Bittere Wahrheiten über Kommunisten

Pete Heuer hat einen an Tatsachen orientierten Roman über seinen Urgroßvater Albert Hotopp geschrieben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Albert Hotopps Urenkel Pete Heuer
Albert Hotopps Urenkel Pete Heuer

»Nicht alle im Roman erzählten Fakten sind verbürgt«, gesteht Pete Heuer im Nachwort seines Erstlingswerks »Nenn es nicht Lüge, sag Geheimnis«. Anders als im Roman hatte Heuers Urgroßvater Albert Hotopp im echten Leben nicht nur eine, sondern zwei Schwestern und neben der Tochter Gerda noch eine zweite Tochter Käthe. Außerdem wurde Hotopp in der Sowjetunion nicht 1938, sondern 1941 vom Geheimdienst NKWD verhaftet.

Waffen für den Hamburger Aufstand

Im Roman und im echten Leben beschaffte Albert Hotopp in der Weimarer Republik aus der Sowjetunion Waffen für einen Putsch. Dieser Putsch scheiterte. Der Hamburger Aufstand der KPD von 1923 breitete sich nicht wie erhofft auf das gesamte Land aus und wurde niedergeschlagen. Hotopp wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Er schrieb einen sozialkritischen Roman. Das Titelblatt der 1930 herausgekommenen Erstausgabe von »Fischkutter H.F. 13« gestaltete der berühmte John Heartfield.

»Hotopp macht Ernst mit dem Roman aus der sozialen Wirklichkeit«, hieß es in einer Besprechung von »Fischkutter H.F. 13« in der »Frankfurter Zeitung« vom 6. Juli 1930. Der Schriftsteller Theodor Plivier lobte im Berliner Rundfunk: Wie Hotopp das alles schildere, wie lebensnah, »wie plastisch er die Ereignisse und Dinge zeichnet, das ist meisterhaft«. Doch Hotopp war keine Karriere als Schriftsteller beschieden. 1933 warfen die Faschisten »Fischkutter H.F. 13« bei der Bücherverbrennung ins Feuer. Hotopp ging nach Moskau und dort geriet seine Familie in die Mühlen des Stalinschen Terrors. Seine Frau wurde mit den Töchtern verbannt und erfuhr jahrelang nicht, dass Albert Hotopp bereits tot war – er wurde vermutlich 1942 in Butowo bei Moskau erschossen, wegen der irrwitzigen Anschuldigung, er sei Teil einer faschistischen Spionageorganisation. Erst 1955 kehrte Pete Heuers Großmutter nach Ostberlin zurück.

Als Kind kannte Heuer ein Foto seines Urgroßvaters von 1931. Wenn er das Gespräch auf ihn lenkte, sei er auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, schildert er. Seine Mutter habe ihn schließlich beiseite genommen und gesagt: »Der Familie deines Vaters ist unter Stalin großes Unrecht geschehen. Sie wollen und werden darüber nicht sprechen.«

1986 entdeckte Heuer in einer Buchhandlung am Berliner Alexanderplatz das Buch »Fischkutter H.F. 13«. Seine Urgroßmutter konnte er nicht mehr befragen. Sie war ein Jahr zuvor gestorben und auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde beigesetzt worden. Ihr einst in der Emigration von Wilhelm Pieck bestätigter Ausschluss aus der KPD war für ungültig erklärt worden, als sei nichts gewesen.

Das ist der Hintergrund von Pete Heuers Roman »Nenn es nicht Lüge, sag Geheimnis«. Die Lücken der Überlieferung füllt der Urenkel mit Fantasie. Es ist ein sehr interessanter Roman über die Irrungen und Wirrungen der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert, voller Mitgefühl und Verständnis für die Menschen, die Orientierung suchten. Der Roman erklärt Revolutionen aus Elend, Unterdrückung und Krieg, verschont den Leser aber nicht mit bitteren Wahrheiten.

Wilhelm Pieck: Dichtung und Wahrheit

Dass die KPD und Wilhelm Pieck nicht gut wegkommen, verwundert vielleicht nicht, wenn man weiß, dass Heuer zwar jahrelang Referent der Linksfraktion im Brandenburger Landtag und Kreisvorsitzender der Partei in Potsdam gewesen ist, aber 2010 in die SPD übertrat. Im Roman wundert sich Albert Hotopp, dass Wilhelm Pieck seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge ziehen kann – etwa dass er 1919 nicht von rechten Freikorpssoldaten ermordet wird wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Er habe fliehen können, sagt der Wilhelm Pieck im Roman. Waldemar Pabst, der einst die Mörder befehligte, erklärte dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« 1962, er habe Pieck laufen lassen, weil dieser kooperiert habe. Auf die damit angedeutete Version, Pieck habe Genossen verraten, konnte der Betroffene damals schon nicht mehr antworten. Pieck war 1960 gestorben. Möglicherweise log Pabst, um das Andenken an den ersten und einzigen Präsidenten der DDR zu beschmutzen. Pete Heuer hält sich nicht weiter damit auf. Der Pieck in seinem Roman läuft aber jungen Frauen hinterher. Eine Abtreibung sei verbürgt, erklärt Heuer. Dass Pieck allerdings Albert Hotopps Tochter sexuell belästigte, ist Fiktion. »Ich glaube nicht, dass er meine Großmutter angefasst hat.«

Heuer war Stadtverordneter in Potsdam, trat aber bei der Kommunalwahl im Juni 2024 nicht wieder an. Er galt als innerparteilicher Widerpart von Oberbürgermeisters Mike Schubert (SPD). Diesem wird die Annahme kostenloser Tickets für Sportveranstaltungen und eine selbstherrliche Amtsführung vorgehalten. Am 25. Mai könnte er in einem Bürgerentscheid abgewählt werden.

Heuer gehört, obwohl Sozialdemokrat, der Arbeitsgemeinschaft »Sowjetexil« der Rosa-Luxemburg-Stiftung an. Dort treffen sich Nachfahren deutscher Kommunisten. »Nenn es nicht Lüge, sag Geheimnis« spielt unter anderem in Berlin, Neuruppin und Frankfurt (Oder). Es ist der erste Roman von Heuer. Ideen für zwei weitere habe er im Schreibtisch, sagt er.

Pete Heuer: Nenn es nicht Lüge, sag Geheimnis. Bebra-Verlag, 394 S. geb., 24 €.

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