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Digitale Kluft: Die neue Armutsfalle
Sowohl international als auch innerhalb Deutschlands tut sich eine digitale Kluft auf
»Wir können inzwischen von einem digitalen Kolonialismus sprechen«, sagt Lanna Idriss, Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf auf der Medienkonferenz »Re:publica 25«. Am hinteren Ende des Geländes in Berlin-Kreuzberg, weit entfernt von der verspielten Eingangshalle mit Bällebad, Roboter-Experimenten und Flipperautomaten, widmet sie sich den ernsten Themen der Konferenz. Statistisch gesehen werden allein während der Re:publica zwei Menschen auf der Welt neu den Milliardärsstatus erreichen und die Diskrepanz zwischen Arm und Reich weiter anwachsen lassen.
Zugleich vergrößert sich auch der »digital divide«, die digitale Ungleichheit. Sie ist die Kluft zwischen jenen Personen, die Zugang zu Internet, digitaler Bildung sowie Kommunikation haben, und allen, denen er fehlt. Dabei sind digitale Kompetenzen inzwischen, so Idriss, eine Grundvoraussetzung für die selbstständige Entwicklung der Menschen.
»Die Situation ist komplex und hat viel mit Macht und Kapitalismus zu tun.«
Lanna Idriss SOS Kinderdorf
1,3 Milliarden Kinder und Jugendliche leben heute weltweit ohne Internetzugang. Sie werden als Erwachsene weniger Optionen haben, einen Beruf zu ergreifen, der ihnen aus der Armut hilft. In Ländern mit hohem Einkommen haben inzwischen weltweit 93 Prozent der Bevölkerung Zugang, in jenen mit niedrigem dagegen 27 Prozent. Das wird vor allem durch die Infrastruktur bestimmt. So liegt beispielsweise die Entscheidung über die Verlegung von Unterseekabeln für den Datenverkehr, spätestens seit den mutmaßlichen Angriffen der russischen Schattenflotte ein geflügeltes Wort, weiterhin bei wenigen Großkonzernen wie Google, Microsoft, Meta oder Amazon. »Die Situation ist komplex und hat viel mit Macht und Kapitalismus zu tun«, fasst Idriss zusammen.
An gewissen Zahlen lässt sich die digitale Kluft leicht festmachen. Haben zum Beispiel in Kenia zwei Prozent der Bevölkerung einen Internetzugang, so ist es in Deutschland genau umgekehrt: Zwei Prozent der Bevölkerung besitzen keinen. Wobei zugleich laut Eurostat, der europäischen Statistikbehörde, 2023 drei Millionen Menschen zwischen 16 und 74 Jahren noch nie im Internet waren. Das entspricht in etwa fünf Prozent jener Bevölkerungsgruppe. Innerhalb Deutschlands zeigt sich die digitale Kluft auf eine andere Art.
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Laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands von 2023 ist das Risiko, hierzulande digital abgehängt zu werden, für Armutsbetroffene besonders groß. Jede*r Fünfte von ihnen verfüge demnach nicht über einen eigenen Internetanschluss. Es fehle an Technik und an Gelegenheiten, digitale Kompetenzen zu erwerben. Zusätzlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Alterskategorien und dem Geschlecht.
»In einigen Kernbereichen unserer Arbeit gibt es eine Überrepräsentation von Gruppen, die weniger digital affin sind«, bestätigt Jasmin Rocha, Referatsleiterin Digitaliserung des Sozialverbands Diakonie im Gespräch mit »nd«, die Eindrücke des Paritätischen. »Das sehen wir zum Beispiel auch daran, wie stark Online-Beratungen genutzt werden.« Häufig komme es vor, dass Personen von Jobcentern gebeten würden, eine E-Mail zu verfassen. »Dann hören wir oft die Antwort: ›Ich habe aber gar keine E-Mail-Adresse.‹«
Rocha steht im Foyer der Re:publica, unter einem Glasdach und vielen Stahlträgern am Stand der Wohlfahrtsverbände. Sie haben sich in diesem Jahr digitale Teilnahme auf die Fahnen geschrieben. Dazu stellen sie diverse Projekte vor, wie einen interaktiven Bürgergeld-Rechner. Mithilfe eines bunten Rads können Personen angeben, wie viel sie pro Monat für die diversen Bereiche ihres Lebens ausgeben und ob sie mit 563 Euro auskommen würden. Bei den meisten Experimentierenden folgt das Ergebnis schnell: wohl kaum. »Digitale Teilhabe für alle zu ermöglichen, bedeutet, Barrieren konsequent abzubauen und echte Chancengleichheit zu schaffen«, betonte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, das Vorhaben der Verbände im Vorfeld der Konferenz.
»Dann hören wir oft die Antwort: ›Ich habe aber gar keine E-Mail-Adresse.‹«
Jasmin Rocha Diakonie
Diametral dazu steht für digital benachteiligte Gruppen das Recht auf analoge Teilhabe. Ein bekanntes Beispiel: der Fall des Spaniers Carlos San Juan de Laorden. Er ärgerte sich 2021 darüber, dass diverse Dienstleistungen von Banken nur noch online erreichbar waren, und startete eine Petition mit dem klingenden Titel »Ich bin alt, aber nicht blöd«. 650 000 Menschen unterzeichneten die Unterschriftenliste innerhalb kürzester Zeit.
Ältere Menschen sind jedoch bei Weitem nicht die einzigen, die sich weiterhin für das Recht auf analoge Teilhabe starkmachen. Die Digitalisierung stellt auch obdachlose Menschen vor besondere Herausforderungen. Sie haben oft Schwierigkeiten, Geräte mit Strom zu versorgen. Seit dem Beschluss des Anti-Terror-Gesetzes 2017 ist es für Menschen ohne festen Wohnsitz außerdem eine Herausforderung, Sim-Karten zu erwerben. Diese sind legal nicht mehr ohne Wohnadresse und Personalausweis erhältlich. Neue Aspekte der In- und Exklusion, die sich durch den steigenden Grad der Digitalisierung verfestigen könnten.
»Wir haben den Auftrag, Menschen in Bezug auf soziale Herausforderungen im Lebenslauf zu helfen. Das kann analog oder digital sein«, sagt Rocha. Die Technologien seien ein Werkzeug, das die Zivilgesellschaft möglichst effektiv nutzen sollte.
Mit einer Grundsatzforderung, die Armutsbetroffene immer wieder stellen, setzt sich neben dem Stand der Wohlfahrtsverbände Janine Steiz von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft auseinander. Die Unfallversicherung entwickelt derzeit ein Instrument, um die »historisch gewachsene und juristisch geprägte« Behördensprache verständlich zu gestalten, wie Steiz es ausdrückt. Das Ziel sei ein Programm, das Beschäftigten einfachere Formulierungen vorschlage – diese müssten dann dafür Sorge tragen, dass der Rechtskontext dadurch nicht verändert werde.
Besonders in der Verwaltung der Wohlfahrt könne KI unterstützen, so auch Rocha. Abgehen davon gebe es weiterhin analoge Optionen. Wenn jemand zum Beispiel keine E-Mail-Adresse habe, gebe es immer noch den guten alten telefonischen Weg.
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