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Menschenschutz oder Klimaschutz?
In den Diskussionen über den Klimawandel ist immer öfter von Menschenschutz die Rede – worum geht es dabei genau?
Die Klimabewegung muss sich neu sortieren. Die Grünen sind in der Opposition, die fossile Lobby übernahm offiziell die Macht im Wirtschaftsressort und die industrielle Agrarwirtschaft das Ruder im Landwirtschaftsministerium. Klimaleugner haben im Bundestag jetzt noch mehr Redezeit für absurde Erzählungen. Der Klimaschutz gerät dadurch immer mehr in die Defensive und auch bisher beliebte Narrative können ihn nicht retten. Erzählungen wie die von der kognitiven Dissonanz zwischen Wissen und Tun oder die immer gleiche Vision, wie schön und erstrebenswert ein klimaneutrales Leben im Jahr 2050 sein könnte, rufen nur noch müdes Lächeln hervor.
Umdenken beim Umweltschutz
Recht frisch kommt da ein Narrativ daher, das es sogar schon in die Welt der Koalitionäre im Bundestag geschafft hat. »Klimaschutz ist nichts anderes als Menschenschutz«, rief am 15. Mai der SPD-Abgeordnete Esra Limbacher ins Plenum. Ihm sei es gerade in den ersten Beratungen zum neuen Umweltministerium wichtig, dies zu betonen. Damit die Folgen der Klimakrise, wie vergangenes Jahr die Jahrhunderthochwasser, nicht noch häufiger und verheerender würden, müssten wir handeln, sagte der Parlamentarier und Vizefraktionschef der SPD.
In dieselbe Kerbe der Vorsorge hatten auch schon die Grünen im Bundestag geschlagen. Unter der Überschrift »Klimaschutz ist Menschenschutz« lobten sie vergangenes Jahr noch als Mitregierende das kurz zuvor in Kraft getretene Bundes-Klimaanpassungsgesetz. Es soll angesichts der Folgen von Extremwettern Abhilfe schaffen. Deswegen setzten die Grünen sich dafür ein, dass Klimaanpassung zur Gemeinschaftsaufgabe erklärt und die dauerhafte Finanzierung gesichert wird.
Grüne und die schwarz-rote Koalition haben damit ein gemeinsames Ziel, denn mit einer Klimaanpassung als Menschenschutz können auch Union und SPD etwas anfangen. So sollen laut Koalitionsvertrag der Hochwasser- und Küstenschutz beschleunigt, die Klimaanpassungsstrategie soll umgesetzt werden. Prüfen wollen Union und SPD auch die Einführung einer diesbezüglichen Gemeinschaftsaufgabe, sodass der Bund sich an den Kosten beteiligen kann.
Natur und Eigennutz
Gänzlich neu ist das Framing des Menschenschutzes nicht. Ein Buch mit dem gleichsetzenden Titel »Klimaschutz ist Menschenschutz« erschien bereits 2022. Zuletzt geisterte das Narrativ aber verstärkt durch Medien und Politik. Es hat den unschätzbaren Vorteil, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klima und Mensch herzustellen. Warum sollten das die Menschen nicht gut finden? Die am weitesten ausholende Argumentation des klimafreundlichen Menschenschutzes geht wie folgt: Der Natur – oder wahlweise dem Klima – ist es ziemlich egal, ob wir sie retten oder nicht retten. Um das Klima sorgen wir uns gewissermaßen aus purem Eigeninteresse, weshalb es beim Klimaschutz immer um den Menschenschutz gehe.
Diese Schlussfolgerung kommt Leuten, die sich schon länger mit dem Schutz der Natur befassen, bekannt vor: Auch hier geht es am Ende nicht darum, die »Natur« oder die »Umwelt« zu retten, sondern der Sinn des Schutzes besteht im Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen. Denn der Mensch, will er einer bleiben, ist in jeder Hinsicht Teil der Natur. Außerhalb dieser wäre er nicht entstanden, und er kann auch ohne eine menschenfreundliche Umwelt nicht würdig existieren. Nicht zufällig steht im Artikel 20a des Grundgesetzes: »Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere.«
Wildnis ist vielfältiger, resilienter und zukunftsfähiger als jede künstlich erschaffene Welt.
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Konsequente Naturschützer verstehen darunter auch, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen und nicht nur deswegen, weil diese zu etwas »nützlich« ist, ihre Ressourcen verwertbar sind oder die Natur sich zwecks späterer Nutzung regenerieren soll. Schutz meint hier, eine konsequent nichtanthropogene Sicht einzunehmen. Wildnis ist vielfältiger, resilienter und zukunftsfähiger als jede künstlich erschaffene Welt. Das gilt auch analog für den Klimaschutz. Der Erhalt der Natur, ihrer Vielfalt und die Mehrung ihrer Biomasse sind – neben der unabdingbaren CO2-Reduktion – letztlich die wichtigsten Maßnahmen zum Klimaschutz. Nicht zufällig sprechen Klimawissenschaftler davon, dass der Verlust der Biodiversität derzeit ein noch größeres Problem als der Klimawandel darstellt. Denn mit dem Verlust der Arten gehen Resilienz und Wandlungsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel unwiederbringlich verloren – und es gibt keinen Ersatz.
Auch ist die Natur die größte und effizienteste CO2-Senke, die uns in der Zukunft zur Verfügung steht. Wer Menschenschutz betreiben will, muss in gewisser Weise auch die Spezies Mensch vor sich selbst schützen, vor allem davor, den Reichtum der Natur nur nach Nützlichkeit zu bemessen und in privaten Mehrwert zu verwandeln. Konsequenter Klimaschutz kommt deswegen nicht ohne ein konsequentes »Nein« aus: Dieser Rohstoff bleibt im Boden, dieser Wald wird nicht angerührt, in diesem Meeresgebiet haben Fischerei und Kreuzfahrtschiffe nichts verloren, diese oder jene Praxis ist nicht zukunftsfähig.
Schutz des Konsums der Reichen?
Reduzieren wir den Klimaschutz aber auf »Menschenschutz«, stellt sich zudem die Frage: Steht damit auch der Superkonsum der Reichen unter Schutz? Wird damit beispielsweise auch der Massentourismus unter Schutz gestellt, der die Natur des globalen Südens ausbeutet? Impliziert der Menschenschutz nicht ein grün garniertes »Weiter so«?
Nicht alle Menschen haben die gleiche Verantwortung fürs Klima. Seit langer Zeit und besonders in den vergangenen 100 bis 200 Jahren sind gerade die Menschen im globalen Norden insgesamt gesehen mehr Fluch als Segen für die Erde – und damit auch Fluch für andere Menschen, schreibt Gudrun Lux, grüne Kommunalpolitikerin, Autorin und Katholikin. Auch sie schreibt unter dem Titel »Klimaschutz ist Menschenschutz« – aber sie differenziert: Wer arm ist, sei besonders verwundbar, und daher mahnt Lux, uns dürfe die soziale Katastrophe, die mit der Klimakatastrophe einhergehe, nicht kaltlassen.
Auch die Klimaforscherin und Philosophin Friederike Otto bezieht beim Klima- als Menschenschutz konsequent die soziale Sicht ein. Das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Celsius Erwärmung stelle für sie ein soziales Ziel dar, sagte Otto vor einem Jahr in einem Interview. Es gelte, den Klimawandel zusammen mit anderen Problemen zu bekämpfen, vor allem mit der global extremen Ungleichheit. Je mehr arme Menschen mit den Folgen des Klimawandels allein blieben, desto mehr verstärke sich die Ungleichheit und damit die Instabilität der Gesellschaft. »So eine Gesellschaft ist schlecht für alle«, betonte Otto.
Ein anerkanntes Mittel für einen klimasozialen Menschenschutz ist übrigens das Klimageld. Das sah auch SPD-Politiker Limbacher so – vor der Bundestagswahl. Zwar treffe der steigende CO2-Preis allgemein auf Zustimmung, er dürfe private Haushalte aber nicht überfordern, schrieb Limbacher damals auf Nachfrage zum Tag der Klimademokratie. »Deshalb braucht es zeitnah ein soziales Klimageld«, schlussfolgerte der SPD-Politiker. Das Klimageld gehöre für ihn zu den drei wichtigen Maßnahmen, die er als Bundestagsabgeordneter umsetzen wolle, so steht es auf seiner Website noch immer zu lesen. Würde Limbacher seine Rede über den Menschenschutz ernst nehmen, hätte er da nicht schon Mitte Mai ankündigen können – nein: müssen –, dass seine Fraktion zeitnah einen Antrag zu einem sozialen Klimageld einbringt? Das wäre doch ein echter Schritt, um jenseits aller Narrative das Klima und die Menschen zu schützen.
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