Wochen steigt die Empörung in Syrien darüber, dass Israel und die Türkei ganze Landstriche Syriens besetzt halten. Während die türkische Armee ihre syrischen Militärbasen für Angriffe gegen bewaffnete kurdische Gruppen nutzt, sprechen die radikalen Koalitionspartner von Benjamin Netanjahu ganz offen von einer langfristigen Besatzung. »Wir werden kein Machtvakuum wie im Süden des Libanon dulden«, so Verteidigungsminister Katz Anfang April. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich sprach Anfang letzter Woche ganz offen von dem Plan, Syrien aufzuteilen.

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Seit der israelischen Besetzung von syrischem Territorium rund um die Golan-Höhen und dem Vorrücken israelischer Panzer bis in die Vororte von Damaskus wird nicht nur in islamistischen Zirkeln diskutiert, wieder zu den Waffen zu greifen.

Zweifel an Sparaas Fähigkeiten wachsen

Die sunnitischen Syrer in Hama skandierten »Nieder mit den Drusen«, »Nieder mit Israel« und zogen offenbar auf eigene Faust in die Stadt Dscharamana. »Sie kamen sogar in die Häuser und zielten auf jeden, den sie für einen Drusen hielten«, berichtet ein Bewohner dem »nd« am Telefon.

Zunächst wurde in einigen syrischen Medien spekuliert, dass die Mobilisierung von Hama ein Versuch der HTS-Allianz gewesen sein könnte, die Kontrolle über die drusischen Gebiete zu erlangen. Doch nachdem al Sharaa mehrere Tage benötigte, um die dortige Lage unter Kontrolle zu bekommen und die drusischen Verteidiger ihre Stellungen hielten, zweifeln immer mehr Syrer an der Fähigkeit seiner Bewegung das Land zusammenzuhalten. Bereits im März hatten Islamisten über 1700 syrische Alawiten in den Küstenstädten Latakia und Tartus getötet, nachdem Anhänger von Ex-Präsident Assad mehrere HTS-Konvois aus dem Hinterhalt angegriffen hatten.

Bei den Drusen herrscht angespannte Ruhe

Sharaa droht zwischen die Fronten von Radikalen beiderseits der Grenze zu geraten. Die mit ihm verbündeten Islamisten hatte er zuletzt –wie vom Westen gefordert – in die Schranken gewiesen. Doch sollte Israel die Bombardierungen fortsetzen, könnten sie zusammen mit Freiwilligen aus der gesamten Region den Süden Syriens in eine Kampfzone gegen die israelische Besatzung verwandeln.

Viele drusische Führer sehen daher die israelische Schutzgarantie für das Gebiet äußerst kritisch, Geistliche wie Hikmat al Hijri wollen hingegen eine drusische Autonomie und den Schutz des Nachbarstaates. In den umkämpften Städten Suweida, Dscharamana und Ashrafia Sahnaya herrschte am Sonntag wieder gespannte Ruhe. In den Cafés wird spekuliert, dass nicht die ominöse Audioaufnahme, sondern der Besuch einer drusischen Delegation von Hijri in Israel der eigentliche Auslöser der Kämpfe war. Im drusischen Suwayda werden derweil Verteidigungsstellungen ausgebaut, aus Furcht vor Angriffen des in der Wüste versteckten Islamischen Staates.

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