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»Sieben Tage« im Kino: Dinge, die in keinen Koffer passen

Das Drama »Sieben Tage« erzählt die Geschichte einer iranischen Menschenrechtsaktivistin, die zwischen Exil und Gefängnis wählen muss

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Ist es verständlich, eine lebensbedrohliche Flucht zu bestreiten, um die Familie kurz zu sehen und alle Wunden wieder aufzureißen, um dann zu verschwinden?
Ist es verständlich, eine lebensbedrohliche Flucht zu bestreiten, um die Familie kurz zu sehen und alle Wunden wieder aufzureißen, um dann zu verschwinden?

»Was ist, wenn sie nicht mitfliegen will? Willst du sie etwa zwingen?«, fragt der zehnjährige Alborz (Sam Vafa), während er und sein Vater die Koffer packen. Bereits zu Anfang der Reise hat er eine Ahnung. Möchte die Mutter überhaupt abgeholt werden? Will sie mit nach Hamburg? Die größere Tochter, Dena (Tanaz Molaei), lässt sich nur widerwillig überreden, mitzukommen. »Wenn es ihr wichtig wäre, würde sie doch nach all den Jahren zu uns kommen«, sagt sie.

Seit sechs Jahren sitzt ihre Mutter Maryam (Vishka Asayesh) im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Nun darf sie es für sieben Tage verlassen, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Sieben Tage, in denen sie vor einer Entscheidung stehen wird: zu ihrer Familie nach Deutschland oder zurück ins Gefängnis? Ihr Bruder (Sina Parvaneh) und ihr Mann Behnam (Majid Bakhtiari) haben ihre Flucht bereits geplant. Behnam und die Kinder wollen in einem kleinen Bergdorf in der Türkei auf sie warten.

Maryam weiß davon noch nichts. Sobald sie in der Wohnung ihrer Mutter ankommt, greift sie zum Telefon, spricht mit jemandem über einen Streik. Sofort ist die Menschenrechtsaktivistin wieder mittendrin im Hamsterrad des Widerstands, will ihrem Land dienen, es verbessern. Eine Flucht stand nicht auf ihrem Plan. Und doch liegt sie nicht viel später zusammengekauert im Kofferraum des Autos einer alten Schulfreundin – die erste Etappe auf dem Weg zu ihrer Familie. Ihr offenbart sie ihre Zerrissenheit: »Es gibt Dinge, die in keinen Koffer passen.« Was sie in ihrem Land hat, wofür sie kämpft, kann sie nicht nach Hamburg mitnehmen.

Weiter geht es in einem Reisebus, wo eine Unbekannte ihr das Fluchthandy abnimmt und ein anderes Gerät zusteckt. Was passiert da? Ist sie auf dem richtigen Weg? Maryams nächtliche Flucht gleicht einem düsteren Krimi mit ungewissem Ausgang. Sie wird fast ohne Worte von einem Ort zum nächsten weitergereicht. Die Szenen vermitteln Angst und Spannung und lassen die Weite des Landes und die Strapazen der Flucht spürbar werden.

Protest und Aufbegehren verlangen nicht nur individuelle Stärke, sondern können zur Zerreißprobe für Familien werden.

Schließlich schlägt sich Maryam in Begleitung eines Dorflehrers auf einem Pferd durch den Tiefschnee in den ebenso schönen wie bedrohlichen Bergen zwischen Iran und der Türkei. Das Wiedersehen mit ihrer Familie ist zögerlich, herzlich, überschwänglich. Es ist von Unsicherheiten wie von tiefer Freude geprägt – und wird von Maryams geheimem Entschluss überschattet, nicht nach Deutschland, sondern zurück ins Gefängnis zu gehen.

In »Sieben Tage« thematisiert Regisseur Ali Samadi Ahadi (»The Green Wave«) auf intensive Art die Zerrissenheit politischer Aktivist*innen und die schwierige Frage: »Bleiben oder Gehen?« Er selbst floh 1985 als Zwölfjähriger allein nach Deutschland, um der Zwangsrekrutierung als Kindersoldat im Ersten Golfkrieg zu entgehen. »Sieben Tage« feierte im September 2024 Premiere beim Toronto International Film Festival und ist jetzt in den deutschen Kinos zu sehen. Aus Sicherheitsgründen sind große Teile des Films nicht wie geplant im Iran oder in der Türkei entstanden, sondern in Georgien. Einige Szenen wurden verdeckt im Iran gedreht.

Das Drehbuch stammt von Mohammad Rasoulof, dem Regisseur von »Die Saat des heiligen Feigenbaums«, der Anfang 2025 als deutscher Beitrag ins Oscar-Rennen um den besten ausländischen Film gegangen ist und vom Familienleben eines Ermittlungsrichters in Teheran erzählt. Wie »Sieben Tage« zeigt er eindringlich, wie sich politische Konflikte in einem autoritären Regime aufs Private – genauer gesagt: den engsten Familienkreis – auswirken. Protest und Aufbegehren verlangen nicht nur individuelle Stärke, sondern können zur Zerreißprobe für Familien werden. Beide Filme zeigen einfühlsam, wie sich das auf das Seelenleben von Jugendlichen auswirkt, die zwischen der Solidarität für ihre Eltern und den eigenen Bedürfnissen hin- und hergerissen sind.

Rasoulof hatte »Die Saat des heiligen Feigenbaums« heimlich im Iran gedreht und war gerade damit fertig, als er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde und sich Anfang 2024 entschloss, aus seinem Heimatland zu fliehen. Die Idee für »Sieben Tage« ist jedoch schon älter – und aus seinem eigenen Nachdenken darüber entstanden, wie die Verantwortung für die Familie und das eigene Land in Einklang gebracht werden können.

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Entstanden ist ein Film, der deutlich macht, wie viel Selbstaufgabe mitunter in politischem Aktivismus steckt – und wie insbesondere Kinder darunter leiden. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, was anders wäre, wenn Maryam ein Mann wäre. Würden der Druck und die Erwartungen an die Erfüllung ihrer Elternrolle dieselben sein?

Schauspielerisch ist der Film überzeugend – ob Majid Bakhtiari als traurig dreinblickender, verständnisvoller Ehemann Behnam oder Tanaz Molaei als wütende, verletzliche Tochter. Vishka Asayesh gibt eine raue, entschlossene Maryam, die ihre Familie wie auch die Zuschauenden bisweilen vor Rätsel stellt. Ist es verständlich, eine lebensbedrohliche Flucht zu bestreiten, um die Familie kurz zu sehen und alle Wunden wieder aufzureißen, um dann zu verschwinden? Letztlich sind es solche Fragen, die den Film interessant machen und zeigen, dass Entscheidungen in Extremsituationen nicht immer widerspruchsfrei und nachvollziehbar sind.

Irritierend sind hingegen Kleinigkeiten, die die Authentizität trüben: Wie schafft es die Hauptdarstellerin, während einer nerven- und kräftezehrenden Flucht immer akkurat geschminkt zu sein? Und wie kann ihre Fluchthelferin im Auto ständig zur Seite blicken und trotzdem geradeaus fahren? Solchen Ungereimtheiten zum Trotz ist »Sieben Tage« ein spannender Film, der die Zerrissenheit der Protagonistin transportiert. Die Entscheidung, die Familie und den privaten Konflikt in den Mittelpunkt zu stellen, ist nachvollziehbar. Um ihre Motivation nachfühlen zu können, wäre es sicher hilfreich, ihren Aktivismus nicht nur anzudeuten. So wird sie als politische Person präsentiert, jedoch nicht gefüllt.

»Sieben Tage«, Deutschland 2024. Regie: Ali Samadi Ahadi, Buch: Mohammad Rasoulof. Mit: Vishka Asayesh, Majid Bakhtiari, Tanaz Molaei, Sam Vafa, Sina Parvaneh. 115 Min. Jetzt im Kino.

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