- Politik
- Den Haag
Vor dem Nato-Gipfel: Kleine Absetzbewegungen
Nach Spanien verlangt auch Belgien mehr Flexibilität bei den Verteidigungsausgaben
Die Aussagen sind widersprüchlich: Aus dem Nato-Hauptquartier kam die Nachricht, dass sich alle 32 Mitgliedstaaten auf das Militärausgabenziel von fünf Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) verständigt haben. Davon sind demnach 3,5 Prozent direkt für Streitkräfte und Waffen vorgesehen und 1,5 Prozent für »verteidigungsrelevante Infrastruktur«.
Spanien, so hieß es, habe seinen Widerstand dagegen aufgegeben. Vergangenen Donnerstag hatte sich Ministerpräsident Pedro Sánchez noch in einem Brief an Nato-Generalsekretär Mark Rutte gegen das Fünf-Prozent-Ziel ausgesprochen, es gar für sein Land als »nicht nur unvernünftig, sondern sogar kontraproduktiv« bezeichnet. Noch am Sonntagabend betonte der Sozialdemokrat, es gebe für sein Land eine Ausnahme von der Zielmarke. Was richtig ist, wird sich wohl während des diesen Dienstag beginnenden zweitägigen Gipfels herausstellen. Zuletzt hieß es nach Angaben aus Diplomatenkreisen, die Formulierung in der Abschlusserklärung für den Gipfel sei von »Wir verpflichten uns« in »Verbündete verpflichten sich« umformuliert worden.
In einer Rede in Madrid erklärte Sánchez, Spanien werde »auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten seiner Verantwortung gerecht werden und weiterhin aktiv zur europäischen Sicherheitsarchitektur beitragen«, könne jedoch »auf diesem Gipfel keine konkrete Ausgabenzielvorgabe in Prozent des BIP machen«. Der spanische Premier betonte zwar mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine die Notwendigkeit einer stärkeren Allianz angesichts »der Grausamkeit Putins und seiner völligen Missachtung des Völkerrechts und der Menschenrechte«, welche »eine existenzielle Bedrohung darstellen«.
Gleichzeitig erklärte er, dass es für einige Länder nachteilig und für die Sicherheit des Bündnisses ineffizient sein könnte, alle Nato-Mitglieder zu dem von der US-Regierung geforderten Fünf-Prozent-Ziel zu verpflichten und plädierte für »eine flexiblere Formel«. Spanien gehört bereits beim noch gültigen Zwei-Prozent-Ausgabenziel der Nato zu den Nachzüglern. Es soll in diesem Jahr erreicht werden. Bisher lagen die Verteidigungsausgaben des südeuropäischen Landes bei 1,3 Prozent des BIP.
Man darf auf die Debatten in Den Haag auch insofern gespannt sein, als inzwischen auch aus Belgien der Wunsch nach einem »ein Maximum an Flexibilität« beim Ausgabenziel kam. »Unsere Diplomatie ist seit Wochen aktiv, um flexible Mechanismen zu erreichen«, sagte der belgische Außenminister Maxime Prévot am Montag dem Radiosender RTBF. Er betonte, das Prinzip der Nato sei die Solidarität. »Mittelfristig« sei das neue Ziel für sein Land »unerreichbar«. Er verwies auf die belgische Fünf-Parteien-Koalition, die bislang auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP noch nicht verabschiedet hat.
Derweil gerieren sich Deutschland und andere als Musterschüler und Einpeitscher. Am Montag ließ Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) mitteilen, dass die Bundesrepublik das neue Ziel, 3,5 Prozent des BIP direkt fürs Militär auszugeben, bereits im Jahr 2029 erreichen wolle, also sechs Jahre früher als in der Gipfelerklärung angepeilt. Bis dahin sollen die Ausgaben schrittweise steigen und bereits in diesem Jahr 2,4 Prozent des BIP erreichen. In diesem Jahr sollen für die Verteidigung Kredite in Höhe von 81,8 Milliarden Euro und im kommenden Jahr vo 89,3 Milliarden Euro aufgenommen werden.
»Forderungen, das Ziel bei den Verteidigungsausgaben erst 2035 zu erreichen, zeigen, dass manche das Ausmaß der Bedrohung noch nicht verstanden haben.«
Margus Tsahkna Außenminister Estlands
Estlands Außenminister Margus Tsahkna forderte die anderen Mitgliedstaaten derweil auf, das neue Ziel schnellstens umzusetzen. Vom Gipfel müsse ein »starkes Signal der Geschlossenheit und Solidarität« in Richtung Russland ausgehen, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). Weiter sprach er sich erneut für eine volle Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Die Zusage an das Land gelte, »auch wenn das diesjährige Gipfelkommuniqué keine so klaren Worte enthalten wird«.
Fünf Prozent Verteidigungsausgaben bis 2030 seien »der beste Weg, um Europa sicher zu machen«, sagte Tsahkna. Dies sei ein »realistischer Zeitrahmen«. Forderungen, das Ziel erst 2035 zu erreichen, zeigten, »dass manche das Ausmaß der Bedrohung noch nicht verstanden« hätten. Überdies forderte der estnische Politiker eine klare Definition, was zu den 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur gezählt werde. Er nannte es »völlig inakzeptabel«, wenn Länder versuchten, »alle möglichen Ausgaben als verteidigungsnahe Investitionen zu deklarieren«. »Es kann nicht angehen, dass wir Dinge wie Umweltschutz oder die Feuerwehr anrechnen«, betonte er.
Die Mehrheit der europäischen Nato-Länder befürchtet, dass die US-Administration unter Donald Trump der Nato den Rücken kehren könnte, wenn das Bündnis der Fünf-Prozent-Forderung nicht nachkommt. In der Vergangenheit hatte der US-Präsident bereits gedroht, nur jenen Ländern beizustehen, die nach seinem Ermessen genug für ihre eigene Verteidigung bezahlen. Zuletzt hatte er am Freitag gesagt, dass die USA seiner Ansicht nach das Fünf-Prozent-Ziel nicht einhalten müssten. »Ich denke nicht, dass wir sollten, aber sie sollten«, sagte er mit Blick auf die Nato-Partner.
Der Gipfel beginnt an diesem Dienstagabend mit einem Empfang für die Staats- und Regierungschefs im königlichen Schloss Huis ten Bosch. Am Mittwochvormittag findet die eigentliche Sitzung der 32 Staats- und Regierungschefs statt, die nur zweieinhalb Stunden dauern soll. »Sie sorgen dafür, dass Trump sich nicht in langwierigen Sitzungen langweilt«, kommentierte der frühere Nato-Funktionär Jamie Shea. Misstöne sollen vermieden werden.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.