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Annäherung in Alleen

»Zikaden« ist ein einfühlsamer Film über die Freundschaft zweier ungleicher Frauen

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Was wünscht sich Isabell (Nina Hoss) für sich selbst?
Was wünscht sich Isabell (Nina Hoss) für sich selbst?

Sommer in Brandenburg: Isabell (Nina Hoss) versucht, Ordnung in das Wochenendhaus ihrer Eltern zu bringen. Sie räumt auf in diesem lichtdurchfluteten, großzügigen Bungalow, den ihr Vater, ein renommierter Architekt, selbst entworfen hat. Nun ist der Bau sich selbst überlassen, verharrt verlassen auf dem Land. Isabells Eltern leben in Berlin. Ihr Vater ist nach einem Schlaganfall eingeschränkt, aber bleibt die unbestreitbare Autorität des Hauses.

Nach und nach drängt sich die jüngere Anja (Saskia Rosendahl) in Isabells Leben, eine alleinerziehende Mutter eines wilden, liebesbedürftigen Kindes. Anja wohnt auf dem Land, hangelt sich von einem prekären Job zum nächsten. Sie versucht, ihr Leben irgendwie auf die Reihe zu kriegen, um für ihre Tochter da zu sein.

Bei einem Spaziergang begegnen die beiden Frauen einander, irgendwo zwischen den Dörfern auf einer Brücke über einen Fluss mit zu wenig Wasser. Sie rauchen eine Zigarette, sind mit ihren Themen beschäftigt, verharren in Gedanken. Und doch ist da etwas Gemeinsames.

Dies ist einer dieser merkwürdigen Momente in »Zikaden«, unentschlossen, und doch irgendwie schön und verheißungsvoll. So ist das im Leben. Manchmal weiß man nicht, was man sagen soll. Manchmal gibt es auch einfach nichts zu sagen.

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»Zikaden« von Ina Weisse ist einer dieser Filme, denen man durch eine reine Inhaltsbeschreibung nicht gerecht wird. Vordergründig passiert wenig, hintergründig sehr viel. Die forsche Anja findet die elegante, urbane Isabell schön und anziehend, sucht ihre Nähe. Eine wenig selbstverständliche Annäherung zweier unterschiedlicher Frauen. Und doch gibt es Parallelen: Beide sind tief in ihren Care-Rollen verstrickt, die sie gewissenhaft zu erfüllen versuchen. Bei beiden scheint unklar: Was wünschen sie sich für sich selbst?

Isabell versucht, eine Pflegekraft für ihre Eltern zu organisieren, die Beziehung zu ihrem Mann Philipp (Vincent Macaigne) steht währenddessen auf der Kippe. Er stellt die großen Fragen: Ist das wirklich das, was er möchte? Ist er glücklich? Isabell scheint außerstande, in der aktuellen Situation so viel Empathie für ihn aufzubringen, wie er sich wünscht.

»Zikaden« ist nach »Der Architekt« (2008) und »Das Vorspiel« (2019) der dritte lange Spielfilm der Regisseurin und Schauspielerin Ina Weisse, die selbst Tochter des renommierten Architekten Rolf D. Weisse ist. Sie schrieb das Drehbuch und führte Regie bei dem Filmdrama, das im Februar in der Sektion Panorama der Berlinale Premiere feierte. Es ist ein langsam erzählter, mitunter melancholischer Film, der zwischen Berlin und den grünen Feldern und langen Alleen Brandenburgs spielt – in einer Sommerhitze-Stimmung, die irgendwie schön und irgendwie schwer ist. Zwischen den großen Baustellen des Lebens – Pflege, Alter, zerbrechende Liebe, prekäre Jobs – entspinnt sich ein zartes Band zwischen zwei Frauen. Vieles bleibt unausgesprochen, ambivalent. Aber genau das macht den Film so lebensnah und berührend.

»Zikaden«: Deutschland, Frankreich, 2025. Regie und Buch: Ina Weisse. Mit: Nina Hoss, Saskia Rosendahl, Vincent Macaigne. 100 Min. Kinostart: 19.6.

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