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Deregulierung auf dem Feld

Mit dem Stopp der Stoffstrombilanzverordnung droht Rückkehr zu unkontrollierter Überdüngung

Gülle-Ausbringung im sogenannten Schleppschuh-Verfahren
Gülle-Ausbringung im sogenannten Schleppschuh-Verfahren

Begleitet von Protesten von Tierschützern hat am Mittwoch in Berlin der diesjährige Bauerntag begonnen. Bei der zweitägigen Veranstaltung fordert der Deutsche Bauernverband (DBV) von der Politik eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, um »unsere Landwirtschaft unternehmerisch und innovativ weiterentwickeln« zu können. Konkret ruft die CDU-CSU-nahe Lobbyorganisation nach Entlastungen für Landwirte und einer gesicherten Finanzierung für mehr Tierschutz in Ställen.

In seiner Grundsatzrede zum Auftakt forderte DBV-Präsident Joachim Rukwied »spürbare Entlastung« für unsere Betriebe. Er legte einen langen Wunschzettel für Tierhaltung und Pflanzenbau vor und rief die Politik auf: »Die neue Bundesregierung ist gefordert zu liefern.«

Gehör findet er damit beim neuen Agrarminister Alois Rainer (CSU), der am Donnerstag seine Antrittsrede halten wird. Nachdem es Ende 2023 Proteste von Landwirten wegen geplanter Streichung eines Teils der Subventionen für die Branche durch die Ampel-Regierung gegeben hat, herrscht nun ein anderer Ton. Dafür sorgt insbesondere der CSU-Politiker, der das Feld für seinen Auftritt in den vergangenen Tagen geschickt bereitet hat. So verkündete er, dass es ab 2026 wieder eine vollständige Rückvergütung der Steuer auf Agrardiesel geben wird. Außerdem äußerte sich der gelernte Metzgermeister wohlwollend zur Forderung des DBV, Saisonarbeitskräften nur noch 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns zu bezahlen, da diese ihren Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland hätten. Diese Untergrenze für Gehälter ist bundesweit für alle Branchen verbindlich.

Neben Ankündigungen hat der Minister indes auch schon Taten sprechen lassen: So hob er per Erlass und mit Billigung des Kabinetts in dieser Woche die Stoffstrombilanzverordnung auf. »Schluss mit überbordender Dünge-Bürokratie«, teilte Rainer nach dem Beschluss mit. »Wir schaffen schlanke, praxisnahe Regelungen, die funktionieren, anstatt zu frustrieren.«

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Die 2018 eingeführte Verordnung sollte die Nährstoffflüsse und damit verbundene Umweltbelastungen aus der Landwirtschaft kontrollieren. Ähnliche Regelungen gibt es auch in den Nachbarländern. Nicht nur Umweltverbände befürchten wegen der Deregulierung eine weitere Verschlechterung beim Natur- und Gewässerschutz. Auch der Verband der kommunalen Unternehmen – die Wasserwerke müssen die Folgen quasi ausbaden – bewertet die Abschaffung der Stoffstrombilanz ohne die Einführung eines alternativen Instruments zur Steuerung der Nährstoffflüsse kritisch. Allen Beteiligten sollte klar sein, dass es darum gehe, die EU-Nitratrichtlinie weiterhin konsequent umzusetzen, um das Grundwasser besser zu schützen. Ansonsten drohe wieder ein Vertragsverletzungsverfahren, so der Verband.

Auch Experten haben wenig Verständnis für das Vorgehen: Die übermäßige Ausbringung von Gülle und Dünger in der Landwirtschaft gilt als Hauptursache für die hohen Nitratwerte im Grundwasser. Im Zeitraum von 2020 bis 2022 wiesen mehr als 25 Prozent der Messstellen in Deutschland überhöhte Nitratkonzentrationen im Wasser auf. In Oberflächengewässern ist Phosphat der Hauptfaktor für die Eutrophierung – das übermäßige Wachstum einzelliger Algen. 

Henning Kage, Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, versteht zwar den Frust wegen überbordender Bürokratie etwa im Bereich der Düngegesetzgebung. Allerdings setze die derzeitige Diskussion um die Stoffstrombilanzverordnung an der falschen Stelle an, erklärt er. Der Dokumentationsaufwand falle hier nämlich vergleichsweise gering aus.

Einen »Rückfall in die Gesetzlosigkeit im Bereich der Düngung« befürchtet Klaus Dittert, Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Das mit großem Aufwand über mehrere Jahre entwickelte Monitoring- und Kontrollsystem habe der Agrarverwaltung und der Agrarpolitik wertvolle Daten zur Verfügung gestellt. »Sie haben erheblich dazu beigetragen, Probleme der Überdüngung zu mindern.« Die Aufhebung der Stoffstrombilanzierung untergräbt aus seiner Sicht das Vertrauen in einen handlungsfähigen Rechtsstaat im Sinne der Verursachergerechtigkeit, denn: »Wer überdüngt, hat ab sofort wieder freie Fahrt, und wer im Sinne der Regelungen gehandelt hat und beispielsweise in moderne Düngetechnik oder größere Güllelager investiert hat, hat das Nachsehen.«

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