Tempojagd bei der Tour de France: Menschen, Technik und Rekorde

Geschwindigkeitsrekorde

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Mensch und Maschine: Boivin Guillaume startete am Mittwoch als einer der Ersten beim Zeitfahren.
Mensch und Maschine: Boivin Guillaume startete am Mittwoch als einer der Ersten beim Zeitfahren.

Die Radprofis sind auf Tempojagd. Geschwindigkeitsrekorde an Bergpässen sammelt Tadej Pogačar. Der dreimalige Tour-Champion stößt auch in der Siegerzeit in neue Dimensionen vor: 2015 gewann Chris Froome die Frankreich-Rundfahrt mit einem Schnitt von 38,72 Kilometern pro Stunde, mit 44,52 triumphierte Pogačar im vergangenen Jahr. Und unter den zehn schnellsten Flachetappen der Tour aller Zeiten finden sich gleich sechs Tagesabschnitte aus den vergangenen drei Jahren.

Die Gründe dafür liegen bei Mensch und Technik. Einer: die Ernährungsrevolution. Statt 60 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde nehmen Athleten aufgrund einer Mischung von Glukose- und Fructosepräparaten mittlerweile 120 Gramm zu sich. »Die Fahrer können dadurch ihre maximale Leistung länger abrufen«, erklärt der dänische Sportwissenschaftler Carsten Lundby »nd«. Die Folge: Galt vor einigen Jahren das Kettenblatt mit 53 Zähnen als Maximum, sind es mittlerweile 56 oder gar 58.

Tom auf Tour

Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, begleitet diesen Sport weltweit seit mehr als 20 Jahren für »nd«.

Entscheidend sind die aerodynamischen Entwicklungen am Rad, an der Bekleidung und der Sitzposition. Besonders für das Zeitfahren wird optimiert. Am Mittwoch wurde der 33 Kilometer lange und flache Kurs um Caen zu einer Rennstrecke für muskelgetriebene Maschinen. »Die Frontpartie der Fahrer ist für 75 Prozent des Luftwiderstands verantwortlich, auf das Rad entfallen nur 25«, erklärt Jenco Drost, Materialentwickler bei Visma, dem Team des zweimaligen Tour-Siegers Jonas Vingegaard, »nd«.

Während bei den Trikots im Schulter- und Brustbereich laut Drost besondere Textilien verarbeitet werden, geht es im Windkanal darum, die beste Position des Fahrers auf dem Rad zu finden. Bei den Rädern selbst gibt es mittlerweile drei Typen: die Zeitfahrräder, die aerodynamisch extrem optimiert, allerdings schwerer zu beherrschen sind. Ihnen am nächsten kommen die Aeroräder, die ebenfalls auf gute Aerodynamik ausgelegt sind, zudem eine extreme Steifigkeit haben und Vibrationsverluste minimieren. Cervelo und Canyon waren die ersten Hersteller, Colnago brachte für Pogačar und sein Emirates-Team in diesem Jahr das schnelle Y1RS heraus. Faktor hat einen vom Weltverband genehmigten Prototypen entwickelt.

Aus den üblichen Straßenrädern haben sich die leichtgewichtigen Bergräder als eigene Form entwickelt. Da wird auf ein paar Lagen Karbon und die windschlüpfrige, aber aufwendigere Tropfenform der Rahmen verzichtet. In den Bergen ist eben nicht der Luftwiderstand entscheidend, sondern das Gewicht. Vom Weltverband sind mindestens 6,8 Kilogramm vorgegeben. Immer leichter werden auch Aeroräder. Vingegaard sah man im Training schon Bergpässe mit dem neuen S5 von Cervelo erklimmen. Vielleicht setzt er das in den Pyrenäen ein. Ähnliches halten bei Pogačar selbst die Entwickler von Colnago für unwahrscheinlich. »Das Y1RS haben wir für Sprinter und Männer, die lange vorne im Wind fahren müssen, entwickelt«, erzählt Ingenieur Filippo Galli »nd«. Für jede Aufgabe ein besonderes Rad: gut möglich, dass die Rennställe statt mit einem Materialwagen bald mit Monstertrucks zur Tour kommen.

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