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Warnung vor einem »Flächenbrand rechter Gewalt«

Beratungsstellen: deutlicher Anstieg bei Angriffen auf nichtweiße, obdachlose und queere Menschen

Protest gegen Nazis und die Gefahr von rechts auf einem Straßenschild im sächsischen Pirna
Protest gegen Nazis und die Gefahr von rechts auf einem Straßenschild im sächsischen Pirna

Noch immer gibt es eine riesige Diskrepanz zwischen den Zahlen von Opferberatungsvereinen und denen des Bundeskriminalamts, was rechte Gewalt betrifft. Dieses Jahr stellte der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt seine Bilanz für 2024 am selben Tag vor wie BKA und Bundesinnenministerium ihre Daten zur »politisch motivierten Kriminalität«. Die im Verband organisierten Vereine registrierten laut ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht 3453 rassistische, antisemitische und queerfeindliche Gewaltdelikte, von denen insgesamt 4861 Menschen betroffen waren. Neun von ihnen starben an den Folgen. Die Zahl der Angriffe stieg gegenüber 2023 (2589) um ein Drittel.

Das BKA registrierte 2024 lediglich 1478 »rechts motivierte« Gewaltdelikte, obwohl es über Daten aus allen 16 Bundesländern verfügt, während die Beratungsstellen solche Vorfälle nur in zwölf Ländern systematisch erfassten. Aus Niedersachsen, dem Saarland, Bremen und Rheinland-Pfalz gibt es bislang keine belastbaren Daten, weil die Beratungsvereine nicht überall die Ressourcen für die Erfassung haben und nicht alle Mitglied im Bundesverband sind. Allerdings entsprachen auch die BKA-Daten einem Anstieg um fast 50 Prozent.

Judith Porath vom Vorstand des Bundesverbands sprach von einem »Flächenbrand rechter Gewalt«. Der »unübersehbare Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten« lasse sich »nur im Kontext einer zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz und Verbreitung extrem rechter, minderheiten- und demokratiefeindlicher Haltung und migrationsfeindlicher Diskurse verstehen«. Dies erzeuge eine wachsende Gewaltbereichtschaft. Porath forderte von der neuen Bundesregierung einen »nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus«.

Nach Angaben von Porath sind Täter wie Opfer »ganz überwiegend Männer«. Mit fast 1800 Fällen war Rassismus das mit großem Abstand häufigste Motiv. Dahinter folgen Angriffe auf als politische Gegner*innen angesehene Personen (542), Taten mit dem Motiv Antisemitismus (354) und Angriffe auf Menschen wegen ihrer vermeintlichen geschlechtlichen Identität (344). Die meisten registrierten Gewalttaten waren Bedrohungen und Nötigungen (1212), einfache Körperverletzungen (1143) und gefährliche Körperverletzungen (681).

»Viele Betroffene fühlen sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen – durch überlange Verfahren, schnelle Einstellung von Ermittlungen und unsichere Finanzierung der Beratungsstellen.«

Judith Porath  Bundesverband der Opferberatungsstellen

Einen besonders starken Anstieg um mehr als 70 Prozent gab es bei Angriffen auf vermeintliche politische Gegner. Die Opfer seien oft Menschen, die sich für Demokratie und Vielfalt einsetzten, sagte Porath. Ziel sei es, sie »mundtot zu machen«. Die Zahl der Attacken gegen queere Menschen stieg um mehr als 40 Prozent. »Viele Betroffene fühlen sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen, durch überlange Verfahren, durch schnelle Einstellung von Ermittlungen und durch unsichere Finanzierung der Beratungsstellen«, monierte Porath.

Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, forderte, der Staat müsse dafür sorgen, dass rassistische und antisemitische Straftaten erkannt und effektiv geahndet würden. Die von den Beratungsstellen erfassten Trends spiegelten sich zum Teil nicht in den Polizeistatistiken wider, »weil Betroffene sich dagegen entscheiden, ein für sie emotional sehr belastendes Strafverfahren anzustoßen«. Denn, so Rudolf, rassistische und antisemitische Motivationen bei Straftaten würden von Behördenvertretern oft »als solche nicht erkannt«. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft gebe es oft »Zweifel an der Wahrheit, die Betroffene aussprechen«.

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Der Linke-Bundestagsabgeordnete Ferat Koçak betonte, die Dunkelziffer sei sehr hoch sei, einen Teil davon erhellten die Daten der Beratungsstellen. »Polizei und Behörden erkennen rechte Gewalt oft nicht oder wollen sie nicht erkennen«, sagte Koçak am Dienstag in Berlin. Der Umgang mit dem rassistischen Brandanschlag in Solingen vor einem Jahr sei »nur das jüngste Beispiel für dieses systemische Versagen«.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, kritisierte eine Verharmlosung der Gefahr von rechts durch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU): »Er spricht von politischen Rändern und will eine nebulöse politische Mitte stärken. Fakt ist: Die meisten Taten sind rechts motiviert.« Es gebe kein Problem mit »Rändern«, sondern eines »mit der extremen Rechten, die genau den Rassismus gewalttätig vertritt, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt«. Die Statistik zeige zudem, dass »insbesondere marginalisierte und vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder und queere Menschen bedroht sind«, so Bünger. Es brauche dringend Schutzkonzepte.

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