- Wirtschaft und Umwelt
- Folgen der Corona-Zeit
Die unsoziale Pandemie
Das tödliche Coronavirus traf in der Gesellschaft und Wirtschaft nicht alle gleich
»Gruselig!«. Wenn man in Hamburg mit Friseurhandwerkern spricht – die meisten sind weiblich –, fällt ihnen zur Corona-Pandemie vor allem die Angst ein. Angst um die Gesundheit, der eigenen, der Beschäftigten, der Kundschaft, Angst um die Zukunft des Geschäfts. Eine Sorge, die auch Menschen in anderen
kontaktintensiven Dienstleistungen und Besitzer von Lokalen besonders umtrieb, die sogar von Schließungen betroffen waren.
An manchen Tagen wird der Corona-Schock wieder lebendig, nicht allein beim Gespräch mit Friseurinnen. Denn bis heute belasten die Folgen die deutsche Wirtschaft: Im Jahr 2024 war das Bruttoinlandsprodukt kaum höher als 2019, kurz bevor die Pandemie ausbrach. Für die wirtschaftliche Stagnation ist allerdings nicht allein das tödliche Virus verantwortlich. Hohe Energiepreise, Ukraine-Krieg und die Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank taten das ihre, um die Konjunktur zu bremsen.
Aber die Corona-Pandemie wirkte sich seit ihrem Ausbruch im März 2020 massiv auf sämtliche Bereiche des täglichen Lebens aus. Sie führte innerhalb eines Jahres in Wirtschaft und Gesellschaft, im Staatshaushalt und in der Bildung, im Verkehr sowie bei den Bevölkerungszahlen zu »außergewöhnlichen Entwicklungen«, fasst das Statistische Bundesamt seine gesammelten Daten zusammen.
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Die deutsche Wirtschaft geriet nach zehn Jahren des Wachstums in eine tiefe Rezession. Im zweiten Quartal 2020 hatte die Wirtschaftsleistung einen geradezu historischen Einbruch erlitten. Das preis-, saison- und kalenderbereinigte Minus von 9,7 Prozent gegenüber dem ersten Quartal war der mit Abstand stärkste Rückgang seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auf den starken Einbruch folgte zwar eine rasche, allerdings nicht ganz so starke Erholung.
Dazu beigetragen haben die großen Hilfspakete, die der Staat geschnürt hatte. Kleine Firmen und Solo-Selbstständige erhielten Zuschüsse, die teilweise später zurückgezahlt werden mussten, und das Kapital von Großunternehmen wurde aufgestockt. Der Bund übernahm Kreditgarantien für Firmen und stellte Liquiditätshilfen bereit. Die Regeln für Hartz IV wurden gelockert, die Rechte von Mietern gestärkt. Insgesamt umfassten die Hilfspakete laut des damaligen Finanzministers Olaf Scholz (SPD) 750 Milliarden Euro.
Wohl am nachhaltigsten wirkten zwei besondere Maßnahmen. Die Insolvenzplicht wurde weitgehend aufgehoben; in der Folge halbierte sich die Zahl der Firmenpleiten. Und mit erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit wurde es vielen (größeren) Unternehmen möglich, qualifizierte Beschäftigte zu halten, statt sie bei den Lockdowns in die Arbeitslosigkeit zu schicken.
Das reiche Deutschland konnte sich diesen Sonderweg finanziell erlauben. Spätfolgen sind dennoch zu spüren. »Zombie-Unternehmen« wurden künstlich am Leben erhalten, der Akt »schöpferischer Zerstörung« (Joseph Schumpeter) in nicht mehr zeitgemäßen Branchen, der zur dynamischen Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems beiträgt, wurde unterbrochen. Hinzu kamen, so die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in einer Analyse, strukturelle Mängel etwa in Infrastruktur und Schulbildung sowie die extreme Exportabhängigkeit. Die schwächelnde Weltwirtschaft und der Aufstieg Chinas belasteten daher die deutsche Wirtschaft zuletzt besonders stark. Das Ergebnis: Während das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren stagnierte, ist es im übrigen Euroraum um rund sechs Prozent gestiegen, in den USA sogar um rund zwölf Prozent.
Corona zeitigte zugleich Unterschiede in der Betroffenheit. »Kleine« Selbstständige etwa im Friseurhandwerk waren besonders häufig und stark von der Krise betroffen. Ebenfalls trafen es zeitweilige Einkommensverluste Leiharbeiter und geringfügig Beschäftigte im Durchschnitt deutlich stärker als andere Berufsgruppen, so das Erwerbstätigen-Panel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts. Bei der Betrachtung der verfügbaren Haushaltseinkommen zeigte sich zwar auch »der ausgleichende Effekt der sozialen Sicherungssysteme«, analysiert das Fachmagazin »Wirtschaftsdienst«. Familien, Alleinerziehende und Rentner habe die Inflation finanziell oft sogar härter getroffen als die Corona-Wellen.
Das Friseurhandwerk reagierte auf den Corona-Einbruch antizyklisch, mit Preiserhöhungen. Die Umsätze brachen dennoch – oder gerade deswegen – zunächst ein, um sich bis 2023 langsam zu erholen. »Trotz des Umsatzwachstums bleibt die wirtschaftliche Lage vieler Friseurbetriebe angespannt«, heißt es heute beim Zentralverband Friseurhandwerk. Steigende Kosten und unfairer Wettbewerbsdruck belasteten die Branche weiterhin stark. Erst mit einer nachhaltigen Erholung der Gesamtwirtschaft könne auch das Friseurhandwerk neue Impulse und Stabilität erfahren.
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