Unsichtbare Architekten Künstlicher Intelligenz

Gewerkschaften kämpfen für mehr Rechte in der Datenarbeit. Dabei können neue Technologien unterstützen – oder aber hinderlich sein

Die Re:publica 25, zwischen prekärer Datenarbeit und Debatten über eine bessere Zukunft
Die Re:publica 25, zwischen prekärer Datenarbeit und Debatten über eine bessere Zukunft

Irgendwo in Kenia sitzt Joan Kinyua mit ihrem Computer im Bett. In ihrer Wohnung ist kein Platz für ein anderes Möbelstück, geschweige denn einen Schreibtisch. Es ist 12 Uhr Mittags. Tee, Wasser und ihr Mittagessen hat sie bereits vorbereitet, um etwaige Gründe für Pausen möglichst zu vermeiden. Zwei Stunden später beginnt ihr offizieller Arbeitstag, er wird bis ungefähr zwei oder drei Uhr in der Früh dauern. Ihren Computer und ihren Internetzugang bezahlt sie selbst. »Um meinen Job auszuführen, brauchte man ein eigenes Startkapital«, erinnert sie sich.

Kinyua war über fünf Jahre als Datenarbeiterin beschäftigt, jene Personen, die Künstliche Intelligenz (KI) trainieren. Sie hat der Software selbstfahrender Autos beigebracht, auf diverse Aspekte des Straßenverkehrs wie Stopp-Schilder zu reagieren. Auch den Roomba, den bekannten Staubsaugerroboter, hat sie trainiert. Datenarbeiter*innen, sagt Kinyua, auf der Re:publica über einen großen Bildschirm zugeschaltet, arbeiten in der sogenannten Plattformindustrie. Das ist jener informelle Arbeitsmarkt, in dem zeitlich befristete Aufträge flexibel und kurzfristig an Arbeitssuchende, Freelancer oder geringfügig Beschäftigte über Onlineplattformen vergeben werden. Als Teil dieser Industrie gesehen zu werden, war ein Kampf, meint Kinyua – langen galten vor allem die Uber-Fahrer als klassisches Beispiel.

Zur Plattformindustrie gehören häufig, wie in Kinyuas Fall, inhumane Arbeitszeiten, unzureichende Pausen, unsichere Verträge und ein überhöhter Leistungsdruck. Je mehr Output sie generiert, desto mehr wird gefordert und desto weniger wird schlussendlich bezahlt, scheint es ihr damals. Kurz vor Weihnachten kündigt ihre Firma überraschend ihren Vertrag, plötzlich sitzt sie mit ihrem Baby arbeitslos daheim. Schwanger zu werden fühlte sich in ihrer Firma an, als begehe sie eine Straftat, erinnert sie sich.

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Heute ist Kinyua Präsidentin der Data Labelers Association, einer Gewerkschaft für Datenarbeiter*innen in Kenia und Nairobi. Die Gewerkschafter*innen bezeichnen sich selbst als »unsichtbare Architekten hinter der KI«. »Wir mussten uns unsere Arbeitsrechte selbst beibringen. Zum Beispiel, dass Anstellungen ohne Arbeitsverträge Verstöße gegen unsere Rechte sind«, sagt sie.

Mit ihr auf dem Podium sitzt Andreas Hänisch, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Tiktok-Betriebsrats. Diesen gibt es seit 2022. Er selbst sieht sich, was seine Arbeitsverhältnisse betrifft, »in einer ziemlich guten Position«. Eine deutlich größere Gruppe von Arbeiter*innen bei Tiktok, jene die sich um die Moderation von Inhalten kümmern – also sicherstellen, dass Plattformvorschriften eingehalten werden –, arbeiten unter »weniger guten Konditionen«. Sie seien der Grund, warum Hänisch Teil des Betriebsrats geworden sei, sagt er.

In jenem Bereich arbeiten viele migrantische Personen, die häufig ihre Arbeitsrechte nicht kennen. Sie wüssten zum Beispiel nicht, dass es in Deutschland schwierig sei, jemanden aufgrund von unzufriedenstellender Arbeitsleistung zu kündigen, erzählt Hänisch. Oder, dass sie nicht dazu verpflichtet seien, einen einvernehmlichen Kündigungsvertrag zu unterschreiben. Das gelte insbesondere für Freischaffende. Auch in Deutschland nutzen Technologiekonzerne also die prekäre Situation der Plattformarbeiter*innen aus.

Das zu ändern, dabei könnten Informationen über Arbeitnehmer*innen helfen, die zunehmend gesammelt werden. Nehmen Arbeiter*innen diese Daten in die eigene Hand, könnte ihnen das neue Chancen eröffnen, auch auf Gewerkschaftsebene, schreibt die Datenanthropologin Alexandra Mateescu. Ein Beispiel: Coworker.org, ein Programm, das Arbeiter*innen dabei unterstützt zu verstehen, wie intransparente Lohnmodelle funktionieren.

Laut Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) ist die Digitalisierung die »Zukunftsfrage unserer Arbeitsgesellschaft«. Immerhin habe Deutschland weltweit die drittgrößte Roboterdichte. Das Ministerium legte im Herbst 2024 während der Ampel-Regierung einen Referentenentwurf zum Beschäftigtendatenschutz vor, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Auf der Re:publica kündigte Bas nun an, sich diesem Thema »neu anzunehmen«.

In der Datenarbeit selbst gibt es viele Vorstöße zur vollständigen Automatisierung. »Menschliche Interaktionen und damit Datenarbeiter*innen wird es aber weiterhin brauchen«, ist Kinyua überzeugt. Demnach bleiben die prekären Berufe – und Potenzial für Veränderung. »Es ist nie zu spät, einen Betriebsrat zu gründen oder einer Gewerkschaft beizutreten«, betont Hänisch deshalb.

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