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Der Täter wird abgeschoben – und seine Opfer gleich mit
Zwei Organisationen sehen in der Abschiebung einer Frau und ihrer Kinder nach Albanien einen Verstoß gegen die Istanbul-Konvention
Es ist eine gute Nachricht, wenn ein Familienvater, der auf seine Frau und Kinder einschlägt, von ihnen getrennt wird. Noch dazu, wenn er vorbestraft ist. Umso alarmierender ist es, dass diese Frau und ihre Kinder nun nach Albanien abgeschoben wurden – in das Land, in das auch der gewalttätige Ex-Mann zurückgeführt wurde. Dort, so berichten Abschiebereporting NRW und Agisra, eine Beratungsstelle für Migrantinnen in Köln, drangsaliert er seine ehemalige Partnerin erneut.
Kaum angekommen, soll der Mann die Familie erneut ausfindig gemacht und Gewalt angewendet haben. Sophia Çora von Agisra sagt zu »nd«: »Wegen der mangelnden Gewaltschutzstrukturen im vermeintlich ›sicheren Herkunftsland‹ Albanien sind die Frau und ihre Kinder der Gewalt nun schutzlos ausgeliefert.« Die Bedrohung durch Femizid und Kindsmord sei für sie brutale Realität.
Die an der Abschiebung beteiligten Beamt*innen hätten – entgegen ihrer Zusage – die alleinerziehende Mutter und ihre Kinder nicht an eine Schutzorganisation oder einen geschützten Ort in Albanien übergeben, so Çora. Sie spricht von »fehlenden Bemühungen der beteiligten deutschen und albanischen Behörden«.
Agisra und Abschiebungsreporting NRW kritisieren die Abschiebung scharf und fordern die sofortige Rückholung. »Die Stadt Köln hat damit gegen die Istanbul-Konvention verstoßen«, meint Çora. Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der darauf abzielt, Frauen und Mädchen vor allen Formen von Gewalt zu schützen. Eine Abschiebung in einen Staat, in dem Gewalt droht, sei darin ausdrücklich untersagt, so Çora. »Diese Bestimmungen sind seit 2018 rechtsverbindlich in Deutschland und keine politische Ermessensfrage.«
Die Stadt Köln teilte auf Anfrage von »nd« mit, die zuständige Behörde habe den Sachverhalt geprüft. Demnach lagen »weder rechtliche noch tatsächliche Ausreise- und Rückführungshindernisse beziehungsweise -verbote vor«. Auf Antrag der zuständigen Rechtsanwältin sei die Rückführung gerichtlich überprüft worden. »Das zuständige Verwaltungsgericht hatte zum Vorhaben der Ausländerbehörde keine Beanstandung.«
Agisra und Abschiebungsreporting NRW haben sich in einem offenen Brief an die Landesregierung und die Stadt Köln gewandt. Sie fordern, dass die Bestimmungen der Istanbul-Konvention in Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden. »Wir wissen aus unserer mehrjährigen Dokumentationsarbeit zu Abschiebungen in ganz Nordrhein-Westfalen, dass solche Abschiebungen wie jüngst in Köln leider kein Einzelfall sind«, so Rose. Rechtsgarantien aus der Istanbul-Konvention würden in der Praxis nicht umgesetzt, Bleiberechte verweigert. Das führe zu eklatanten Lücken beim Schutz von Frauen und Kindern.
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Daher drängen die beiden Organisationen unter anderem auf die Einrichtung eines landesweiten Schutzmechanismus, der sicherstellt, dass Entscheidungen der Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen systematisch auf ihre Zulässigkeit nach der Istanbul-Konvention geprüft werden. Man müsse den lokalen Behörden Hilfsmittel und Leitfäden zur Verfügung stellen, um sie für solche Fälle zu sensibilisieren. »In dem Kölner Fall hätte auch die Härtefallregelung des Paragrafen 23a des Aufenthaltsgesetzes genutzt werden oder eine aufenthaltsrechtliche Neubewertung der Lage nach strafrechtlicher Verurteilung und getrennter Abschiebung des Ehemannes erfolgen müssen«, erklärt Rose. Eine Antwort auf den offenen Brief steht aus.
Die Frau war der schweren häuslichen Gewalt ihres Ex-Mannes über sage und schreibe 13 Jahre hinweg ausgesetzt. »Die vier Kinder, die zum Zeitpunkt der Abschiebung im Alter von zwölf, zehn und fünf Jahren sowie zehn Monaten waren, seit ihrer Geburt ebenfalls«, sagt Adrijane Mehmetaj-Bassfeld, Mitarbeiterin von Agisra, die in Kontakt mit der Frau in Albanien steht und diese die vergangenen Monate unterstützt hat.
Bereits im Januar hatte das Amtsgericht Köln den Ex-Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zuvor hatte das Amtsgericht Ende Oktober 2024 dem Mann für zunächst sechs Monate auf Basis des Gewaltschutzgesetzes jeglichen Kontakt zu der Frau verboten. Bis zu seiner Abschiebung im Februar dieses Jahres saß er seit Oktober 2024 in Untersuchungshaft.
Die Kinder und die Mutter konnten erstmals aufatmen. »Sie besuchten in Köln Schule und Kita, Sport- und Kunstvereine und begannen, sich sozial und emotional zu stabilisieren«, sagt Mehmetaj-Bassfeld. Denn die Gewalt hat Spuren bei den Kindern hinterlassen. Das älteste soll sich seit Februar in psychotherapeutischer Behandlung befunden haben, auch mit den beiden nächstälteren Geschwistern soll es Aufnahmegespräche gegeben haben. »Die akute Belastungsreaktion und die attestierte Reiseunfähigkeit des ältesten Kindes waren der Ausländerbehörde der Stadt Köln bekannt«, erklärt Çora.
Dabei hat sich die Stadt Köln selbst dazu verpflichtet, Kindeswohlaspekte bei der Prüfung von Bleibeperspektiven und bei Abschiebungen zu berücksichtigen. »Obwohl das Jugendamt in der Unterstützung der Familie wegen der gravierenden Gewalt zuvor eingebunden war, hat die Ausländerbehörde bei ihren Planungen die Kolleg*innen des Jugendamtes in keiner Weise konsultiert«, mahnt Rose.
In der entsprechende Leitlinie verpflichtet sich die Stadt Köln zudem, die kinderrechtliche Situation im Herkunftsland in den Blick zu nehmen. »Auch dies war vorliegend nicht erfolgt, obwohl nach der vorherigen Abschiebung des Ex-Mannes und Vaters eine neue Gefährdungslage für Frau und Kinder entstanden war, die überprüft hätte werden müssen«, so Sebastian Rose, der der Stadt Köln somit die Verletzung der verbindlichen Rechte der UN-Kinderrechtskonvention vorhält.
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