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Martin Jäger: Direkt aus der Hölle
Martin Jäger wird Chef des Bundesnachrichtendienstes. Sein Lebenslauf liest sich wie eine schlechte Verschwörungstheorie
Dass sich in Geheimdiensten seltsame Gestalten tummeln, mag nicht überraschen. Doch der Lebenslauf des neuen BND-Chefs Martin Jäger liest sich, als stamme er direkt aus der Hölle. Dabei fing es bei dem 1964 in Baden-Württemberg geborenen Jäger recht normal an: nach dem Abitur zur Bundeswehr, dann Ausbildung zum Fotografen, Tätigkeit als freier Journalist und Studium der Ethnologie, Politikwissenschaften und Philosophie.
Seit seinem Eintritt in die CDU 1994 jedoch besitzt Jäger einen ausgeprägten Zug zur Macht. Der Ulmer schlug die Diplomatenlaufbahn ein und bewies sich als geschmeidiger Technokrat. Trotz des CDU-Parteibuchs arbeitete er erst für einen FDP-Außenminister, dann ab 1998 für das SPD-geführte Bundeskanzleramt, wo er die europapolitischen Reden verfasste. Nach kurzer Unterbrechung an der deutschen Botschaft in Prag diente Jäger dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Offenbar blickt Jäger zufrieden auf die damals erbrachten Leistungen zurück: »Mit der Agenda 2010 haben wir nachhaltig etwas verändert«, zitierte ihn vor einigen Jahren die Tageszeitung »Welt«.
Mit dem heraufziehenden Ende des Kabinetts Merkel I setzte sich Jäger 2008 in Richtung Kapital ab und wurde Cheflobbyist – natürlich beim Autokonzern Daimler. Nach fünf fürstlich entlohnten Jahren ging es weiter an den Hindukusch: Auf Vorschlag Guido Westerwelles wurde Jäger Botschafter in Kabul, wo er, stets von GSG-9-Leuten umringt, beim Nation-Building mit anpacken wollte .
Da das Projekt bekanntermaßen nicht besonders erfolgreich verlief, wechselte Jäger schon bald erneut. Diesmal ging es als Mitarbeiter zu Europas meistgehasstem Finanzminister: Wolfgang Schäuble. Im Auftrag der Banken übernahm Jäger die Mission, die Linksregierung in Griechenland zu demontieren und die aufsässige Bevölkerung dem Austeritätsdiktat zu unterwerfen. Als die Parteizeitung der griechischen Linken damals eine Karikatur veröffentlichte, auf der Schäuble mit dem Satz »Wir bestehen darauf, Seife aus Eurem Fett zu machen« zu sehen war, blieb Jäger beherrscht. »Diese Zeichnung ist widerwärtig«, verkündete er knapp.
2016 wurde Jäger, der laut Spiegel zum engsten Machtzirkel um Schäuble gehörte, zur kriselnden Südwest-CDU entsandt, wo er für Innenminister Thomas Strobl Leitlinien der Migrationspolitik entwickelte und ein viel beachtetes Positionspapier zur Bekämpfung der Einwanderung verfasste. Wegen der darin enthaltenen AfD-affinen Rhetorik kritisiert, antwortete Jäger unbeeindruckt: »Vor wenigen Monaten haben wir noch Kritik dafür kassiert, die Abschiebehaft zu verschärfen. Jetzt will das jeder.«
Weil die Union in Baden-Württemberg schwach blieb, wechselte Jäger im März 2018 erneut – diesmal ins CSU-geführte Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Drei Jahre war er dort tätig, seitdem ist er wieder vor allem in Krisenregionen unterwegs: erst als Botschafter im Irak, seit Sommer 2023 in der Ukraine. In Kiew setzte sich Jäger dafür ein, nur noch Kyiv zu schreiben, umarmte ukrainische Kampftruppen und pflegte – für einen Diplomaten eher untypisch – täglich seinen X-Account.
Nun also wird Jäger Chef des Auslandsgeheimdienstes. Wollte man aus seiner Biografie einen Roman machen, würde einem vermutlich vorgehalten werden, zu viele Themen miteinander vermischen zu wollen. Oder wie es der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter diese Woche zu Protokoll gab: »Durch sein Wirken auch im Bereich innere Sicherheit, Wirtschaft und Finanzsicherheit passt er sehr gut als künftiger Präsident (des BND).«
Innere Sicherheit, Wirtschaft und die Sicherung von Investitionen – eine bemerkenswerte Aufgabenbeschreibung für den deutschen Auslandsgeheimdienst.
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