Pandemie­abkommen auf der Zielgeraden

Die Weltgesundheits­organisation WHO will sich für künftige inter­natio­nale Not­lagen besser wappnen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf

Unter dem Motto »Eine Welt für Gesundheit« startet in Genf an diesem Montag die 78. Weltgesundheitsversammlung. So viel- oder nichtssagend das Motto klingen mag, die Probleme, die auf diesem Treffen bearbeitet werden sollen, sind alles andere als trivial. Auftakt der neuntägigen Beratungen in der Schweiz ist nun endlich, nach drei Jahren Verhandlung, die Verabschiedung des Pandemieabkommens.

Der Anspruch, die Welt mit diesem Vertrag vor einer Wiederholung des durch die Corona-Pandemie verursachten Leids zu bewahren, ist allerdings hoch. Vorab würdigte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus das Abkommen als »ersten globalen Pakt zum besseren Schutz der Menschen vor Pandemien«. Es könne die Welt sicherer machen, »indem es die faire Zusammenarbeit zwischen den Ländern bei der Vorbereitung, Prävention und Reaktion auf Pandemien stärkt«.

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Ganzheitlicher Ansatz be Blick auf die Gesundheit

Der Entwurf des Abkommens liegt seit Mitte April vor, könnte sich aber von der bis Ende der Woche nicht veröffentlichten Abschlussversion noch unterscheiden. In Sachen Prävention sollen laut Entwurf zum Beispiel nationale Überwachungssysteme für Zoonosen eingerichtet werden, also für Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragbar sind. Hier spielt der One-Health-Ansatz hinein, der Gesundheit von Tieren, Menschen und Umwelt als Ganzes betrachtet, wobei Experten die Formulierung dazu im Entwurf noch für zu zaghaft halten.

In einem speziellen Programm soll auch das Teilen wissenschaftlicher Informationen über (neue) Erreger organisiert werden, also Proben und genetische Sequenzen von Viren, Bakterien oder Pilzen. Details dazu sind in einem noch unbekannten Anhang zum Abkommen zu klären.

Einen Nutzen daraus könnten auch Hersteller von Medikamenten und Impfstoffen ziehen: Wenn sie die wissenschaftlichen Informationen aus dem neuen Programm nutzen, sollen sie 20 Prozent der darauf basierenden Produkte für die WHO bereitstellen, zehn Prozent davon als Spende. Käme es erneut zu einer Pandemie, soll der Austausch von Technologien und Know-how zwischen Staaten und Privatunternehmen gefördert werden. Teilweise wird ein Scheitern des gesamten Abkommens von der Einigung auf Details des Austauschprogramms abhängig gemacht. Für die konkrete technische Umsetzung soll eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe eingesetzt werden, deren erste Sitzung für den 15. Juli geplant ist. Und erst dann, wenn deren Ergebnisse voraussichtlich 2026 von der nächsten Weltgesundheitsversammlung abgesegnet werden, kann die Ratifizierung des Abkommens insgesamt beginnen.

Zu den inhaltlichen Schwerpunkten gehören weitere Versorgungsfragen, darunter der Aufbau robuster Lieferketten und die ohnehin wichtige Stärkung der nationalen Gesundheitssysteme. In diesem Zusammenhang wurden Solidarität und Gerechtigkeit als unverzichtbare Kriterien benannt. Sollte es im Rahmen einer Pandemie zu internationalen Gesundheitsvorschriften kommen, müssten auch nationale Behörden zu deren Umsetzung geschaffen werden.

Jedoch sollen die Länder ihre Souveränität mit der Ratifizierung des Abkommens nicht verlieren. Entscheidungen über Maßnahmen wie Lockdowns oder Impfvorschriften werden nach wie vor bei den einzelnen Staaten liegen. Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sollen ohnehin im Einklang mit nationalen Regeln ergriffen werden. Es müssen aber mindestens 60 Mitgliedsländer das Abkommen ratifizieren, damit es grundsätzlich in Kraft tritt. Die Ratifizierung gilt nur für Länder, bei denen diese durch Parlamente erfolgt.

Entscheidungen über Maßnahmen wie Lockdowns oder Impfvorschriften werden nach wie vor bei den einzelnen Staaten liegen.

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Die USA reißen Löcher in die Budgets

Sicher kann ein solcher Vertrag in Zeiten unsicherer Ressourcen der gesamten WHO-Arbeit nicht alle Wünsche erfüllen. An vielen Stellen reißen zudem die ausbleibenden Beiträge der USA Löcher in bestehende Programme. Nun könnten die Mitgliedsstaaten in Genf eine Erhöhung der Pflichtbeiträge um 20 Prozent in Erwägung ziehen, und zwar für den nächsten Programmhaushalt 2026 und 2027. Dieser Haushalt sollte um 22 Prozent auf 4,267 Milliarden US-Dollar gekürzt werden.

Der Ende vergangener Woche veröffentlichte Statistikbericht der WHO gibt Hinweise, wofür dringend Geld gebraucht wird. Die globale Lebenserwartung sank demnach zwischen 2019 und 2021 um 1,8 Jahre. Mit diesem stärksten Rückgang bei diesem Kriterium in der jüngeren Geschichte wurden laut der Organisation Fortschritte eines Jahrzehnts zunichtegemacht, unter anderem bei der Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und Krebs. Einen Anteil am Rückgang bei der Lebenserwartung hat die Häufung von Depressionen und Angstzuständen in der Pandemie.

In Teilbereichen gibt es dennoch relative Erfolge: So seien unter anderem HIV- und Tuberkulose-Inzidenzraten gesunken. Andererseits nimmt aber schon seit 2015 die Zahl der Malaria-Fälle wieder zu. Zudem seien Resistenzen gegen Antibiotika – die Krankheiten schlechter bis gar nicht mehr behandelbar machen – unbewältigt. Auch in Folge der Pandemie wurden Impfprogramme geschwächt: So erreichte die Impfrate mit dem Diphtherie-Keuchhusten-Tetanus-Vakzin 2023 bei Kindern noch nicht wieder das Niveau vor der Pandemie.

Der Weltgesundheitsversammlung sollten also in den nächsten Tagen die Themen nicht ausgehen. Zusätzlich erschwert werden die Verhandlungen nicht nur durch Gesundheitsprobleme während fortdauernder Kriege oder in instabilen, ohnehin oft verarmten Staaten. Die Sicherung von Ressourcen und die Arbeitsfähigkeit der WHO dürften von Kompromissbereitschaft und Verhandlungsgeschick aller Beteiligten abhängig sein.

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