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CSDs im Osten: Wachsenden Bedrohungen begegnen
Die Vernetzung innerhalb der LGBTQIA+-Community wächst in Reaktion auf rechte Angriffe, so auch in Dessau
Nach den rechten Angriffen der vergangenen Jahre auf queere Demonstrationen in ostdeutschen Bundesländern anlässlich des international begangenen Christopher Street Day(CSD), erwarten Vereine und Oganisator*innen für 2025 erneut Mobilisierungen von rechts. Doch das führt nicht zum Rückzug der CSD-Organisierung, im Gegenteil: Die Ausweitung von CSD-Veranstaltungen vom großstädtischen auf den ländlichen Raum schreitet weiter voran. Neben dem brandenburgischen Angermünde findet an diesem Samstag auch in Dessau-Roßlau eine CSD-Demonstration statt. Die Aktivist*innen fordern gleiche Rechte für alle und treten für mehr Sichtbarkeit der LGBTQIA+-Community in Kleinstädten ein.
Für Lukas Jocher, Mitarbeiter des Projekts »GegenPart« des Vereins Alternatives Jugendzentrum Dessau e. V., stellt die Massenmobilisierung gegen den CSD in Bautzen 2024 einen Wendepunkt dar. Schätzungsweise 700 jungen Neonazis war es damals gelungen, öffentlichkeitswirksam zu Gewalt gegen die LGBTQIA+-Community aufzurufen. »Das hatte eine große Mobilisierungswirkung auf die neonazistische Szene, auch in den angrenzenden Bundesländern«, erinnert sich Jocher und teilt damit die Analyse von (Forschungs-)Kollektiven, die die Angriffe auf CSDs 2024 ausgewertet haben.
Mit Blick auf den bevorstehenden CSD in Dessau zeigt er sich jedoch gelassen. »Bislang sehen wir keine große öffentliche Gegenmobilisierung nach Dessau«, sagt er. Trotzdem gehe er davon aus, dass es extreme Rechte geben wird, die versuchen, die Demonstrant*innen einzuschüchtern und anzugreifen. Im vergangenen Jahr wurden in Dessau vermehrt Plakate abgerissen, die zur Teilnahme an der queeren Versammlung aufriefen.
»Das Hinterland ist nicht unumstritten. Trotz dieser quantitativ wachsenden Bedrohungslage von Rechten gibt es viele Leute, die weiterhin um diese Räume kämpfen.«
Falko Jentsch Pressesprecher des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e.V.
Die Organisator*innen stehen deshalb bereits in Kontakt mit der örtlichen Polizei, die in diesem Jahr mit mehr Personal vor Ort sein wird. Die Behörde habe zugesichert, den CSD in Dessau sowie die An- und Abreise der Besucher*innen »umfassend zu schützen«, heißt es in einer Erklärung des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt e. V.
Falko Jentsch, Pressesprecher des CSD Sachsen-Anhalt e. V., merkt gegenüber »nd« allerdings an, dass der Kontakt mit den Ämtern in Sachsen-Anhalt personenabhängig sei: »Bei manchen Angestellten hat man den Eindruck, dass sie uns die Sichtbarkeit, die wir uns mit unserer Veranstaltungsorganisierung hart erkämpfen, nicht gönnen.« Er nehme bisweilen Bestrebungen von behördlicher Seite wahr, die CSD-Veranstaltungen kleinzuhalten.
Polizeischutz ist daher nicht die einzige Sicherheitsmaßnahme, die die CSD-Veranstalter*innen ergreifen. Durch die gewaltvollen Erfahrungen der vergangenen Jahre, sind die Organisationsstrukturen teilweise näher zusammengerückt. Aus umliegenden Großstädten werden beispielsweise gemeinsame Anfahrten zu den Veranstaltungen in kleineren Städten und Ortschaften in ostdeutschen Bundesländern organisiert. So sind nach Dessau Fahrten aus Berlin, Leipzig, Halle und Magdeburg geplant. »Das Hinterland ist nicht unumstritten. Trotz dieser quantitativ wachsenden Bedrohungslage von Rechten gibt es viele Leute, die weiterhin um diese Räume kämpfen«, berichtet Jocher.
Die gemeinsame Anreise zu den Demonstrationen 2023 und 2024 habe zu mehr Vernetzung unter den verschiedenen Kollektiven geführt. Mit einer gemeinsamen Erklärung unter dem Titel »Wir sind das bunte Hinterland!« traten Anfang Mai mehrere ostdeutsche CSD-Veranstalter*innen und feministische Initiativen öffentlich auf. Dabei handelt es sich um ein dezentrales Netzwerk vieler über die ostdeutschen Bundesländer verstreuten Initiativen, die sich gegenseitig in ihrer Planung und Umsetzung von CSD- und Pride-Demonstrationen unterstützen.
Jascha D., Mitorganisator*in von Queer Pride Dresden, erklärt gegenüber »nd«: »Man darf nicht vor den Berichten über die wachsende Bedrohungslage durch Rechte erstarren.« Von den aktuellen Herausforderungen könne man gemeinsam lernen und mehr zusammenwachsen. Das Netzwerk ruft deswegen dazu auf, an CSDs und queeren Pride-Veranstaltungen in den neuen Bundesländern teilzunehmen und sie finanziell zu unterstützen. »Denn anders als die etablierten und kommerzialisierten CSDs, beispielsweise in Berlin und Dresden, haben wir kein großes Sponsoring von Amazon oder Axel Springer«, sagt Jascha D.
»Diese Beeinträchtigungen, die wir schon seit geraumer Zeit durch die Politik erfahren, schwächen uns mindestens genauso wie die direkt sichtbare Bedrohungslage durch gewaltbereite Rechte.«
Jascha D. Mitogranisator*in bei Queer Pride Dresden
Zudem fielen die Haushaltskürzungen zulasten zivilgesellschaftlicher Initiativen aus. »Diese Beeinträchtigungen, die wir schon seit geraumer Zeit durch die Politik erfahren, schwächen uns mindestens genauso wie die direkt sichtbare Bedrohungslage durch gewaltbereite Rechte«, so Jascha D. Eine Hundertschaft mehr zu einer Demonstration zu schicken, sei die eine Sache, der Entzug der Finanzierung wichtiger Bildungs- und Präventionsarbeit die andere. »Da machen uns die neue Bundesregierung, aber auch die sächsische Landesregierung keine großen Hoffnungen«, sagt das Mitglied von Queer Pride Dresden.
Das diesjährige Motto des Dessauer CSD lautet »Politisch, praktisch, queer – it’s still a riot!« und ist ein klarer Appell. Vor allem richtet er sich an die allgemeine Öffentlichkeit und fordert ein Hinschauen und Zuhören ein. Er weist aber auch die eigene Community an, sich politisch zu positionieren und miteinander zu solidarisieren.
»Queer heißt eben nicht immer auch gleich links«, so Jentsch vom CSD Sachsen-Anhalt e. V. Er spricht aus langjähriger Erfahrung in der Veranstaltungsorganisierung von CSDs in Sachsen-Anhalt. Die Wahrnehmung der politischen Problemlagen sei innerhalb der Bewegung teilweise sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das sei manchmal schwer auszuhalten. Trotzdem dürften politische Differenzen kein Ausschlusskriterium sein, um für Menschenrechte einzustehen und sich damit gegenseitig zu schützen. »Eine Zersplitterung würde uns wieder angreifbarer machen«, meint Jentsch.
CSDs sind mittlerweile nicht mehr nur einzelne Veranstaltungen an einem Tag im Jahr, sondern fungieren als Netzwerke queerer Personen – lokale Akteur*innen, die sich immer mehr in anderen politischen Kontexten einbringen und dort die Anliegen der LGBTIQA+-Community sichtbar machen.
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi- und Transphobie (IDAHOBIT), der ebenfalls auf den 17. Mai fällt, sind zudem in verschiedenen Städten symbolische und politische Aktionen geplant. So sind im sächsischen Plauen ein »Rainbow Flash« und in Schwerin und Greifswald jeweils eine Kundgebung geplant. In Magdeburg gibt es am Vormittag ebenfalls eine Kundgebung mit anschließender gemeinsamer Anfahrt zum CSD in Dessau. Denn: »Was sich 2024 in Sachsen-Anhalt bewährt hat, wird in diesem Jahr verstärkt weitergeführt«, meint Lukas Jocher – der Aufruf, die CSDs in Kleinstädten zu unterstützen und damit für mehr Sicherheit queeren Lebens in ländlichen Räumen zu sorgen.
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