Nakba-Demo in Berlin: Widerspruch gegen offizielle Darstellung

Organisatoren werfen Polizei brutales Vorgehen vor. Videos stellen offizielle Darstellung infrage

Auf der Nakba-Demonstration am vergangenen Donnerstag kam es zu erheblicher Polizeigewalt.
Auf der Nakba-Demonstration am vergangenen Donnerstag kam es zu erheblicher Polizeigewalt.

»Wir werden dem Missbrauch des Demonstrationsrechts Einhalt gebieten«, wird der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, im »Tagesspiegel« zitiert. Dregger fordere, das Versammlungsrecht so restriktiv auszugestalten, wie es das Grundgesetz zulasse, so die Zeitung. Der angebliche Missbrauch des Demonstrationsrechts, auf den sich der als Hardliner bekannte Dregger bezieht, ist die Berliner Kundgebung zum Nakba-Tag am 15. Mai. Sie geriet vor allem wegen eines schwer verletzten Polizisten in die Schlagzeilen.

Mehr als 1500 Demonstrant*innen hatten sich versammelt, um einerseits an die Nakba genannte Vertreibung von mehr als 700 000 Palästinenser*innen zwischen 1947 und 1949 zu erinnern und andererseits gegen Israels Krieg in Gaza zu protestieren, der mittlerweile von führenden Menschenrechtsorganisationen als Genozid bezeichnet wird. Eine geplante Demonstration nach Neukölln wurde kurzfristig gerichtlich untersagt. Deswegen fand nur eine Kundgebung auf einem komplett umzäunten Areal statt.

Die Bilanz der Polizei: »Nach anhaltender Begehung von erheblichen Straftaten wurde die Kundgebung von der Polizei um kurz vor 20 Uhr aufgelöst.« 56 Festnahmen und insgesamt elf verletzte Polizist*innen habe es gegeben. Von den Organisator*innen der Kundgebung wird allerdings eine gänzlich anderes Bild gezeichnet: Bei einer Pressekonferenz am Montagabend erheben sie schwere Vorwürfe. Und Videos der Kundgebung widerlegen zumindest in Teilen von der Polizei aufgestellte Behauptungen.

Pary El-Qalqili, die zu einer zehnköpfigen Gruppe von Demonstrationsbeobachter*innen gehörte, berichtet von mindestens 36 verletzten Demonstrant*innen. »Die Sanitäter konnten nicht alle verletzten Demonstranten versorgen.« Und das, obwohl 18 Sanitäter*innen im Einsatz waren. Mehrere Demonstrant*innen mussten El-Qalqili zufolge im Krankenhaus behandelt werden, einige von ihnen seien bewusstlos geschlagen worden. »Wir haben gesehen, wie die Polizei den Demonstranten in die Nieren schlug.«, so El-Qalqili.

»Es sind nicht die Demonstrant*innen, die den Unterschied machen, es ist die Polizei.«

Benjamin Düsberg Rechtsanwalt

Auch die Berichterstattung wurde erheblich behindert. Der freie Journalist Ingnacio Rosaslanda sowie drei polnische Demo-Beobachter*innen wurden über mehrere Stunden festgehalten. Sie waren auf ein Autodach geklettert, um einen besseren Überblick über die chaotische Kundgebung zu bekommen – in Absprache mit dem Besitzer des Autos. »Sie haben sie nicht nur angezeigt, sondern festgenommen und in eine Gefangenensammelstelle gebracht und sie an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert«, berichtet der Fotojournalist Wael Eskander. Das Vorgehen der Polizei wurde inzwischen auch von der Organisation Reporter ohne Grenzen verurteilt.

An der Version, wie es zu schweren Verletzung eines Polizisten kam, gibt es Zweifel. In einem auf Video auf der Kurznachrichtenplattform X erklärte Polizeisprecher Florian Nath, der schwer verletzte Beamte sei in die Menge hineingezogen worden, wo auf ihn eingetreten worden sei. In der offiziellen Polizeimeldung heißt es, der Beamte sei zu Boden gebracht worden. Sicher ist: Der Beamte brach sich einen Arm und musste im Krankenhaus behandelt werden.

Der Vorfall ist auf mehreren Videos zu sehen. Diese zeigen, wie der Polizist zusammen mit mehreren Beamten in die Menge geht, dabei Demonstrant*innen zur Seite schiebt. Weiter ist zu sehen, wie er beim Versuch, eine Person festzunehmen, mit dieser zu Boden geht. Dann wird ein weiterer Demonstrant von einem anderen Polizisten auf den auf dem Boden liegenden Kollegen gedrückt. Schließlich verlassen die Polizisten die Menge wieder. Auf den Videos ist weder zu sehen, dass Beamte in die Menge gezogen werden, noch dass der letzlich schwer verletzte Beamte zu Boden gestoßen und getreten wird. Der »Taz«, die zuerst über die Videos berichtete, sagte Polizeisprecher Nath, dass er davon ausgehe, dass die Videos die Situation zeigen, in der sich der Polizist die Verletzung zugezogen habe. Weiter sagte er, bei der Auswertung müsse darauf geachtet werden, dass sich der Angriff auch »in Sekundenschnelle« ereignet haben könnte.

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Aber wieso sind propalästinensische Demonstrationen in Berlin so stark von Gewalt überschattet? Rechtsanwalt Benjamin Düsberg verweist auf andere europäische Länder, wo zum Nakba-Tag Demonstrationen mit teilweise mehreren zehntausend Teilnehmer*innen problemlos stattgefunden haben. »Es sind nicht die Demonstrant*innen, die den Unterschied machen, es ist die Polizei.« In Berlin sei fast jede*r zehnte Demonstrant*in verhaftet oder verletzt worden.

Vor allem bei der Parole »From the River To The Sea« greife die Polizei hart durch. Aber: »Es ist ziemlich klar, dass diese Parole von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Deswegen gewinnen wir regelmäßig Verfahren.« Dem »nd« liegt ein Beschluss des Landgerichts Berlin vom April vor. Das Gericht verweigerte einen Strafbefehl für die Verwendung der Parole mit Verweis auf die Meinungsfreiheit. Die Losung werde durchgehend und international von verschiedensten politischen Akteuren verwendet, um Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza zu äußern, so das Gericht.

Das gewaltsame Eingreifen der Polizei bei solchen Parolen bleibt nicht folgenlos. »Das löst dann weitere Eskalation aus«, sagt Düsberg. Der rabiate Polizeieinsatz und das Verbot eines Demonstrationszugs lassen den Rechtsanwalt schlussfolgern: »Die Stadt Berlin hat ein würdevolles Erinnern an die Nakba verhindert.«

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