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Ein Gentleman – kein Dieb
Frankreichs popkultureller Pulpstar Arsène Lupin wird 120
Er ist der französische Pulp-Popstar: Meisterdieb Arsène Lupin kommt aus den billigen Heftchen, er ist ein vornehme Fortsetzungsfigur, inspiriert vom Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Nur dass Lupin auf der anderen Seite der Moral steht.
Das erfolgreiche britische »Strand-Magazine«, in dem Arthur Conan Doyle Ende des 19. Jahrhunderts die Holmes-Geschichten veröffentlichte, stand Pate für die Erfindung von Frankreichs erfolgreichstem Supergauner. Vom populärwissenschaftlichen Journal »Je sais tout« beauftragt, im Stile jenes Magazins eine Geschichte zu verfassen, lieferte der Schriftsteller Maurice Leblanc im Juli 1905 die erste Kurzgeschichte über den Meisterdieb: »Die Verhaftung des Arsène Lupin«. Der Name seines Helden wurde selbst schnell zum Politikum, da er doch eine eindeutige Referenz auf den einen verhassten Pariser Stadtverordneten namens Arsène Lopin darstellte. Lupin hat aber seinen Namen behalten – seit dem ersten Auftritt in der Geschichte seiner Verhaftung.
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In dieser Story ergaunert er sich auf einem Passagierschiff, das sich auf dem Weg von Frankreich nach Amerika befindet, verschiedene Wertgegenstände und versetzt damit die Passagiere in Angst und Schrecken. Seinem Gegenspieler, dem Inspektor Justin Ganimard, entkommt er dabei mehrfach in unterschiedlichen Verkleidungen, die später zu seinem Markenzeichen werden – neben seiner Höflichkeit als Gentleman. Am Ende kommt es dann zu einer Verhaftung, wobei es offen bleibt, ob es sich bei der verhafteten Person wirklich um den gesuchten Arsène Lupin handelt oder nicht. Ein echter Cliffhanger.
Aufgrund des Erfolges dieser Kurzgeschichte folgten weitere 39 Kurzgeschichten, 18 Romane und fünf Theaterstücke rund um diesen stets höflichen Dandy, die sich bis heute großer Beliebtheit in der französischen Kultur erfreuen. Er lebt in unzähligen Romanen, Kinderbüchern, Theateraufführungen, Verfilmungen sowie Comics und Mangas fort. Seine Figur hat ein eigenes Genre innerhalb der französischen Kriminalliteratur begründet: Geschichten von Gentleman-Gaunern. Zuletzt bezog sich die französische Netflix-Serie »Lupin« auf ihn, ohne den historischen Lupin selbst noch mal wiederzubeleben. Auch in der beliebten deutschen Hörspielreihe »Die ???« ist eine Art Wiedergänger von Lupin zu finden, als Nebenfigur namens Victor Hugenay, ein kluger Kunstdieb, der stets der Polizei entrinnt.
Lupin-Erfinder Maurice Leblanc kommt aus dem nordfranzösischen Bürgertum. Geboren 1864 in Rouen als Sohn eines Reeders machte er zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere keinen Hehl aus seinen Sympathien für die anarchistische Bewegung. Es war die Hochphase des Illegalismus und die »Expropriation der Expropriateure«, die Enteignung oder das Bestehlen der Reichen und Ausbeuter galt als adäquate Aktionsform. Einem bekannten Vertreter jener Richtung, Alexandre Marius Jacob, dem »Arbeiter der Nacht«, wurde 1905 in Amiens der Prozess gemacht. Lange galt es in der Lupin-Rezeption als ausgemacht, dass sich Leblanc von jenem Meisterdieb inspirieren ließ, was er zu Lebzeiten heftig bestritt und was in der neueren Forschung mittlerweile auch als widerlegt gilt. Im Gegensatz zu den klassischen Expropriateuren anarchistischer Couleur, die stets einen Teil der Beute an die Familien Inhaftierter beziehungsweise an Projekte der Bewegung spendeten, hortet Arsène Lupin sein Diebesgut im Kreidefelsen von Étretat an der normannischen Küste. Selbst der legendäre Schatz der französischen Könige soll sich in seinem Besitz befinden. Die 1909 verfasste Geschichte »Die hohle Nadel« erzählt hiervon – und beflügelt bis heute die Fantasie vieler Schatzsucher.
Der gerade im Sommer bei Touristen sehr beliebte Ausflugsort Étretat profitiert insbesondere von dieser Geschichte. Dort wohnte auch Leblanc in einer Villa, die heutzutage ein Arsène-Lupin-Museum beherbergt. Dank einer Art Pokemon-Go-Variante können sich Fans auch auf den Spuren des Meisterdiebes durch den Stadtkern begeben. Dagegen haben in Étretat die Kirche, in der der spätere Literaturnobelpreisträger André Gide und seine Frau sich das Ja-Wort gaben, und das Wohnhaus des französischen Erzählers Guy de Maupassant an Bedeutung eingebüßt, ja sie scheinen irrelevant zu sein.
Die Geschichten um Arsène Lupin leben von ein paar stetig wiederkehrenden Stilelementen. Ein sympathischer und gebildeter Antiheld tritt mit viel Humor in den Kampf mit einer häufig als dekadent dargestellten Oberschicht ein. Er bedient sich dabei stets unterschiedlicher Verkleidungen, um an seine Opfer heranzukommen und sich mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel zu liefern. In diese eher an Abenteuer- als an klassische Detektivgeschichten erinnernde Erzählungen ist sowohl etwas Mystik als auch eine Prise Romantik verwoben. Zudem gibt es viel normannischen Lokalkolorit. Im Gegensatz zu anderen berühmten Helden der französischen Kriminalliteratur, die im mondänen Paris wirken – sei es Fantômas, dessen Hauptquartier im Pariser Montmartre liegt, oder die Fiat-Lux-Agentur von Nestor Burma im zehnten Arrondissement –, spielen die Lupin-Geschichten meist im Dreieck rund um Étretat, Le Havre und Rouen.
Die Oberschicht wird beraubt, die Polizei ist übereifrig, aber ratlos. Es gilt das Motto: »Einen Arsène Lupin kann man nicht verhaften.« Das hat er mehrfach schon bewiesen in unzähligen Romanen, Kinderbüchern, Theateraufführungen, Verfilmungen sowie Comics und Mangas, in denen er sowohl der Polizei als auch einem britischen Meisterdetektiv namens Herlock Sholmes stets entkommt.
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