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Mit AfD-Agenda gegen Rechtsruck

Erste Maßnahmen der neuen Regierung werden weitere Abschottung und Entrechtung Geflüchteter sein

Einig geworden: Der künftige Kanzler Friedrich Merz (M), CSU-Vorsitzender Markus Söder (l) und SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil, designierter Bundesfinanzminister und Vizekanzler
Einig geworden: Der künftige Kanzler Friedrich Merz (M), CSU-Vorsitzender Markus Söder (l) und SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil, designierter Bundesfinanzminister und Vizekanzler

Für seine Verhältnisse hatte Markus Söder vor vier Wochen bescheiden formuliert. Als er gemeinsam mit dem designierten Bundes- und dem künftigen Vizekanzler den Koalitionsvertrag von Union und SPD vorstellte, sagte er, dieser könne »ein kleiner Bestseller« werden. Denn, so der CSU-Chef: »Jeder Satz ist Politik pur.« Ob das den Leuten, die das Elaborat in Kürze auch am Kiosk erwerben können, als Kaufargument reicht oder ob es dann doch ein Ladenhüter wird, sei dahingestellt.

Am Montag jedenfalls unterzeichneten CDU-Chef Friedrich Merz, der diesen Dienstag im Bundestag zum Kanzler gewählt werden will, SPD-Chef und Vizekanzler in spe Lars Klingbeil und Söder am Montag in Berlin den Vertrag. Damit sind faktisch alle Hürden auf dem Weg zur Aufnahme der Regierungstätigkeit genommen.

Wenn nicht allzu viele Menschen den Vertrag mit dem Titel »Verantwortung für Deutschland« als illustriertes Büchlein kaufen, könnte das einerseits damit zu tun haben, dass mit »Deutschland« gewiss nicht die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung gemeint ist. Sondern die Unternehmen, denen Steuererleichterungen und »Turboabschreibung« winken, und die Besserverdienenden.

Zudem, auch das dürfte manchem im Ohr geblieben sein, hatte der künftige Finanzminister Klingbeil bei der Vorstellung der Vorhaben der schwarz-roten Koalition mitgeteilt, diese stünden unter Finanzierungsvorbehalt. Sprich: Nur, wenn jenseits der geplanten extremen Ausweitung der Ausgaben für die Bundeswehr, der Waffenhilfe für die Ukraine und der Ertüchtigung der Infrastruktur in Richtung Nato-Ostflanke noch Geld übrig ist, kann auch noch etwas für sozialen Wohnungsbau, Klimaschutz, Verkehrswende, Bildung und zivile Forschung bereitgestellt werden.

Während es für »Verteidigung« in allen denkbaren Facetten durch die vom alten Bundestag noch beschlossene Grundgesetzänderung ein neues Sondervermögen mit unbegrenzter Möglichkeit zur Kreditaufnahme gibt und für die Infrastruktur eine Ausnahme von der Schuldenbremse, gilt diese für alle anderen Bereiche und Ressorts weiter.

Rechtsbruch im Koalitionsvertrag

Der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) gab am Wochenende bereits den Ton für die künftige Koalition von SPD und Union vor. Er kündigte an, er werde gleich nach seinem Amtsantritt am Mittwoch nochmals verschärfte Kontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen anordnen. Die Grenzkontrollen würden »hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert«, sagte der CSU-Mann. »Damit Humanität und Ordnung gleichermaßen gelingt, braucht es Kontrolle, Klarheit und Konsequenz«, erklärte er. Dazu bereite man »nationale und europäische Entscheidungen vor«.

Rein formal werden die Zurückweisungen dem Koalitionsvertrag zufolge »in Abstimmung mit den europäischen Partnern« vorgenommen. Die SPD verkaufte das als ihren Einsatz für die Achtung von EU-Verträgen. Doch an diesem wie auch an anderen Stellen wird die künftige schwarz-rote Bundesregierung, die über eine eigene Mehrheit von gerade mal zwölf Stimmen verfügt, austesten, wie weit sie gehen kann, ohne von Gerichten zurückgepfiffen zu werden.

Der Linke-Ko-Vorsitzende Jan van Aken sagte denn auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag, darin werde »ganz offen Rechtsbruch angekündigt«. Neben den Plänen, Asylsuchende an der Grenze abzuweisen, bezog er dies auf die Ankündigung, bei wiederholter Ablehnung von Arbeit das Bürgergeld auf Null zu reduzieren. Beides sei rechtswidrig und nichts anderes als »Sündenbockpolitik«, betonte van Aken.

Neuaufstellung der SPD

Die Regierungsbildung ist nun faktisch abgeschlossen. Letzter formaler Akt ist die Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Kanzler. Die von den Parteien nominierten Kabinettsmitglieder erhalten anschließend mit ihm gemeinsam von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Ernennungsurkunden. Als »18 für Deutschland« wurden die künftigen Ministerinnen und Minister am Montag vorgestellt, nachdem auch die SPD ihre Personalien bekanntgegeben hatte.

Während Lars Klingbeil, der an der Spitze seiner Partei die SPD zu einem neuen Negativrekord beim Wahlergebnis führte, Vizekanzler wird, ging SPD-Ko-Chefin Saskia Esken leer aus. Der SPD-Vorstand soll auf einem Parteitag im Juni neu gewählt werden. Es wird erwartet, dass Klingbeil als Parteichef weitermachen will – mit wem zusammen, ist aber offen. Esken könnte erneut antreten, es wird aber erwartet, dass es mindestens eine Gegenkandidatur gibt.

Die SPD muss mit der Nominierung ihres Regierungsteams zudem die Fraktionsspitze neu wählen. Mit den SPD-Parteiflügeln verständigte sich Klingbeil, dass Matthias Miersch vom sogenannten linken Flügel Fraktionschef werden soll. Fraktionsmanager, also Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, soll Dirk Wiese vom konservativen Seeheimer Kreis werden. Die Fraktion will ihre Führung am Mittwochvormittag neu wählen.

Merz kündigte nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags an, Unionsparteien und Sozialdemokraten wollten »ab morgen unser Land kraftvoll, planvoll, vertrauenswürdig« regieren. Klingbeil erklärte: »Deutschland hat alles, was es braucht. Jetzt braucht es eine Regierung, die daraus etwas macht.« Die neue Regierung brauche »mehr denn je echtes Teamplay«, mahnte der SPD-Ko-Vorsitzende. Als Motto für Schwarz-Rot gab er aus: »Deutschland braucht weniger Verwalter und mehr Möglichmacher.«

»Deutschland braucht weniger Verwalter und mehr Möglichmacher.«

Lars Klingbeil SPD-Ko-Vorsitzender und designierter Vizekanzler

CSU-Chef Markus Söder forderte »Volldampf für Deutschland« und schränkte zugleich ein: »Es wird nicht alles über Nacht gehen.« Man müsse mit der Umsetzung der Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag zu einem neuen »Deutschlandtempo« kommen. Es brauche einen »neuen Optimismus«.

Kabinett wird älter und männlicher

Das neue Kabinett wird insgesamt etwas größer, männlicher und älter sein als es die Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP war, als sie 2021 antrat. Das Durchschnittsalter steigt von 50,4 auf 53,1 Jahre. Das liegt vor allem an den elf Unionisten in der Regierung, allen voran Kanzler Merz (69). Sie sind im Schnitt 55, die SPD-Kabinettsmitglieder 49 Jahre alt. Wegen der Neugründung des Digitalministeriums gibt es künftig 18 statt bisher 17 Minister*innen, davon sind zehn Männer. Zum zweiten Mal in Folge wächst die Regierung damit.

Am Dienstagnachmittag wollen die Bundestagsabgeordneten der Union den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als Nachfolger von Merz zu ihrem neuen Vorsitzenden wählen. Neuer Chef der CSU-Landesgruppe in der Fraktion soll der bisherige parlamentarische Geschäftsführer Alexander Hoffmann werden. Der 50-Jährige folgt auf Alexander Dobrindt. Von den 208 Unionsabgeordneten gehören 44 der CSU an.

Großer Zapfenstreich für Olaf Scholz

Wenn alles nach Plan läuft, wird die neue Regierung genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP ihre Arbeit aufnehmen. Der scheidende SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz sollte am Montagabend von der Bundeswehr vor dem Verteidigungsministerium mit einem »großen Zapfenstreich« gewürdigt und verabschiedet werden. Dem Bundestag wird Scholz aber weiter angehören. Er hat ein Direktmandat in Potsdam gewonnen und will es bis zum Ende der Wahlperiode wahrnehmen. Seinen vollständigen Rückzug aus der Politik hatte er nur für den Fall angekündigt, dass er das Direktmandat nicht gewinnt. Als Titel für den Zapfenstreich hat Scholz sich den Beatles-Song »In my Life«, das zweite Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach sowie den Song »Respect« von Aretha Franklin gewünscht. Wohl deshalb, weil seine Regierung die Grundlagen für die Menschenrechte aushebelnde Politik der Nachfolgekoalition gelegt hatte.

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