Giro d’Italia: Simon Yates – ein Sieger der alten Schule

Der 32-Jährige gewinnt die Italien-Rundfahrt mit einer wenig spektakulären, aber bewährten Taktik

  • Tom Mustroph, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Triumph in der Ewigen Stadt: Simon Yates
Triumph in der Ewigen Stadt: Simon Yates

Es war ein historisches Bild. Mit dem Rosa Trikot, das er sich erst am Abend zuvor gesichert hatte, stand Simon Yates zum Abschluss des Giro d’Italia am Sonntag neben einem ganz in Weiß gekleideten Herrn. Es handelte sich nicht um den Träger des Trikots für den besten Jungprofi, das ebenfalls in der Farbe der Unschuld gehalten ist: Das Textil des Mannes neben dem rosafarbenen Briten aus Bury war viel opulenter. Es schmückte Papst Leo XIV., der zu Beginn der 21. und letzten Etappe des Giro d’Italia im Vatikanstaat das Peloton begrüßte.

Dass Yates die Zeremonie aus der Perspektive des Gesamtführenden erleben durfte, war überraschend. Denn 19 Tage lang hatte sich der Rundfahrtkapitän vom Team Visma gut versteckt im Fahrerfeld aufgehalten. Bei keinem einzigen Sprint steckte er die Nase heraus, ihm gelang auch kein Etappensieg beim Giro. Das führte dazu, dass er um Energie raubende Medientermine und Podiumsfeierlicheiten einen weiten Bogen machen konnte. Auch die Antritte im Kampf um Bonussekunden sparte sich der 32-Jährige. »Die anderen sind explosiver«, erklärte diesen Verzicht. 

Sein Stil war das Gegenteil von spektakulär. Hauptkonkurrent Isaac Del Toro hingegen warf sich mit der Unbekümmertheit der Jugend in jeden noch so kleinen Kampf. 52 Bonussekunden sammelte der Mexikaner über Zwischensprints – und witzelte dann noch etwas über die Angst der Älteren vor dieser Art von Energieverschwendung. Am Ende hatten die alten Bedenkenträger recht. Mit Yates gewann ein Rundfahrer der alten Schule, einer, der den Gedanken »Kräfte sparen« zutiefst verinnerlicht hat. »Der Giro ist so aufgebaut, dass die Entscheidung ohnehin erst in der dritten Woche fällt. Vorher muss man Fehler vermeiden und darf keine Zeit verlieren«, beschrieb er sein Konzept.

An diesen Plan hielt sich Yates – und konzentrierte alle Ressourcen auf den entscheidenen Tag. Ausgerechnet am Colle delle Finestre trat er am Sonnabend an und holte dort dank seiner Entschlossenheit mehr als fünf Minuten Vorsprung heraus. Die 52 Bonussekunden des 21-jährigen Del Toro wirken winzig gegen diesen Schlag. Und eine historische Dimension hat, dass Yates das ausgerechnet an dem Berg gelang, an dem er seine bisher größte Niederlage als Radprofi erlitten hatte. 2018 verlor er hier den Giro, nach zuvor 13 Tagen in Rosa. Damals brach er komplett ein und verlor letztlich fast 40 Minuten auf seinen Landsmann Chris Froome, der damit seinen Giro-Triumph perfekt machte. »Dieser Anstieg hat meine Karriere gezeichnet. Und als die Strecke vom Giro bekannt wurde, habe ich mir vorgenommen, hier etwas Besonderes zu versuchen«, erklärte er.

Als Triumphator blickt Yates aber nicht zurück. Vielmehr gab er Zweifel zu Beginn der Etappe zu. Erst als er sich von seinen Hauptrivalen Del Toro und Richard Carapaz, die in Rom mit ihm auf dem Podium standen, lösen konnte, festigte sich in ihm Tritt für Tritt die Überzeugung, hier den Sieg holen zu können. »Ich merkte, dass ich ein hohes Tempo fahren und auch bis ins Ziel halten konnte«, sagte er.

Mit den Waffen eines Kletterers, der die langen Kanten mag und dessen Muskulatur die Kraft vor allem für ein stetiges Tempo bereitzustellen vermag, bezwang er die explosiveren Kontrahenten. Für ihn schloss sich nach sieben Jahren ein Kreis: »All die Entbehrungen, all die Rückschläge, die ich auf diesem Weg einstecken musste, sind jetzt vergessen.« Tränen rannen über das Gesicht des Radsportveteranen. Mit der Krönung seiner Karriere brachte Yates nach einer mehrjährigen Pause, als vor allem Slowenen, Dänen und Kolumbianer die obersten Podestplätze bei den Grand Tours einnahmen, zugleich die frühere Großmacht Großbritannien wieder ganz nach vorn.

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