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  • Waffenlieferungen an die Ukraine

Taurus durch die Hintertür

Kritik an Merz’ Ankündigung, Einsatzbeschränkung für an Ukraine gelieferte Waffen aufzuheben

Auch in Litauen demonstrierte Kanzler Merz dieser Tage deutsche Stärke.
Auch in Litauen demonstrierte Kanzler Merz dieser Tage deutsche Stärke.

Die Ankündigung von Friedrich Merz ist offenbar das »Go« für den künftigen Export von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Beim WDR-Europaforum auf der Medienkonferenz Republica in Berlin hatte der Bundeskanzler am Montag erklärt, dass für die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffen keine Einsatzbeschränkungen mehr gelten. »Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten noch von den Franzosen noch von uns, von den Amerikanern auch nicht«, sagte der CDU-Vorsitzende. Mithin könne das Land bei seinem Abwehrkampf jetzt auch »militärische Stellungen in Russland« attackieren. Dies sei Gegenstand seiner Absprachen mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Polens Regierungschef Donald Tusk beim gemeinsamen Besuch in Kiew vor zwei Wochen gewesen.

Aus der mit CDU und CSU in Berlin regierenden SPD kam Kritik an der Ankündigung. So nannte der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner die Äußerungen von Merz »nicht hilfreich«. Einzelne Ausnahmen bei den Reichweiten seien zwar sinnvoll, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Insgesamt finde ich aber alles, was den Krieg ausweitet, falsch«, betonte Stegner. Richtig wäre es hingegen, »die diplomatischen Bemühungen zu verstärken«.

Auch der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte sich irritiert. Er habe da noch viele Fragen an den Kanzler, sagte der Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk. Es sei richtig gewesen, eine Reichweitenbegrenzung vorzunehmen, bekräftigte Mützenich. Es sei zwar offensichtlich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin eskaliere. Gerade deshalb müsse aber alles getan werden, durch weitere diplomatische Initiativen wieder zu Verhandlungen zu kommen.

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Die Ansage von Merz markiert einen Kurswechsel gegenüber seinem Vorgänger Olaf Scholz (SPD). Der hatte zwar im vergangenen Jahr den Einsatz deutscher Waffen wie den Mehrfachraketenwerfer Mars II gegen Stellungen auf russischem Territorium für die Region um die umkämpfte Großstadt Charkiw erlaubt. Er hatte sich aber gegen eine darüber hinausgehende Aufhebung der Einsatzbeschränkungen ausgesprochen. Eine Lieferung des Taurus-Systems hatte er mit der Begründung, damit werde Deutschland Kriegspartei, stets abgelehnt. In seiner Regierungserklärung am 14. Mai hatte auch Merz zwar betont, Deutschland werde die Ukraine weiter »kraftvoll« militärisch unterstützen, aber ohne dabei Kriegspartei zu werden.

Nun nannte Merz die massiven russischen Luftangriffe auf die Ukraine am Wochenende als Gründe für seine Ankündigung. Russlands Präsident Wladimir Putin verstehe offensichtlich Gesprächsangebote als Schwäche, sagte Merz und fügte mit Blick auf vorangegangene Initiativen des Westens hinzu: »Den Vorwurf, nicht alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft zu haben, die es gibt, den kann uns nun niemand ernsthaft mehr machen.«

Inwieweit Merz seine Äußerungen mit dem Koalitionspartner abgestimmt hat, ist offen. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) widersprach dem Eindruck, es gebe einen Kurswechsel: »Was die Reichweite angeht, will ich noch sagen, da gibt es keine neue Verabredung, die über das hinausgeht, was die bisherige Regierung gemacht hat.«

Kritik kam auch von Linksfraktionschef Sören Pellmann. Er betonte einerseits, der russische Angriffskrieg sei »ein furchtbares Verbrechen«. Die Bombardierung ukrainischer Städte und Infrastruktur und die fortgesetzten Angriffe auf Zivilisten müssten beendet werden. Andererseits habe »die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen den Krieg nicht beendet«. Eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkung könne »zu einer weiteren Eskalation führen«, warnte Pellmann: »Frieden lässt sich nicht herbeibomben.«

»Einzelne Ausnahmen bei den Reichweiten können sinnvoll sein. Insgesamt finde ich aber alles, was den Krieg ausweitet, falsch.«

Ralf Stegner SPD-Bundestagsabgeordneter

Aus den Reihen der Grünen kam erwartungsgemäß Zustimmung zu der Ankündigung des Kanzlers. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, begrüßte die Ankündigung des Kanzlers als »folgerichtig und überfällig«. »Wladimir Putin bombt mit neuer Grausamkeit gerade jegliche Friedensbemühungen und Gesprächsangebote in Grund und Boden«, schrieb sie auf der Plattform X. Es sei daher »richtig, mit der Aufhebung der Reichweitenbeschränkung zu reagieren«. Brugger pochte gleichzeitig darauf, der Ukraine nun auch die von Kiew gewünschten Taurus-Systeme zur Verfügung zu stellen. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Politiker Anton Hofreiter.

In Moskau reagierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auf die Merz-Äußerung. Dies seien »ziemlich gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat«, sagte er. Außenminister Johann Wadephul erklärte dazu: »Es hat jetzt mehrere Aufforderungen und Gelegenheiten gegeben, an den Verhandlungstisch zu kommen für den russischen Präsidenten, und er hat sie ausgeschlagen.« Man habe »immer klar angekündigt, dass dieses Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben wird«, sagte der CDU-Politiker bei einem Besuch in Lissabon.

Operativ wird die Ankündigung von Merz zunächst kaum Auswirkungen haben, da Deutschland kaum Waffen geliefert hat, mit denen die ukrainischen Streitkräfte russische Stellungen und Nachschublinien weit hinter der Frontlinie treffen können. Der Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern und die Panzerhaubitze 2000 mit etwa 35 Kilometern sind bislang die einzigen deutschen Waffensysteme vor Ort. Den Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, mit dem selbst Moskau erreicht werden könnte, hat Berlin bisher nicht geliefert.

Merz reiste derweil am Dienstag ins finnische Turku zu einem Treffen des Nordischen Rates. Am Rande der Tagung sagte er, man müsse sich »auf eine lange Dauer des Krieges« in der Ukraine einrichten. Die Chancen auf einen Waffenstillstand stünden schlecht. Für Deutschland und seine Partner bedeute Russlands Desinteresse an einer Feuerpause, »dass wir unsere Anstrengungen eher noch verstärken müssen, damit die Ukraine sich verteidigen kann«. Seine Äußerungen vom Vortag bekräftigte Merz. Er habe damit lediglich »etwas beschrieben, was seit Monaten längst geschieht«. Die Ukraine könne sich nur verteidigen, wenn sie auch militärische Stützpunkte angreifen könne, »die auf dem Territorium des Angreifers liegen«. mit Agenturen

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