Pellmann scheitert vor BGH: Vereinnahmung bleibt straffrei

Rechtsextremisten dürfen den Anschein politischer Nähe erwecken, urteilte der Bundesgerichtshof am Dienstag im Fall Pellmann

Sören Pellmann auf dem Sonderparteitag der Linkspartei im Januar.
Sören Pellmann auf dem Sonderparteitag der Linkspartei im Januar.

Werden die Persönlichkeitsrechte eines Politikers verletzt, wenn der erbittertste politische Gegner so tut, als mache man gemeinsame Sache? Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat dies am Dienstagnachmittag verneint und eine Revision des Ko-Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sören Pellmann, abgelehnt: Pellmann bekommt die 10 000 Euro somit nicht, auf deren Zahlung er die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen verklagt hatte. »Es ist bedauerlich, dass der BGH die heutige Chance verpasst hat, den Schutz vor Desinformation und politischer Vereinnahmung durch Rechtsextreme mit dem bei Persönlichkeitsverletzungen effektivsten Mittel – der Anerkennung einer Geldentschädigung – zu stärken«, kommentierte Pellmann das Urteil.

Im September 2022 hatte die Linke unter dem Motto »Heißer Herbst gegen soziale Kälte: Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein« an der Leipziger Oper eine Demonstration mit Pellmann und dem Linke-Abgeordneten Gregor Gysi angemeldet. Kurz darauf meldeten die Freien Sachsen am ebenfalls am Augustusplatz gelegenen Gewandhaus eine Demo an – mit dem Motto »Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von Sören Pellmann und der Linken – Gemeinsam gegen die da oben«.

Auch ansonsten taten sie einiges, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um eine gemeinsame Demonstration mit gemeinsamen Anliegen handelt. So führte die Rednerliste unter den Ziffern eins bis vier unter anderem Compact-Gründer Jürgen Elsässer oder André Poggenburg, der selbst der AfD zu rechts war – und auf Platz fünf und sechs Gregor Gysi und Sören Pellmann.

Letzterer erwirkte daraufhin vor dem Leipziger Landgericht eine Unterlassungserklärung mit der Begründung, seine Glaubwürdigkeit als Linker sei massiv beschädigt, wenn der Verdacht aufkomme, dass er gemeinsame Sache mit Rechten mache. Während das Landgericht das auch so sah und die Freien Sachsen zur Zahlung von 10 000 Euro verdonnerte, kassierte das Dresdner Oberlandesgericht das Urteil wieder. Auch dort sah man einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte – dieser sei allerdings nicht gravierend genug, um eine Geldstrafe zu rechtfertigen.

Umso erstaunlicher, dass nun der BGH erstmals in der mündlichen Verhandlung am Dienstag ganz grundsätzlich infrage stellte, ob die »materiellen Persönlichkeitsrechte« Pellmanns überhaupt tangiert seien. Dazu, so argumentierten die Richterinnen und Richter, hätten die Freien Sachsen ohne jede Ambivalenz den Eindruck einer gemeinsamen Demonstration erwecken müssen. Das hätten sie zwar mit einigen Formulierungen nahegelegt, andere (»alle Kundgebungen sind genehmigt«) erweckten jedoch den gegenteiligen Eindruck. Zudem gab der BGH während der mündlichen Verhandlung zu verstehen, dass er den Instagram-Kanal der Freien Sachsen ebenso als medialen Kanal ansieht wie klassische Verlagshäuser, somit greife das Medienprivileg. Dieses besagt, dass journalistische Medien bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von bestimmten Datenschutzvorschriften ausgenommen sind.

»So werden Fake News geschützt. Dabei sind die Gerichte die einzigen, die etwas dagegen tun können.«

Daniel Czeckay Anwalt von Sören Pellmann

Das ist allerdings eine Sichtweise, die weitreichende Folgen haben könnte, fürchtet Pellmanns Anwalt Daniel Czeckay: »Auf diese Argumentation ist zuvor noch niemand gekommen. So werden Fake News geschützt. Dabei sind die Gerichte die einzigen, die etwas dagegen tun können. Da helfen nur Geldstrafen.« Im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit müssten sich Politiker dagegen wehren können, gegen ihren Willen politisch vereinnahmt zu werden, findet Czeckay. Wenn es künftig aber reiche, ein paar relativierende Phrasen einzustreuen, um straffrei auszugehen, sei »das Persönlichkeitsrecht eigentlich tot.«

Weitgehend ausgeblendet wurde in Karlsruhe auch die politische Dimension der Causa. Schließlich ist das Andocken an bestehende Proteste eine bewährte rechtsextreme Taktik, die die Freien Sachsen auch bei den Bauernprotesten anwandten. Zudem verfolgen Teile der rechten Szene eine Querfront-Strategie und streben eine Allianz von Linken und Rechten gegen »das Establishment« an. Den Leipziger Demoaufruf – »Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen!« – konnte man genau so verstehen. Den Zusatz »gegen die da oben« ebenfalls.

Deshalb sieht Pellmann in dem Gerichtsverfahren einen Prozess, der über seinen persönlichen Fall hinausgehe. »Mit einem erfolgreichen Urteil hätte ein juristischer Baustein im Kampf gegen Neonazismus und Fake News entstehen können«, so der Linke-Politiker. »Neonazis, die versuchen, politische Gegner zu instrumentalisieren und zu vereinnahmen, hätten so allgemein auf Schadensersatz verklagt werden können – eine effektive Abschreckung.«

Auch die von Pellmanns Anwälten vorgebrachte Argumentation, das rechtsextreme Grüppchen habe einen »Imagetransfer« von Gysi und dem direkt gewählten MdB Pellmann angestrebt, überzeugte die Richterinnen und Richter nicht. Schließlich sei es nicht wahrscheinlich, dass Rechtsextremisten ausgerechnet einen Linke-Politiker als Kronzeugen für ihre Agenda ansähen. Wie die Freien Sachsen die Angelegenheit sehen, ließ sich in Karlsruhe nicht erfahren. Die Rechten waren nicht vor Ort, ein BGH-Anwalt hatte sich geweigert, sie juristisch zu vertreten.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -