Kämpfer gegen den »Eurofaschismus«

Russland passt seine Propaganda der aktuellen Weltpolitik an

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 3 Min.
Russland sieht seinen Kampf gegen den Faschismus als generationenübergreifende Aufgabe.
Russland sieht seinen Kampf gegen den Faschismus als generationenübergreifende Aufgabe.

Ein US-amerikanisches und ein russisches Bajonett piksen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihre Hände und Füße bilden ein Hakenkreuz, von Fingern und Zehen tropft Blut. Mit dieser Karikatur bebilderte die Pressestelle des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR einen Artikel mit dem Titel »Wie vor 80 Jahren ist der Eurofaschismus ein gemeinsamer Feind von Moskau und Washington«.

In beinahe jedem Absatz werden anonyme »Spezialisten« angeführt, die Europa eine »Neigung zu verschiedenen Formen des Totalitarismus« attestieren. Der Text ist ein bemerkenswerter Versuch, sowjet-nostalgische und russisch-imperialistische Narrative mit denen der US-amerikanischen Rechten zu verbinden. Ein Pastiche der Ideologeme, die traditionell gegeneinander aufgestellt wurden.

Eine Kostprobe: Frankreichs Geschichte sei durch brutale diktatorische Regime gekennzeichnet, deren erstes die jakobinische Herrschaft war. Die USA hingegen konnten diesem Regime widerstehen. Auch Napoleons Feldzug gegen das Zarenreich stehe in einer totalitären Tradition. Dass der Franzose Verbündeter der USA war, bleibt aus naheliegenden Gründen unerwähnt.

In Europa, so die »Spezialisten«, entstand die Ideologie des »Eurofaschismus«, geprägt und verteidigt vom französischen Schriftsteller und Kollaborateur Pierre Drieu la Rochelle (1893–1945), der sich tatsächlich für eine Querfront von Stalin, Hitler und Mussolini aussprach.

Großbritannien betrachten die anonymen Experten »als Erstes Evil Empire der Geschichte« und zitieren damit Anthony R. Dolan, den Redenschreiber von US-Präsident Ronald Reagan, der diesen Ausdruck 1983 für die Sowjetunion verwendete. Da dürfen natürlich auch die Verbrechen des britischen Empire nicht fehlen. Und die Schuld der Briten, allem voran Winston Churchills, am Zweiten Weltkrieg und am Kalten Krieg. Schließlich habe der britische Premier alles getan, um die USA und die Sowjetunion auseinanderzubringen.

Eine große Leserschaft wird der Artikel nicht haben, aber er steht exemplarisch für die selektiven Geschichtsexkurse vor dem 9. Mai. Anders als noch vor einigen Jahren werden die Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition Großbritannien und Frankreich fehlen, dafür haben sich die Regierungschefs aus Ungarn und der Slowakei angekündigt.

Und hier bedarf es einiger Interpretationskunst, wenn wirklich alle derzeitigen Konflikte nur die Fortsetzung historischer Auseinandersetzungen sein sollen, wie es »Geopolitiker« und »Experten« in russischen Staatsmedien behaupten. Ungarn war 1945 letzter Verbündeter Hitlerdeutschlands, der erste unabhängige slowakische Staat durch die Kooperation von NS-Deutschland mit den dortigen Nationalisten.

Warum die Ukraine »entnazifiziert« werden soll, während Ungarn und Slowakei als Partner im antifaschistischen Kampf gelten, bleibt unklar. Dennoch zieht die russische Regierung vor dem 9. Mai erneut Vergleiche zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ukraine-Krieg.

»Erneut hat man sich unter dem Banner des Faschismus gegen uns zusammengeschlossen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, indem man das offen rassistische, antirussische Regime Selenskyjs unterstützt, das Fackelmärsche abhält und Kämpfer mit Abzeichen von Nazidivisionen auf den Ärmeln in den Fleischwolf wirft«, tönte Außenminister Sergej Lawrow bei einer Kranzniederlegung. So wie vor 80 Jahren versuche man, Russland auf dem Schlachtfeld eine strategische Niederlage zuzufügen, so Lawrow weiter.

Auch Präsident Wladimir Putin äußerte sich jüngst ähnlich. Bei einer Veranstaltung in Wolgograd nannte er die wichtigste Lehre aus dem Großen Vaterländischen Krieg, wegen der Russland in der Ukraine kämpfe: die Wiederauferstehung des Nazismus und die Verbreitung zerstörerischer Ideologien wie Russophobie und Antisemitismus zu verhindern. Ähnlich hatte er sich kurz zuvor in einem Grußwort an das II. Internationale Antifaschistische Forum geäußert, zu dem die Kommunistische Partei geladen hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden solche Worte auch am 9. Mai auf dem Roten Platz fallen.

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